Kommt das Unternehmensstrafrecht noch?
GASTBEITRAG: Mehr Frauen in die Führungsetagen, mehr Compliance und höhere Strafen für Unternehmen, all das plant die Bundesregierung für die Wirtschaft. Doch womit müssen die Unternehmen in dieser Legislaturperiode wirklich noch rechnen?
Die Führung der Unternehmen wird nur langsam weiblicher, Wirtschaftsskandale von Dieselgate bis Wirecard-Affäre liefern gute Argumente dafür, Unternehmenskriminalität stärker zu sanktionieren und Anreize für Investitionen in funktionierende Compliance-Systeme zu setzen. Während der Gesetzgeber in Sachen Frauen in Führungspositionen zögerlich bleibt, schießt er beim Thema Unternehmenskriminalität übers Ziel hinaus. Mindestens eines der Vorhaben könnte noch scheitern.
Mehr Frauen in Führung, nächster Versuch
Diversity-Themen, die über die Förderung von Frauen hinausgehen, geht der Gesetzgeber derzeit – schon aus Gründen des Datenschutzes – nicht an. Unternehmen wie auch die sie beratenden Kanzleien bemühen sich in den vergangenen Jahren hingegen aktiv um eine diversere Kultur für mehr Chancengleichheit, bislang ganz ohne Regulierungsdruck. Unter Druck geraten die Unternehmen schließlich aus wirtschaftlichen Gründen: Sie müssen ein Umfeld schaffen, in dem Chancengleichheit herrscht, ob für Männer und Frauen, für Menschen mit Migrations- oder LGBTQ-Hintergrund. Nur so können sie in Zeiten des Fachkräftemangels auch künftig qualifiziertes Personal an ihr Unternehmen binden. In den Führungsetagen aber fruchtet das zunehmende Engagement bisher kaum. Das Zweite Führungspositionengesetz soll nun schaffen, was bislang in vielen Jahren leerer Versprechen der Unternehmen nicht gelungen ist: den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. In Vorständen mit mehr als drei Mitgliedern börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen soll künftig eine Frau sitzen. Auch weiterhin können sich Unternehmen für Führungspositionen die Quote Null geben, bloß erklären sollen sie das künftig. Das FüPoG II, das eigentlich zeitnah in Kraft treten sollte, wurde zwischenzeitlich in den Ausschuss für Wirtschaft und Energie überwiesen.
Hohe Strafen für Unternehmen ohne funktionierende Compliance-Systeme
Damit ist es allerdings schon weiter gekommen als das sogenannte Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, besser bekannt als „Verbandssanktionengesetz“(VerSanG). Beide Namen des Vorhabens sind bestenfalls irreführend: Es geht um die Einführung von Strafen für Unternehmen. Unternehmen aller Größen sollen hohe Geldstrafen zahlen, wenn Manager unternehmensbezogene Straftaten begehen. Zahlen sollen sie aber auch, wenn nichtleitendes Personal Fehlverhalten begeht, das das Management durch angemessene Compliance-Maßnahmen hätte verhindern können. Es gibt allerdings die Möglichkeit tätiger Reue: Beteiligt sich ein Unternehmen durch interne Untersuchungen an der Aufklärung des Fehlverhaltens und liefert der Staatsanwaltschaft seine Ermittlungsergebnisse, soll das Gericht die Strafe mildern. Der Entwurf betrifft keineswegs, wie der Name suggeriert, nur Verbände. Er geht auch nicht nur Großkonzerne an. Zwar sollen große Unternehmen ab 100 Millionen Euro Jahresumsatz künftig Strafen von bis zu zehn Prozent ihres Jahresumsatzes zahlen müssen, während heute, ohne Unterscheidung nach der Unternehmensgröße, Bußgelder nur maximal zehn Millionen Euro betragen dürfen. Doch auch kleine und mittlere Unternehmen könnten, wenn das Gesetz kommt, künftig häufiger in die Schusslinie geraten. Bisher können die Staatsanwaltschaften entscheiden, ob sie ein Bußgeldverfahren gegen ein Unternehmen einleiten. Diese Entscheidungen fallen regional sehr unterschiedlich aus, zumal die Justiz nicht erst durch die Pandemie in weiten Teilen überlastet ist. In Zukunft sollen die Strafverfolger dagegen bei einem Verdacht gegen ein Unternehmen stets ermitteln müssen.
Manager in Angst
Neben Unternehmen svertreterinnen und -vertretern kritisieren auch juristische Expertinnen und Experten das Vorhaben scharf. Ihre Kritik betrifft unter anderem die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards, wenn ein Unternehmen sich durch interne Untersuchungen quasi selbst belasten muss, um seine Strafe zu mildern. Die Unternehmen fürchten vor allem, durch das VerSanG zur Einführung höchst bürokratischer Compliance-Management-Systemen gezwungen zu werden. Auch Managerinnen und Manager befürchten Konsequenzen: Wenn ein Unternehmen für kriminelle Handlungen potenziell aller Mitarbeitenden schon deshalb haftet, weil kein Compliance-Management-System diese Handlungen verhindert hat, sind auch seine Führungskräfte ständig in Gefahr. Sie können, müssen wohl sogar vom Unternehmen in Regress genommen werden, auch wenn sie selbst keinerlei kriminelle Energie entfaltet oder verbrecherische Handlung begangen haben. Es liegt nahe, dass dieses Damoklesschwert einer persönlichen Haftung auch Auswirkungen auf unternehmerisches Handeln hätte.
Kommt das VerSanG noch?
Mittlerweile darf man bezweifeln, dass das Unternehmensstrafrecht in dieser Legislaturperiode noch kommen wird. CDU/CSU verhindern seit fast einem halben Jahr, dass der Entwurf auch nur im Bundestag beraten wird. Das ist bemerkenswert, weil Union und SPD sich auf die Grundzüge des Vorhabens im Koalitionsvertrag bereits recht detailliert geeinigt haben. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) bestätigte beim RP-Forum „Düsseldorfer Dialog zur Rechtspolitik“, dass CDU/CSU vor allem die geplante Pflicht für Staatsanwälte ablehnten, im Fall von Unternehmensstraftaten stets zu ermitteln. Dabei ist auch dieser Wechsel zum Legalitätsprinzip im Koalitionsvertrag ausdrücklich vereinbart worden. In der Wirtschaft und im Recht dürfte die Union sich mit dieser Blockade Freunde machen. Die Idee, Unternehmenskriminalität stärker zu sanktionieren und Unternehmen zu belohnen, die dagegen Vorsorge treffen, könnte aber auch in der kommenden Legislaturperiode wieder zurückkommen. Die deutschen Unternehmen wären gut beraten, in Sachen Compliance-Management moderat aufzurüsten, ganz freiwillig. Ihre Bemühungen der vergangenen Jahre um mehr Diversity zeigen schließlich: Es geht doch.
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