Eine Rheinbrücke geht auf Wanderschaft
Vor 45 Jahren wurde die Oberkasseler Brücke um mehr als 40 Meter verschoben – ein bis dato einzigartiger Coup der Ingenieurskunst.
Es war ein Ereignis, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte: Am 7. und 8. April 1976 wurde die Oberkasseler Brücke um 47,5 Meter stromabwärts verschoben. 12.500 Tonnen wog der Oberbau des Bauwerks, 13 Stunden dauerte der Umzug, tausende Bürger schauten vom Rheinufer aus zu. Aus der ganzenWelt kamen zudem Ingenieure und Prominente, um sich das Spektakel anzusehen, von der Stadt angemietete Schiffe brachten die Interessierten teils ganz nah ran.
Helmut Neuß war damals als Ingenieur im ehemaligen Brücken- und Tunnelamt der Landeshauptstadt tätig, das heute das Amt für Verkehrsmanagement ist. 1975 hatte er dort angefangen, wollte eigentlich nur für ein paar Jahre bleiben – am Ende wurden es mehr als 40, zu sehr begeisterte ihn die Arbeit. „Die Düsseldorfer Brücken sind Wahrzeichen der Stadt“, sagt Neuß. Der heute 79-Jährige kümmerte sich vor allem um das Drumherum wie Fragen der Sicherheit und die Zusammenarbeit mit der Presse. „Damals war die RAF noch aktiv und man befürchtete, dass etwas passieren könnte.“Sogar die Planungszentrale an der Reuterkaserne sei hermetisch abgeriegelt worden.
„Das war ein Weltereignis, so etwas hatte es in der Größenordnung noch nicht gegeben“, sagt Neuß, dem die Begeisterung auch 45 Jahre später noch anzumerken ist.„Und ich war bei allen Gesprächen und Vorbereitungen dabei.“Besonders heiß diskutiert wurde die Frage, ob der Verschub, wie Neuß sagt, versichert werden sollte. Doch letztlich habe sich die Verwaltung dagegen entschieden – „das war schlicht zu teuer, da hat man gesagt: ,Das Risiko tragen wir alleine.'“15 Millionen Mark kostete dieVerschiebung.
Die Oberkasseler Brücke gehört neben der Theodor-Heuss-Brücke und der Rheinkniebrücke zur sogenannten Düsseldorfer Brückenfamilie. Alle drei sind Schrägseilbrücken, ihr Bau wurde vom damaligen Leiter des Stadtplanungsamtes, Friedrich Tamms, vorangetrieben. „An den Bauwerken lässt sich die Entwicklung der Schrägseilbrücke gut nachvollziehen“, sagt Helmut Neuß, „die Heuss-Brücke hat noch vier Pylone, die Rheinkniebrücke schon nur noch zwei und die Oberkasseler Brücke sogar nur einen Pylon.“
Das Bauwerk verbindet Oberkassel mit der Innenstadt und ist insgesamt 614,72 Meter lang und 35 Meter breit. Es wird sowohl von Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern als auch von der Stadtbahn genutzt: Insgesamt fünf Linien verbinden die linksrheinischen Stadtteile sowie Meerbusch, Krefeld und
Neuss mit der Düsseldorfer Innenstadt. Die erste Brücke an dieser Stelle wurde schon 1898 eröffnet.
Die neue Oberkasseler Brücke wurde nach den Plänen von Hans Grassl zwischen 1969 und 1973 ein wenig stromaufwärts gebaut, der Verkehr über das alte Bauwerk lief derweil weiter. Im Dezember 1973 dann wurde der Verkehr über die neue Brücke geleitet, die alte abgebrochen und an ihrer Stelle der Unterbau für die neue Brücke vorbereitet. Die jahrelange Planung gipfelte dann im April 1976.
47,5 Meter musste das Bauwerk überwinden, pro Stunde schaffte die Brücke 3,6 Meter – das entspricht etwa einem Millimeter pro Sekunde. Am 8. April war es nach 13 Stunden geschafft. Dass es funktionieren würde, daran hat Helmut Neuß nie wirklich gezweifelt. „Aber wir haben schon überlegt: Was machen wir, wenn sie sich nicht bewegt?“Deshalb habe man am Vorabend schon „ein bisschen daran gezuppelt“, erzählt er, nur zehn Zentimeter, dann war klar: Die Brücke bewegt sich. Es war ein Meisterwerk der Ingenieurskunst: Das tausende Tonnen schwere Bauwerk wurde angehoben und glitt angetrieben von zwei Hydropressen über Teflonscheiben an den neuen Standort. Entsprechend groß war die Freude, als alles geschafft war. „Das war ein wunderbarer Moment“, sagt Neuß, „die Glocken in der Stadt läuteten, es gab Applaus und die Feuerwehr schoss Wasserfontänen in die Höhe.“
Und die Oberkasseler Brücke hält, bis heute: Rund 60.000 Autos, viele Fußgänger und Fahrradfahrer queren sie jeden Tag.