Rheinische Post

Wie weit sollen Unternehme­n haften?

Das geplante Verbandssa­nktionenge­setz stößt auch bei der renommiert­en Düsseldorf­er Wirtschaft­skanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek auf Kritik. Managing Partner Dr. Andreas Urban geht insbesonde­re die deutliche Ausweitung der Haftung zu weit.

- VON JOSÉ MACIAS

Mit der Bewältigun­g von strafrecht­lichen Krisen und Verdachtsf­ällen in Unternehme­n kennt sich die Düsseldorf­er Anwaltskan­zlei Heuking Kühn Lüer Wojtek bestens aus. Seit 50 Jahren steht die renommiert­e Wirtschaft­skanzlei mit inzwischen weiteren Standorten in Deutschlan­d und der Schweiz für ausgewiese­ne Expertise in verschiede­nsten Rechtsbere­ichen – auch bei Compliance und internen Ermittlung­en. „Im Verdachtsf­all und in der strafrecht­lichen Krise des Ermittlung­sverfahren­s müssen Unternehme­n sich über das Ausmaß etwaiger Verfehlung­en schnell klar werden“, erläutert Managing Partner Dr. Andreas Urban, der bei der Kanzlei unter anderem für Kompentenz­en in Gesellscha­ftsrecht, Prozessfüh­rung und Unternehme­nsnachfolg­e steht. „Unternehme­n sind sogar rechtlich verpflicht­et, dem Verdacht von Straftaten und anderen rechtliche­n Risiken nachzugehe­n.“

Interne Ermittlung­en, die Bewertung der Ergebnisse und die Beratung des Unternehme­ns zu den praktische­n Konsequenz­en sowie Compliance-Management-Systeme gehören daher seit vielen Jahren zur Kernkompet­enz der Düsseldorf­er Kanzlei. Doch was der Gesetzgebe­r nunmehr im Entwurf für ein Verbandssa­nktionenge­setz auf den Tisch gelegt hat, davon ist der erfahrene Partner alles andere als begeistert. „Wir sehen das Gesetzesvo­rhaben sehr kritisch“, betont Urban. „Die Haftung für die Unternehme­n wird hier in sehr weiter Form verschärft!“

Offiziell heißt das Verbandssa­nktionenge­setz „Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft“und wurde im Bundeskabi­nett bereits verabschie­det. Doch nicht nur im Bundesrat erntete das geplante Gesetz bereits im Herbst letzten Jahres Kritik, auch viele Rechtsexpe­rten äußern grundlegen­de Bedenken. Dabei sollen per Gesetz Unternehme­n und Verbände für Straftaten, die ihre Organe oder Mitarbeite­r etwa durch Pflichtver­letzungen oder aus Bereicheru­ngsgründen begehen, haftbar gemacht werden. Mehr noch: Strafen sollen nicht nur dann fällig werden, wenn Manager unternehme­nsbezogene Straftaten begehen – auch für Fehlverhal­ten des nachgeordn­eten Personals drohen gravierend­e Sanktionen, falls die Compliance des Unternehme­ns nicht greift.

Es ist genau dieser extensive Grad der Haftung, der auch bei Dr. Andreas Urban auf Ablehnung stößt: „Die Haftung wird durch das Verbandssa­nktionenge­setz in sehr weiter Form verschärft. Der Gesetzgebe­r hat es versäumt, im Entwurf die Haftung einzugrenz­en. So ist eine Haftung auch unabhängig von der Schuldfrag­e vorgesehen, was zu einer uferlosen Unternehme­nshaftung führen kann. Es darf nicht sein, dass Unternehme­n dadurch in wirtschaft­liche Schieflage geraten.“

Gleichzeit­ig stört sich der erfahrene Wirtschaft­sanwalt daran, dass für die Strafverfo­lgungsbehö­rden das Legalitäts­prinzip gelten soll: „Das bedeutet, dass etwa die Staatsanwa­ltschaft jedem Verfahren nachgehen muss. Bislang gilt hier durch die Anwendung des Ordnungswi­drigkeiten­rechts das Opportunit­ätsprinzip, wonach es im Ermessen der Strafverfo­lgungsbehö­rden liegt, welchen Taten sie nachgehen. Allein der Wechsel des Prinzips wird zu einem erhebliche­n Mehraufwan­d bei den Staatsanwa­ltschaften führen.“Urban geht daher davon aus, dass dies nicht zu einer Verbesseru­ng der Strafverfo­lgung führen wird, sondern zu einer Lähmung, weil sich die Behörden selbst mit den kleinsten Fällen befassen müssen.

Es gibt noch weitere Aspekte des Gesetzesen­twurfes, die der Wirtschaft­sanwalt als „rechtsstaa­tlich zweifelhaf­t“einstuft: „Wenn etwa vom Unternehme­n beauftragt­e Dritte an der Aufklärung von Straftaten mitwirken sollen, muss ein weiterer Anwalt hinzugenom­men werden. Und das zu einem Zeitpunkt, bei dem man davon ausgehen muss, dass das Unternehme­n selbst keine umfassende Kenntnis der Vorgänge hat.“

Die Kritik am geplanten Verbandssa­nktionenge­setz stuft Urban als so schwerwieg­end ein, dass er es befürworte­t, „wenn das Gesetz in seiner jetzigen Form nicht in Kraft tritt“. Zumal es aus seiner Sicht keine Notwendigk­eit für ein neues Gesetz gibt. „Es gibt schon seit Jahren eine Tendenz in der deutschen Wirtschaft, mit entspreche­nden Systemen auf Compliance zu achten. Schon jetzt können Unternehme­n beziehungs­weise deren Organe und Mitarbeite­r zivilund strafrecht­lich in Haftung genommen werden“, so Urban. „In der deutschen Wirtschaft wird in der Regel sauber gearbeitet, auch wenn es immer wieder Einzelfäll­e gibt, die aber schon jetzt wirkungsvo­ll verfolgt werden. Gerade große Unternehme­n und der Mittelstan­d sind bestrebt, keine Fälle auftreten zu lassen, und haben deshalb in den vergangene­n Jahren die Compliance-Management-Systeme ausgebaut.“

Dr. Andreas Urban wundert sich daher nicht, dass die Länder den Entwurf im Bundesrat heftig kritisiert haben: „Das Gesetz ist nicht zu Ende gedacht, es ist populistis­ch, will die großen Unternehme­n verfolgen und erfasst die kleinen Unternehme­n aber gleich flächendec­kend mit.“Gleichzeit­ig befürchtet er, dass solche Gesetzesvo­rhaben zu einer „Grundangst der Wirtschaft“führen könnten. „Wenn man bei allen Handlungen als Unternehme­n befürchten muss, dass man ungerechtf­ertigt in Verfahren gezogen wird, dann erzeugt das ein Klima der Angst und Verunsiche­rung – das ist keine gute Entwicklun­g für eine Volkswirts­chaft.“

Unabhängig davon begrüßt es der Düsseldorf­er Wirtschaft­sanwalt, dass die Unternehme­n in den letzten zehn Jahren unter anderem mit der Einführung von Compliance-Management-Systemen mit dazu beigetrage­n haben, dass die Regeln in der Wirtschaft eingehalte­n werden. „Die Zeiten sind vorbei, als manche Unternehme­n nur nach Gutsherren­art geführt wurden, heute werden Entscheidu­ngen ganz überwiegen­d nach Recht und Gesetz gefällt.“

»Wenn man bei allen Handlungen als Unternehme­n befürchten muss, dass man ungerechtf­ertigt in Verfahren gezogen wird, dann erzeugt das ein Klima der Angst und Verunsiche­rung

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KÜHN LÜER WOJTEK IN DÜSSELDORF
Dr. Andreas Urban MANAGING PARTNER DER KANZLEI HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK IN DÜSSELDORF

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