Rheinische Post

„Wir sehen mehr schwer verletzte Kinder“

Kinderschü­tzer sind besorgt, weil die Pandemie Gewalttäte­r offenbar aggressive­r macht. Am UKD soll dazu jetzt geforscht werden.

- VON JÖRG JANSSEN

Schütteltr­auma mit Todesfolge, Knochenbrü­che aus unterschie­dlichen Lebensphas­en und immer wieder Hämatome als sichtbare Folgen einer Misshandlu­ng durch jene, denen Kinder eigentlich vertrauen: Kinderschu­tz-Experten sind besorgt, weil sie in den vergangene­n Monaten häufiger schwerwieg­ende Verletzung­en bei Heranwachs­enden beobachtet haben. „Wir gehen davon aus, dass die besonderen Belastunge­n durch die Pandemie hierbei eine Rolle spielen“, sagt Stefanie Ritz-Timme, Direktorin der Rechtsmedi­zin am Universitä­tsklinikum (UKD). Aufgefalle­n ist das, obwohl 2020 die Gesamtheit aller Fälle, die bei der rechtsmedi­zinischen Ambulanz registrier­t wurden, rückläufig war. Mit 359 lag diese Zahl unter dem erwarteten Niveau von deutlich mehr als 400 Fällen. An diesem Punkt warnt Ritz-Timme aber vor falschen Schlussfol­gerungen .„ Diese Gesamtzahl enthält auch die erwachsene­n Opfer von gewalttäti­gen Übergriffe­n. Und sie dokumentie­rt nur, dass weniger Menschen in den Blick unseres Instituts geraten, nicht dass Gewalt in der Pandemie tatsächlic­h rückläufig ist.“

Die Sorgen der Ärztin teilen die Mitarbeite­r des Kinder hospizes Regenbogen land .„ Normalerwe­ise betreuen wir Kinder, bei denen eine Krankheit das Leben verkürzt. Zuletzt mussten wir uns vermehrt um Heranwachs­ende kümmern, deren Leben durch Gewalt für immer verändert wurde“, sagt Gisela Janßen. Die Ärztin leitet die Kinderpall­iativ station amUKDundge hört zum Beirat des Hospizes.

„Es macht einen wütend und geht richtig an die Nerven, wenn wir ein Kind begleiten, das ohne die Gewalteinw­irkung aus seinem engsten Umfeld eigentlich gesund sein könnte“, sagt Susanne Klösener, die im Hospiz Kinder begleitet. Tatsächlic­h sei die Situation komplex. Denn oft befinde sich unter denen, die das Kind im Hospiz besuchen, auch der Täter. „In diesen Fällen ist es schwer, profession­ell zu bleiben. Oft ist das Unvorstell­bare geschehen und man denkt die ganze Zeit ,Was hast du bloß dem Kind angetan'?“, sagt Klösener. Bei drei Fällen, in denen Eltern oder Partner der Eltern ein Kind geschüttel­t und dabei jede Kontrolle verloren haben, wurde das Hospiz in jüngerer Vergangenh­eit eingebunde­n. „Zwei Kinder verstarben, im letzten Fall hat der Säugling zwar überlebt, allerdings mit schwersten Verletzung­en“, sagt Norbert Hüsson, Vorsitzend­er des Hospiz-Fördervere­ins.

Welche Auswirkung­en die Pandemie auf die gegen Kinder gerichtete Gewalt hat, wollen die Wissenscha­ftler der Rechtsmedi­zin jetzt genauer untersuche­n. „Wir brauchen jenseits unserer Eindrücke und Erlebnisse belastbare Zahlen“, sagt Ritz-Timme. Eine ihrer Doktorandi­nnen hat damit begonnen, diese Daten zu sammeln. So werden jenseits der Rechtsmedi­zin auchVorfäl­le aus Kliniken des Großraums Düs

seldorf miteinbezo­gen. Für einen noch effiziente­ren Umgang mit dem Thema Gewalt an Kindern setzen die Experten zudem auf ein Modellproj­ekt mit bundesweit­er Strahlkraf­t. Benannt werden soll der künftige Neubau nach Elisabeth Trube-Becker, der in Düsseldorf geborenen und später hier auch lehrenden Professori­n für Rechtsmedi­zin. „Das Grundstück auf dem Campus des UKD gibt es bereits, was noch fehlt, ist Geld“, sagt Ritz-Timmme. Das Gebäude auf dem UKD-Gelände soll unter anderem die Ambulanz für Gewaltopfe­r, das Childhood-Haus, in dem Opfer ohne direkte Konfrontat­ion mit dem Täter befragt werden, sowie das sozialpädi­atrische Zentrum räumlich zusammenbr­ingen. Rund acht Millionen Euro wird der Bau kosten.„Ohne weitere Spenden ist das aber nicht umsetzbar“, betont die Professori­n.

 ?? FOTO: END ?? Stefanie Ritz-Timme
FOTO: END Stefanie Ritz-Timme

Newspapers in German

Newspapers from Germany