Vom aufreibenden Weg zu sich selbst
Adeles neue Single wird weltweit gefeiert. Mit „Easy on Me“zeigt sich die Künstlerin stimmlich in alter Größe.
DÜSSELDORF Nur ein paar gefühlvolle Klaviertakte reichten aus, um die Musikwelt in Verzückung zu versetzen. Innerhalb weniger Tage riefen mehr als 17 Millionen Menschen den 22 Sekunden langen Videoclip auf, der einen Vorgeschmack auf den Song „Easy on Me“gab, das erste musikalische Lebenszeichen der britischen Sängerin Adele seit sechs Jahren. Am Wochenende legte die 33-Jährige nun nach und veröffentlichte die Single in voller Länge. Die Künstlerin liefert, was die Fans von ihr erwarten: eine melancholisch grundierte, kraftvolle Pianoballade, die sie in stimmlich herausragender Form zeigt. Adele ist zurück.
Wie so oft in den Liedern der Sängerin geht es auch in „Easy on Me“um emotionale Krisen, um den schwierigen, aufreibenden Weg zu sich selbst. Vor drei Jahren trennte sie sich kurz nach der Hochzeit von Ehemann Simon Konecki, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn hat, Angelo. „Als ich 30 war, geriet mein Leben aus der Bahn, ohne Vorwarnung“, erzählte Adele kürzlich der „Vogue“. Den Titeln der Vorgängeralben entsprechend – „19“, „21“, „25“– soll auch die für den 19. November angekündigte Platte nach ihrem Alter betitelt sein. In diesem Fall also „30“.
Das Video zur ersten Single zeigt sie zunächst, in Schwarz-Weiß gehaltenen Bildern, in einem karg möblierten Haus. Sie schnappt sich den letzten gepackten Koffer, gönnt sich einen wehmütigen Blick aus dem Fenster und geht zum Wagen, der einen kleinen Anhänger mit ihrem Hausrat zieht. Auf der Fahrt in ein neues, plötzlich wieder farbsattes Leben singt sie vom Fluss, der kein Gold mehr enthält, dass sie alles versucht habe, aber feststeckte und nun aufgibt. Ein paar Notenblätter flattern hinter dem Auto her im Wind. Es ist ein kaum verbrämter Abgesang auf eine verglühte Liebe. Tausende Fans berichten in den sozialen Netzwerken davon, dass Adeles neuer Song sie zum Weinen gebracht habe.
Es sieht also ganz danach aus, als würde der phänomenale Höhenflug der Künstlerin anhalten. Ihr QuasiComeback hat sie präzise choreografiert, angefangen von den stylish in Schwarz-Weiß gehaltenen Filmschnipseln über das glanzvolle „Vogue“-Cover, das sie in einem schillernden Ballkleid zeigt, bis zu sorgfältig gesetzten Zitaten zum aktuellen Beziehungs- und Befindlichkeitsstand.
Wobei etwas aus dem Blick gerät, dass die einst sich gerne als volksnah inszenierende Sängerin offenbar schon seit Längerem dabei ist, einen fulminanten Imagewechsel zu vollziehen. Weg von der eher kumpelhaften Frau, die an der Pub-Theke auch mal derbe Witze erzählen kann, hin zur glamourösen Chanteuse, zur leicht alltagsentrückten Diva à la Lana del Rey.
Andererseits haftet das „Authentizitäts“-Etikett so hartnäckig an der Sängerin und ist auch integraler Teil ihrer Erfolgsgeschichte, dass sie selbst sehr vorsichtig mit ihrem neuen Erscheinungsbild umgeht, um niemanden zu vergrätzen. Im vergangenen Jahr zeigte sie sich deutlich erschlankt. Die mehr als 40 Kilogramm, die sie abgenommen hat, habe sie sich nicht mühsam abgehungert, erklärte Adele, sie seien sozusagen nebenbei beim Sport heruntergepurzelt. Die neue Single ist auch ein Zeugnis ihrer Selbstermächtigung; dass die 33-Jährige von heute anders denkt und fühlt als die 19-Jährige von damals, versteht sich von selbst. Wichtig für die Fans ist, dass sie ihrer Kunst treu bleibt, und das scheint sich mit der neuen Single zu bestätigen. Das kommende Album bietet laut Adele Selbstzerstörung, Selbstreflexion und Selbsterlösung. Viel Stoff zum Weinen also.