„Wir sehen mehr schwer verletzte Kinder“
Kinderschützer sind besorgt, weil die Pandemie Gewalttäter offenbar aggressiver macht. Am UKD soll dazu jetzt geforscht werden.
Schütteltrauma mit Todesfolge, Knochenbrüche aus unterschiedlichen Lebensphasen und immer wieder Hämatome als sichtbare Folgen einer Misshandlung durch jene, denen Kinder eigentlich vertrauen: Kinderschutz-Experten sind besorgt, weil sie in den vergangenen Monaten häufiger schwerwiegende Verletzungen bei Heranwachsenden beobachtet haben. „Wir gehen davon aus, dass die besonderen Belastungen durch die Pandemie hierbei eine Rolle spielen“, sagt Stefanie Ritz-Timme, Direktorin der Rechtsmedizin am Universitätsklinikum (UKD). Aufgefallen ist das, obwohl 2020 die Gesamtheit aller Fälle, die bei der rechtsmedizinischen Ambulanz registriert wurden, rückläufig war. Mit 359 lag diese Zahl unter dem erwarteten Niveau von deutlich mehr als 400 Fällen. An diesem Punkt warnt Ritz-Timme aber vor falschen Schlussfolgerungen .„ Diese Gesamtzahl enthält auch die erwachsenen Opfer von gewalttätigen Übergriffen. Und sie dokumentiert nur, dass weniger Menschen in den Blick unseres Instituts geraten, nicht dass Gewalt in der Pandemie tatsächlich rückläufig ist.“
Die Sorgen der Ärztin teilen die Mitarbeiter des Kinder hospizes Regenbogen land .„ Normalerweise betreuen wir Kinder, bei denen eine Krankheit das Leben verkürzt. Zuletzt mussten wir uns vermehrt um Heranwachsende kümmern, deren Leben durch Gewalt für immer verändert wurde“, sagt Gisela Janßen. Die Ärztin leitet die Kinderpalliativ station amUKDundge hört zum Beirat des Hospizes.
„Es macht einen wütend und geht richtig an die Nerven, wenn wir ein Kind begleiten, das ohne die Gewalteinwirkung aus seinem engsten Umfeld eigentlich gesund sein könnte“, sagt Susanne Klösener, die im Hospiz Kinder begleitet. Tatsächlich sei die Situation komplex. Denn oft befinde sich unter denen, die das Kind im Hospiz besuchen, auch der Täter. „In diesen Fällen ist es schwer, professionell zu bleiben. Oft ist das Unvorstellbare geschehen und man denkt die ganze Zeit ,Was hast du bloß dem Kind angetan'?“, sagt Klösener. Bei drei Fällen, in denen Eltern oder Partner der Eltern ein Kind geschüttelt und dabei jede Kontrolle verloren haben, wurde das Hospiz in jüngerer Vergangenheit eingebunden. „Zwei Kinder verstarben, im letzten Fall hat der Säugling zwar überlebt, allerdings mit schwersten Verletzungen“, sagt Norbert Hüsson, Vorsitzender des Hospiz-Fördervereins.
Welche Auswirkungen die Pandemie auf die gegen Kinder gerichtete Gewalt hat, wollen die Wissenschaftler der Rechtsmedizin jetzt genauer untersuchen. „Wir brauchen jenseits unserer Eindrücke und Erlebnisse belastbare Zahlen“, sagt Ritz-Timme. Eine ihrer Doktorandinnen hat damit begonnen, diese Daten zu sammeln. So werden jenseits der Rechtsmedizin auchVorfälle aus Kliniken des Großraums Düs
seldorf miteinbezogen. Für einen noch effizienteren Umgang mit dem Thema Gewalt an Kindern setzen die Experten zudem auf ein Modellprojekt mit bundesweiter Strahlkraft. Benannt werden soll der künftige Neubau nach Elisabeth Trube-Becker, der in Düsseldorf geborenen und später hier auch lehrenden Professorin für Rechtsmedizin. „Das Grundstück auf dem Campus des UKD gibt es bereits, was noch fehlt, ist Geld“, sagt Ritz-Timmme. Das Gebäude auf dem UKD-Gelände soll unter anderem die Ambulanz für Gewaltopfer, das Childhood-Haus, in dem Opfer ohne direkte Konfrontation mit dem Täter befragt werden, sowie das sozialpädiatrische Zentrum räumlich zusammenbringen. Rund acht Millionen Euro wird der Bau kosten.„Ohne weitere Spenden ist das aber nicht umsetzbar“, betont die Professorin.