Rheinische Post

Bundesweit fehlen 630.000 Wohnungen

Branchenve­rbände fordern von Bund und Ländern mehr Fördergeld für bezahlbare­n Wohnraum und mehr Personal in Bauämtern.

- VON BIRGIT MARSCHALL (mit dpa)

Trotz aller Bemühungen von Bund, Ländern und der Bauwirtsch­aft, den Wohnungsba­u anzukurbel­n, spitzt sich die Lage am Mietwohnun­gsmarkt in deutschen Städten weiter zu.„Eine zunehmende Zahl von Mietern kann die Miete nur noch schwer oder gar nicht bezahlen“, sagte Mieterbund-Chef Lukas Siebenkott­en am Donnerstag auf dem Wohnungsba­utag der Branchenve­rbände in Berlin. Notwendig sei der Neubau von mindestens 80.000 Sozialwohn­ungen pro Jahr, erklärte der Mieterbund gemeinsam mitVerbänd­en der BauundWohn­ungsbranch­e sowie der IG Bau. Insgesamt fehlten bundesweit 630.000 Wohnungen.

Engpass sei vor allem das fast überall fehlende Bauland. Zudem sind die Baukosten in den vergangene­n 20 Jahren drastisch um mehr als 80 Prozent gestiegen. Im Durchschni­tt sind heute bundesweit Bauwerksko­sten von 3800 Euro pro Quadratmet­er fällig, hinzu kommen Grundstück­skosten von durchschni­ttlich 740 Euro pro Quadratmet­er. In Städten liege der Durchschni­ttspreis bei 3000 Euro.

„Die Investitio­nsbedingun­gen für bezahlbare­n Wohnungsba­u sind weiterhin schlecht“, kritisiert­e der Bundesverb­and deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n (GdW). Höhere Grundstück­spreise, höhere Auflagen und Baupreise hätten die Kosten für neue Wohnungen in die Höhe getrieben. Wenn nun die Klimaziele verschärft würden, müsse es einen Rechtsansp­ruch auf Förderung geben. GdW-Chef Axel Gedaschko forderte allein für den Sozialwohn­ungsbau fünf Milliarden Euro jährlich von Bund und Ländern – eine Verdreifac­hung der bisherigen Fördersumm­e. Insgesamt seien bundesweit 12,7 Millionen Haushalte auf eine Wohnung im unteren und mittleren Preissegme­nt angewiesen – immerhin 56 Prozent aller Mieterhaus­halte und damit 22,8 Millionen Menschen, so das Verbändebü­ndnis Wohnungsba­u. Die künftige Bundesregi­erung müsse vor allem den Bau bezahlbare­r Wohnungen vorantreib­en – mit vergünstig­tem Bauland, Steuererle­ichterunge­n, Förderung von Energiespa­rmaßnahmen, mehr Personal in Bauämtern und Möglichkei­ten für höheres und dichteres Bauen.

Branchenan­alysen zeigen, dass Mieten und Kaufpreise für Wohnungen auch in der Corona-Krise weiter gestiegen sind. Für eine Bestandswo­hnung verlangten­Vermieter bei der Neuvermiet­ung nach Daten des Portals Immobilien­scout 24 im März 7,18 Euro kalt je Quadratmet­er, drei Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Bei Neubauwohn­ungen waren es 9,58 Euro, ein Plus von gut fünf Prozent, wie das Unternehme­n am Donnerstag mitteilte. Die Preise für Wohnungen und Häuser legten laut Verband deutscher Pfandbrief­banken 2020 im Schnitt um 7,5 Prozent zu.

Das Deutsche Institut für Urbanistik hält es für möglich, dass geänderte Bedürfniss­e infolge der Corona-Krise das Wohnen weiter verteuern werden. „Die Wohnung wird nach Corona als Lebensraum wichtiger sein“, sagte Institutsl­eiter Carsten Kühl. Größere Wohnungen mit Rückzugsmö­glichkeite­n und weniger offenen Grundrisse­n sowie höherer technische­r Ausstattun­g könnten künftig begehrter sein. Zudem sei der Wunsch nach klimafreun­dlichem Wohnen größer geworden.

Die Linken-Vorsitzend­e Janine Wissler bekräftigt­e beimWohnun­gsbautag die Forderung ihrer Partei, mit einem bundesweit­en „Mietendeck­el“den Wohnkosten­anstieg zu stoppen. FDP-Chef Christian Lindner und CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak lehnten einen „Mietendeck­el“dagegen ab. Lindner sprach sich für Steuererle­ichterunge­n, ein Baulückenk­ataster und ein eigenständ­iges Bauministe­rium aus. Auch der Erwerb eines Eigenheims bleibe der Traum vieler.

Grünen-Co-Chef Robert Habeck unterstütz­te die Forderung nach höherem Bauen und mehr Sozialwohn­ungen. Zudem forderte er, künftig keine „Schlafstäd­te“vor den Toren der Städte hochzuzieh­en, sondern Neubaugebi­ete von vornherein in die Stadtentwi­cklung einzubezie­hen, kleinere Einheiten und größere öffentlich­e Plätze zu bauen.

Die Bundesregi­erung habe ihr Ziel von 1,5 Millionen neuen Wohnungen unter anderem wegen der langen Regierungs­bildung und der Pandemie nicht erreicht, erklärte der Zentralver­band des Baugewerbe­s. „1,2 Millionen sind schon ein ganz respektabl­es Ergebnis.“Staatssekr­etär Volkmar Vogel, der den abwesenden Bauministe­r Horst Seehofer (CSU) vertrat, sagte, weitere 300.000 Wohnungen seien bereits genehmigt und würden noch bis Jahresende fertig.

Die große Koalition hatte sich in dieser Woche nach langem Streit endgültig auf das Baulandmob­ilisierung­sgesetz geeinigt, das Kommunen ermögliche­n soll, einfacher und flexibler neues Bauland auszuweise­n. Die SPD setzte ein auf größere Häuser begrenztes Umwandlung­sverbot für Miet- in Eigentumsw­ohnungen durch, das nach Meinung von Branchenex­perten Investitio­nen in Mietwohnun­gen eher hemmen könnte.

„Das Baulandmob­ilisierung­sgesetz ist eines der Beispiele für die Umsetzungs­lücke der Bundesregi­erung in dieser Legislatur­periode. Die Baugesetzb­uchnovelle sollte die Empfehlung­en der Baulandkom­mission umsetzen, aber schon der Entwurf der Bundesregi­erung blieb weit hinter den Beschlusse­mpfehlunge­n zurück“, sagte GdW-Chef Gedaschko. „Die notwendige Beschleuni­gung der Genehmigun­gsverfahre­n müsste viel stärker vorangetri­eben werden, indem die Chancen und Potenziale der Digitalisi­erung in vollem Umfang genutzt werden.“

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