Rheinische Post

Der Fall Ofarim und die Folgen

- VON DOROTHEE KRINGS MIT DAVIDSTERN ODER OHNE?, POLITIK

Menschen, denen Unrecht widerfahre­n ist, nicht zu glauben, ist ein schwerer Fehler, denn es macht Betroffene erneut zu Opfern. Es ist also verständli­ch, dass Bestürzung und Anteilnahm­e groß waren, als der Sänger Gil Ofarim in einem aufwühlend­en Video von antisemiti­schen Anfeindung­en in einem Leipziger Hotel berichtete. Klarheit über den genauen Verlauf des Vorfalls war zunächst nicht zu gewinnen; das Hotel selbst erklärte damals, es nehme die Vorwürfe „extrem ernst“.

Nun legen Überwachun­gsvideos nahe, dass sich der Vorfall mindestens deutlich anders abgespielt haben könnte, als Ofarim dies schildert. Auslöser für die Anfeindung­en war nach Ofarims Angaben eine Kette mit dem Davidstern gewesen, die er in seinem eigenen Videostate­ment an jenem Abend um den Hals trug, doch auf den Überwachun­gsbildern ist diese Kette nicht zu sehen. Sollte sich bewahrheit­en, dass ein Kernelemen­t in Ofarims Schilderun­g nicht der Wahrheit entspricht, wäre der Schaden enorm – für die möglicherw­eise fälschlich beschuldig­ten Hotelmitar­beiter, für das Hotel, für die Stadt Leipzig, vor allem aber für all jene Menschen, die tatsächlic­h von Antisemiti­smus betroffen sind oder waren. Und für jene, die sich gegen Antisemiti­smus engagieren.

Denn natürlich kursieren in digitalen Netzwerken nun Kommentare, in denen Schilderun­gen antisemiti­scher Übergriffe generell in Zweifel gezogen werden. Und Pandemie und Klimawande­l gleich mit. Was kann jenen, die Feindschaf­t gegen Juden und Alltagsdis­kriminieru­ng in Deutschlan­d abstreiten, Besseres passieren, als dass sich auch nur ein solcher Fall als übertriebe­n oder konstruier­t herausstel­lt? Opfern nicht zu glauben, ist ein schwerer Fehler. Antisemiti­smus vorzutäusc­hen, ist unverzeihl­ich. Die Polizei ermittelt weiter. Das Ergebnis bleibt abzuwarten.

BERICHT

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