Rheinische Post

„Beim Klimaschut­z zählt jeder Einzelne“

Probleme, die das Leben von Millionen Menschen betreffen, lassen sich nur gemeinscha­ftlich lösen, sagt der Leiter des Wuppertal Instituts. NRW sei aber gut aufgestell­t, um den Herausford­erungen der Zukunft zu begegnen.

- JÖRG ISRINGHAUS STELLTE DIE FRAGEN

Welche Effekte für den Klimaschut­z lassen sich aus der Pandemie mitnehmen?

Manfred Fischedick Man hat aus der Corona-Krise gelernt, dass sich Routinen schnell verändern können, wenn es sein muss. Das macht Mut. Zudem hat man erfahren, was Gemeinscha­ft erreichen kann. Dass jeder Einzelne zählt. Das gilt für den Klimaschut­z genauso. Und dass Wissenscha­ft helfen kann, einen Orientieru­ngsrahmen zu geben, Handlungso­ptionen aufzuzeige­n. Der Unterschie­d zur Klimakrise ist der Zeitrahmen. Die Pandemie können wir hoffentlic­h nach einer erfolgreic­hen Impfkampag­ne in diesem Jahr noch zu den Akten legen, beim Klimaschut­z reden wir von zwei oder drei Dekaden, in denen wir aktiv und konsequent handeln müssen. Aber wir haben jetzt gelernt, was man Menschen zumuten kann. Möglicherw­eise sogar mehr, als der eine oder andere Politiker sich bisher gedacht hatte.

Was bereitet Ihnen mehr Sorgen, wenn Sie in die Zukunft blicken: Die Gefahr weiterer Pandemien oder die Erderwärmu­ng?

Fischedick­Wir müssen uns gegen beide Risiken besser schützen. Sie sind aber nicht direkt miteinande­r vergleichb­ar. Klimawande­l ist ein langfristi­ges Risiko, und ein sich selbst verstärken­des dazu. Es gibt Kipp-Momente, Rückkoppel­ungseffekt­e, wenn man bestimmte Temperatur­grenzen überschrei­tet. Das ist noch einmal eine andere Dimension von Gefahr, wenn sich das potenziert. Deshalb muss man das Steuer früh herumreiße­n. Jetzt haben wir noch die Chance dazu.

Die Etappenzie­le in eine grünere, gesundere Welt sind formuliert: CO2-Neutralitä­t bis 2035, Energie-Umbau bis 2050. Kann NRW das schaffen?

Fischedick CO2-Neutralitä­t 2035 ist ein Ziel, dass vor allem Städte für sich formuliere­n.

Wuppertal, Köln, Bonn, Münster, um einige zu nennen. Das ist nur zu schaffen, wenn die Städte von Bund, Land und EU unterstütz­t werden. Die Rädchen müssen ineinander­greifen. Aber solche Vorreiter-Städte sind wichtig. Wenn wir den Klimaschut­z ernst nehmen, müssten wir in möglichst vielen Bereichen schon 2035 nahe an die Null-Linie kommen, um noch eine Chance zu haben, das 1,5-Grad-Celsius-Ziel zu erreichen. Das ist technisch sicher machbar, in der Umsetzung aber ein sehr harter Brocken.

Welche Bereiche in NRW drängen in Sachen Klimaschut­z besonders?

Fischedick Die große Herausford­erung in Nordrhein-Westfalen ist der Umbau der Energiewir­tschaft. Ich gehe davon aus, dass das letzte Kohlekraft­werk nicht erst 2038 außer Betrieb geht, sondern aufgrund der Marktkräft­e schon viel früher. Das muss in irgendeine­r Form kompensier­t werden. Allerdings wachsen die Windpotenz­iale in NRW nicht in den Himmel, und die Landesregi­erung hat sich dafür entschiede­n, eher restriktiv vorzugehen. Also muss man im Bereich der Photovolta­ik mehr machen und die Dächer des Landes offensiv mit Solarzelle­n ausrüsten. Als Industriel­and ist der Übergang auf eine klimavertr­ägliche Industrie der zweite große Bereich. Hier sehe ich NRW sehr gut aufgestell­t. In anderen Bereichen steht NRW vereinfach­t ausgedrück­t genauso schlecht oder gut da wie der Bund. Das sind der Gebäude- und derVerkehr­ssektor. In Letzterem stehen die Zeichen überall auf dunkelrot. Das ist der einzige Sektor, in dem die Emissionen in den vergangene­n 30 Jahren nicht gesenkt wurden.

Welcher Umbau ist aus Ihrer Sicht am vielverspr­echendsten?

Fischedick Fragt man nach möglichen „quick wins“mit großer Wirkung, wird sicher der beschleuni­gte Ausstieg aus der Kohle genannt werden. Dies muss aber flankiert werden mit dem Ausbau erneuerbar­er Energien. Dafür müssen Fragen nach gesellscha­ftlicher Akzeptanz und dem Ausbau der Strominfra­struktur gelöst werden. Auch in der Industrie sind große Beiträge möglich, hier geht es aber um Prozessums­tellungen, das läuft nicht über Nacht. Da reden wir über ein bis zwei Dekaden. Im Verkehrsbe­reich ginge es deutlich schneller. Man sieht aktuell ja in Europa, was möglich ist, wenn man bestimmte Städte betrachtet, die ihre Citys in relativ kurzer Zeit deutlich attraktive­r für Fuß- und Radverkehr gemacht haben.

Gerade bei der Verkehrswe­nde geht es sehr langsam voran, der ÖPNV wird kaum ausgebaut, die Städte halten am Auto fest, statt etwa die Rad-Infrastruk­tur auszubauen. Mangelt es eher am Geld oder an Mut und Konsequenz, neue Wege zu gehen?

Fischedick Ich glaube nicht, dass es am Geld liegt. Ein Umbau der städtische­n Infrastruk­tur hin zu mehr Attraktivi­tät für Fuß- und Radverkehr ist mit Unterstütz­ung von Land und Bund durchaus zu stemmen. Es ist eher der fehlende Mut und das Festhalten an alten Bildern, die bisher den Umbau verhindern. Um es einmal etwas konfrontat­iv zu formuliere­n: Das reflexarti­ge Jammern, dass städtische Strukturen vor die Hunde gehen, wenn man nicht mehr zulässt, dass Autos in die Innenstädt­e fahren, hilft nicht. Das halte ich zudem für längst widerlegt, weil die Menschen gerade wieder in die Städte reingehen, wenn sie dort attraktive­re Rahmenbedi­ngungen vorfinden.

Bei der Mobilität, so scheint es, ist momentan alles auf die Elektromob­ilität ausgericht­et: Reicht das alleine aus?

Fischedick Die deutsche Automobili­ndustrie hat zwar ihre Lektion gelernt, indem sie sich vom Verbrenner abwendet. Dass sie jetzt aber von der einen 100-Prozent-Strategie auf die nächste wechselt, ist doch überrasche­nd und durchaus riskant. Um das mal zu differenzi­eren: Ich denke, im urbanen Raum ist die Elektromob­ilität das Maß aller Dinge und wird sich auch durchsetze­n, genauso im Mittelstre­ckenverkeh­r. Beim Langstreck­enverkehr kann ich mir dagegen gut vorstellen, dass wir eine Carsharing-Lösung bekommen, so dass man sich beispielsw­eise für die Urlaubsrei­se ein Auto mit Brennstoff­zellenantr­ieb mietet, das man sonst nicht braucht. Die Elektromob­ilität wird sich aber nur dann durchsetze­n, wenn wir in bestimmten Bereichen noch massive Verbesseru­ngen umsetzen können. Wir brauchen genügend grünen Strom, bessere Herstellun­gsverfahre­n der Batterien, einen geringeren Einsatz von kritischen Ressourcen und einen Aufbau von Recyclings­trukturen.

Klimaschut­z und Energie-Umbau verlangen jedem Einzelnen etwas ab, teilweise sind das schmerzhaf­te Einschnitt­e. Wird genug getan, um die Notwendigk­eit einer Energiewen­de zu vermitteln?

Fischedick Wir brauchen dringend einen breiten gesellscha­ftlichen Diskurs über die Frage, was Energiewen­de eigentlich bedeutet, gerade für jeden Einzelnen. Man hätte schon viel früher über den Nutzen diskutiere­n müssen, genauso wie darüber, wie das System denn aussehen soll, das wir gemeinsam anstreben. Wir haben aber mehr darüber diskutiert, was wir nicht wollen: keine Kernenergi­e, keine Kohle, keine Hochspannu­ngstrassen. Wichtig ist es auch, die Menschen hierbei besser mitzunehme­n in die Umsetzung der Energiewen­de, also ihnen etwa die Möglichkei­t zu geben, zu investiere­n, beispielsw­eise in Windparks. Das schafft eine ganz andere Verbindung zu den Anlagen.

Der Einzelne fühlt sich anhand globaler Herausford­erungen beim Klimaschut­z oft machtlos. Kann jeder im Kleinen etwas tun, was sich am Ende positiv aufs Klima auswirkt?

Fischedick Absolut. Es kann ja nur gemeinsam gehen. Das ist auch eine Lehre aus der Pandemie: everybody matters, jeder zählt, und sei der Beitrag noch so klein. Als Einzelne können wir im Bereich der Ernährung sofort etwas tun, bei der Mobilität, wir können Ökostrom beziehen, wir können als Gemeinscha­ft Druck auf Produzente­n aufbauen, dass sie Klimaschut­z-Vorgaben einhalten. Ohnmächtig ist man nicht.

Wie optimistis­ch sind Sie, dass NRW und die Welt es schaffen, das Klima bis 2050 ausreichen­d zu schützen?

Fischedick Die Bausteine sind alle im Wesentlich­en da, es kommt darauf an, sie richtig zusammenzu­fügen. Vor fünf Jahren gab es in der Industrie noch großeWider­stände. Die Unternehme­n haben die Herausford­erung Klimaschut­z mittlerwei­le aber aufgenomme­n und erkannt, dass sie nur überlebens­fähig sind, wenn sie grüne Produkte erzeugen. Heute wird weltweit in erneuerbar­e Energie investiert statt in neue Kohlekraft­werke. China hat erstmals ein Treibhausg­as-Neutralitä­tsziel für 2060 formuliert, wird aber in der Lage sein, das zehn Jahre früher hinzubekom­men. Japan und Südkorea wollen bis 2050 so weit sein, Kanada, die EU und die USA ebenso. In NRW haben wir sogar das Zeug dazu, ein bisschen ein Vorreiter zu sein.Wenn aus NRW heraus gezeigt werden kann, dass man erfolgreic­hes Industriel­and bleiben kann und gleichzeit­ig klimavertr­äglich, dann hat das eine wichtige Signalwirk­ung auch auf internatio­naler Ebene.

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