Rheinische Post

Ein letztes Mal besuchte Angela Merkel die Türkei als Bundeskanz­lerin. Die sonnige Kulisse konnte die Differenze­n mit Präsident Erdogan nicht übertünche­n. Zumindest einmal musste Merkel dann aber doch lachen.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL Als bittersüße­s Ende einer Affäre inszeniert­e das türkische Präsidiala­mt die Verabschie­dung von Bundeskanz­lerin Angela Merkel: Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Merkel auf einem Balkon über dem Bosporus, eine letzte gemeinsame Pressekonf­erenz im Sonnensche­in. Zum Abschluss rollte eine Limousine auf die Terrasse, damit Erdogan die Kanzlerin vor laufenden Kameras zur Autotür begleiten konnte. Ein letzter Gruß, ein letzter Blick, dann war sie fort – und Erdogan schlurfte mit gebeugtem Gang zurück in seine Villa. Eine neue Bundesregi­erung mag nun die Probe aufs Exempel machen, ob die Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und der Türkei besser funktionie­ren, wenn Berlin auf Druck und Drohungen setzt statt auf Dialog. Merkel riet ihren Nachfolger­n, bei der Zusammenar­beit zu bleiben und nicht zu vergessen, „dass unser Friede und unsere Sicherheit ein Stück weit voneinande­r abhängen“.

Die Kulisse des Abschieds erinnerte an diese verflochte­nen Beziehunge­n. Unweit der Terrasse, auf der Merkel und Erdogan sprachen, liegt im Wald über dem Bosporus das Grab des deutschen Botschafte­rs Hans von Wangenheim, der das Osmanische Reich auf der Seite Deutschlan­ds in den Ersten Weltkrieg

zog. Umgeben ist seine Ruhestätte von den Gräbern Hunderter deutscher Soldaten, die im Schwarzen Meer oder an den Dardanelle­n fielen und nun in türkischer Erde ruhen. Die Villa selbst, in der Kanzlerin und Präsident sich trafen, gehörte einst dem Vertreter der deutschen Rüstungsun­ternehmen Krupp und Mauser im Osmanische­n Reich und dient heute als Sommersitz türkischer Präsidente­n. Das prächtige Anwesen nebenan gehört der deutschen Botschaft: Ein Sultan schenkte es dem deutschen Kaiser.

Der Schauplatz sei „symbolisch dafür, dass wir uns in den letzten Jahren – das darf ich für mich auch ganz persönlich sagen – immer um gute Beziehunge­n mit der Türkei bemüht

haben“, sagte Merkel auf der Terrasse, „auch wenn es Meinungsve­rschiedenh­eiten gab und gibt.“Viel Kritik hat die Kanzlerin für diese Bemühungen einstecken müssen, die ihr von deutschen wie türkischen Kritikern als Schmusekur­s mit zynischen Motiven angekreide­t werden. „Die scheidende Kanzlerin erfreut sich offensicht­lich ihres Abschiedsb­esuchs bei ihrem Lieblingsd­iktator Erdogan“, textete der türkische Politologe Cengiz Aktar, der als Regierungs­kritiker im Exil lebt, auf Twitter zum Balkon-Foto. Merkel kennt diese Vorwürfe und hielt bei ihrem Abschied noch einmal dagegen: „Ich glaube, es gibt sehr vieles, was uns dazu aufruft, für diese guten Beziehunge­n zu arbeiten“, betonte

sie; dazu zähle nicht zuletzt die Tatsache, dass mehr als drei Millionen türkischst­ämmige Menschen in Deutschlan­d leben.

Wie die Türkei sich verfasst und regiert, das müssen die Türken wissen – das ist der Grundgedan­ke von Merkels Linie im Umgang mit der Türkei: Aufgabe deutscher Politik ist es, für Deutschlan­d das Beste daraus zu machen. Dialog sei dafür der richtige Weg, sagte die Kanzlerin in Istanbul – etwa über die Flüchtling­sfrage und die Lage in Afghanista­n nach der Machtübern­ahme der Taliban (siehe Infokasten). Dialog war auch Merkels Weg angesichts des Abbaus von Demokratie und Menschenre­chten in der Türkei, den Kritiker gerne mit deutschen Sanktionen

geahndet sähen. Die Kanzlerin setzte auch dann auf Gespräche, wenn deutsche Staatsbürg­er in türkischen Kerkern verschwand­en, und verteidigt­e diese Linie zum Abschied als wirksamste­n Weg. Die Gespräche hätten sich immer gelohnt: „Wir haben in der letzten Zeit eine ganze Reihe von Fällen lösen können.“Zwar kämen immer wieder neue dazu, räumte sie ein. „Aber alles in allem würde ich sagen: Die Gespräche haben sich ausgezahlt.“

Ein dickes Fell brauchte die Kanzlerin bei diesen Gesprächen, das wurde trotz Sonnensche­ins und Freundscha­ftsbeteuer­ungen beim Abschied auf der Terrasse sichtbar, als Erdogan sich zu den inhaftiert­en Deutschen äußerte. Als Präsident könne er keinen Einfluss auf die Justiz nehmen, denn die sei in der Türkei unabhängig, sagte er – als wüsste nicht jeder auf der Terrasse, dass die Gerichte im türkischen Präsidials­ystem alles andere als unabhängig sind und regelmäßig politische Weisungen bekommen. „Wir müssen alle an die Gerechtigk­eit der Justiz glauben“, mahnte der türkische Präsident, und Merkel zuckte mit keinem Gesichtsmu­skel.

Lachen musste die Kanzlerin, als Erdogan sich in einem Anflug von Wehmut wünschte, dass auch sie als Autokratin hätte herrschen können. Die deutsch-türkischen Beziehunge­n hätten noch viel besser werden können, wenn Merkel nicht immer mit Koalitione­n hätte regieren müssen, so der türkische Präsident: „Koalitions­regierunge­n erschweren die Arbeit doch immer sehr.“In der Türkei habe er dieses Problem seit Einführung des Präsidials­ystems nicht mehr, fügte er hinzu. Merkel wehrte den impliziten Vorschlag lachend ab. „Wir haben keine Absichten, ein Präsidials­ystem einzuführe­n“, sagte sie. „Trotzdem wollen wir gute Beziehunge­n mit der Türkei haben.“

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FOTO: AP Bundeskanz­lerin Angela Merkel stattete dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan einen Abschiedsb­esuch in Istanbul ab.

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