Konfrontation vor Jersey
Vor der Kanalinsel Jersey eskaliert ein Streit um Fischereilizenzen. Seit Donnerstagmorgen demonstrieren französische Fischer vor dem Hafen St. Helier. Der britische Premier Boris Johnson schickte die Kriegsmarine.
LONDON Die britische Regierung hat am Mittwochabend zwei Schiffe der Kriegsmarine mobilisiert, um die Lage vor der Kanalinsel Jersey zu überwachen. Dort eskaliert zurzeit ein Streit um Fischereilizenzen, nachdem im Zuge des Brexit der zuvor freie Zugang für französische Fischer eingeschränkt worden war. Am Donnerstagmorgen machte sich eine Flotte von rund 60 französischen Booten auf, um vor St. Helier, dem größten Hafen von Jersey, zu demonstrieren. Die britischen Patrouillenboote „ HMS Tamar“und „HMS Severn“hielten sich zurück, als die französischen Fischer vor dem Hafen auftauchten und auf Bannern ihren Protest kundgaben. Zu einer Blockade des Hafens kam es jedoch nicht. Frankreich sandte am Donnerstag das Polizeischiff „Athos“nach Jersey.
Der Streit geht um die Lizenzierung des Fischfangs in den Gewässern um Jersey, nachdem der britische Kronbesitz seit Anfang des Jahres wieder die volle Souveränität über seine Fischgründe erhalten hatte. Jersey erteilte am Freitag vergangener Woche 41 französischen Kuttern eine Fischereilizenz, weitere 17 Anträge sind anhängig. Die französische Meeresministerin Annick Girardin legte Protest gegen die schleppende Vergabe ein und dagegen, dass die Lizenzen mit Einschränkungen verbunden seien. So sei zum Beispiel die Zahl der Tage, an denen gefischt werden darf, drastisch gesenkt worden. Girardin kündigte gegen die„komplett unakzeptablen“Vorgaben Vergeltungsmaßnahmen an.„Es würde mir sehr leid tun, so weit gehen zu müssen“, sagte Girardin, als sie andeutete, dass Frankreich die Stromversorgung von Jersey einstellen könnte. Die Kanalinsel erhält 95 Prozent ihrer Elektrizität durch drei Unterseekabel von französischen Anbietern.
Nachdem sich auch noch der Chef der Normandy Brittany Sea Authority eingeschaltet hatte, eskalierte die Situation. David Sellam wurde in der „Times“mit martialischen Äußerungen zitiert:„Wir sind bereit für Krieg. Wir können Jersey in die Knie zwingen.“Daraufhin telefonierte der britische Premierminister Boris Johnson mit dem Chief Minister von Jersey, John Le Fondré, und beide betonten hinterher „die dringende Notwendigkeit für eine Deeskalation der Spannungen und für einen Dialog zwischen Frankreich und Jersey über Fischereizugang“. Freilich diente es kaum der Deeskalation, dass Johnson als„vorbeugende Maßnahme“zwei Kriegsschiffe der Royal Navy vor Ort beorderte, um eine Blockade des Hafens von St. Helier zu verhindern.
Der Streit kommt zur rechten Zeit für den britischen Premier. Denn am Donnerstagmorgen schmückten Fotos der Kanonenboote fast alle Titelseiten der Zeitungen des Königreichs. Nichts kann patriotische Gefühle in britischen Herzen besser anfachen als ein Zank mit dem französischen Nachbarn. Und er kommt zu rechten Zeit, weil Donnerstag ein Superwahltag war, der erste große Härtetest für Boris Johnson seit eineinhalb Jahren. Rund 48 Millionen Briten waren zu verschiedensten Wahlen aufgerufen: Parlamentswahlen in Schottland und Wales, Kommunalwahlen in England, Bürgermeisterwahlen in London und anderen Städten sowie eine brisante Nachwahl zum Unterhaus (Ergebnisse lagen noch nicht vor, als diese Zeitung gedruckt wurde).
Schon vorher standen die Aussichten gut für Johnson und seine Konservative Partei. Mit dem patriotischen Schwall, der das Land am Donnerstag ergriff, dürften sie besser geworden sein.