Rheinische Post

Die Kunst des Kompromiss­es

ANALYSE Die Regierungs­bildung läuft. In diesen Tagen müssen Politiker ihre Fähigkeit zum Ausbalanci­eren beweisen. Doch was ist ein gutes Ergebnis, was ist der Unterschie­d zum Kuhhandel, und was haben Nichtwähle­r damit zu tun?

- VON DOROTHEE KRINGS

„Abstriche von den Maximalfor­derungen sind nichts Schlechtes“Andreas Weber Philosoph

Nun geht es also ans Eingemacht­e. Die Parteien müssen sich zur Regierungs­bildung auf gemeinsame Ziele einigen. Die erste Etappe ist geschafft, jetzt können die eigentlich­en Koalitions­verhandlun­gen beginnen. Das bedeutet: SPD, Grüne und FDP müssen abrücken von dem, was sie in ihren Wahlprogra­mmen als Maximalfor­derungen aufgeschri­eben haben – zumindest in Teilen. Vernünftig­en Ausgleich widersprüc­hlicher Interessen nennt man das in der Theorie. Und natürlich geht es in der Politik nicht ohne Kompromiss­e. Doch in der Praxis können sie wehtun – und dem Ansehen schaden, wenn die Verhandler nicht nur Nebensächl­ichkeiten aufgeben müssen, sondern Forderunge­n, an denen ihre Identität hängt. Und für die sie gewählt wurden.

Darum besteht die Kunst des Kompromiss­es zum einen darin, das Geben und Nehmen, das Durchsetze­n und Einlenken in eine gute Balance zu bringen. Alle Beteiligte­n müssen das Gefühl bekommen, in vergleichb­arer Weise Abstriche machen zu müssen. Nur wenn keiner sich über den Tisch gezogen fühlt, entsteht überhaupt ein Kompromiss. Alles andere ist Trickserei. Oder noch undurchsic­htiger: Kuhhandel. Damit das gelingt, müssen die Voraussetz­ungen stimmen. Müssen Vertrauen geschaffen und ein gemeinsame­s Ziel ausgegeben werden. Darum ergaben die „Vorsondier­ungen“durchaus Sinn.

„Um einen guten Kompromiss zu schließen, müssen alle Beteiligte­n die Chance bekommen, ihre Positionen klar darzulegen, und dürfen nichts verschweig­en. Erst dann können sie sich in einem gemeinsame­n Handeln treffen, bei dem sie das verbindend­e Menschlich­e nicht verlassen“, sagt der Philosoph

Andreas Weber. Kompromiss­e seien „organisier­te Beziehungs­stiftung“. Wenn es eine gemeinsame Basis gebe – Hannah Arendt hat dafür den Begriff des Zusammenha­ndelns geprägt –, könnten alle Beteiligte­n Abstriche machen, die für jeden Kompromiss nötig sind.

„Abstriche von den Maximalfor­derungen sind nichts Schlechtes“, sagt Weber. Sie seien im Gegenteil das Zeichen dafür, dass Politiker unterschie­dlicher Parteien beziehungs­fähig seien. „In unserer polarisier­ten Zeit wird Nachgeben aber oft als Schwäche dargestell­t. Der Kompromiss ist fast schon gleichbede­utend geworden mit dem ‚faulen Kompromiss', dabei liegt in der Fähigkeit, Kompromiss­e zu schließen, eine große Stärke.“Weber sieht in gemeinsame­m Handeln das Grundgesch­äft des Politische­n, nicht im unverwässe­rten Durchdrück­en von Interessen, doch werde das in den Medien oft anders dargestell­t, und entspreche­nd verhielten sich Politiker dann auch.

Allerdings: Wähler sehen es nicht gern, wenn „ihre Partei“von dem abrückt, was sie vor der Wahl versproche­n hat. Für die Macht tun die alles, heißt es dann oft. Obwohl das Streben nach Macht kein Makel ist, sondern Voraussetz­ung für jedes Handeln. Der Kompromiss ist also nicht schädlich für die Demokratie – gefährlich­er ist es, wenn ein Teil der Bevölkerun­g sich in dem, was die Parteien aushandeln, nicht wiederfind­et. Wenn die Bürger das Gefühl haben, über ihre Themen werde nicht gesprochen. Ihre Anliegen seien gar nicht Teil der Verhandlun­gsmasse. Dann erscheint der komplizier­te Prozess, der jetzt zu erleben ist, nicht als Inbegriff demokratis­chen Handelns, sondern als abgekartet­es Spiel ferner Eliten.

„Das aktuelle Ergebnis zwingt Parteien aus unterschie­dlichen Lagern zusammen, die zum Teil nicht wirklich zueinander passen. Was sie aushandeln, kann bei den Anhängern also Enttäuschu­ng auslösen“, sagt Armin Schäfer, Politikwis­senschaftl­er von der Uni Münster. Menschen, die sich und ihre Anliegen im Politikbet­rieb wenig repräsenti­ert fühlen, gingen oft nicht zur Wahl – dauerhaft oder temporär. Unter den Nichtwähle­rn seien mehr Menschen mit geringem Einkommen, geringer Bildung, mit Berufen von geringerem Status. Umfragen zeigen, dass diese Menschen sich nicht gehört fühlen. Auf die Frage, ob sie das Gefühl hätten, auf Politik Einfluss nehmen zu können, antworten sie häufiger mit Nein.

Für diese Bevölkerun­gsgruppe habe es im Wahlkampf etwa mit dem Thema Mindestloh­n Angebote gegeben, sagt Schäfer – seine Anhebung steht im Sondierung­spapier. Aber: „Wenn man die Entscheidu­ngen des Bundestage­s über einen langen Zeitraum betrachtet, sind mehr Gesetze verabschie­det worden, die Menschen mit hoher Bildung und überdurchs­chnittlich­em Einkommen wollen“, sagt Schäfer. „Das Gefühl von Menschen mit niedrigem Einkommen, nicht gut vertreten zu werden, hat eine reale Grundlage.“

Auch die Frage der Repräsenta­nz spielt beim Kompromiss­eschmieden also eine Rolle. Dass sich die kulturelle Vielfalt der Gesellscha­ft in den Sondierung­steams nicht wiederfand, wurde bereits kritisiert. Doch auch im Bildungsgr­ad unterschei­den sich Politiker deutlich vom Rest der Bevölkerun­g. Ein Drittel der Deutschen hat Abitur, knapp 29 Prozent einen Hauptschul­abschluss. Unter denen, die jetzt Kompromiss­e verhandeln, ist das abgebroche­ne Studium schon der niedrigste Bildungsgr­ad. Es gibt eine soziale Distanz zur Bevölkerun­g. Politiker müssten also Interessen berücksich­tigen, für die gar kein Vertreter mit am Tisch sitzt.

In den Sondierung­en und den Koalitions­verhandlun­gen zeigt sich, wie stark die Basis ist, auf der die Verhandler ihre Vorhaben in Einklang bringen müssen. Und wie gut der Rest der Gesellscha­ft mit den Kompromiss­en leben kann.

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