Trumps stiller Coup
Ein Jahr nach der Präsidentschaftswahl ist Amerika tief gespalten. Demokraten und Republikaner stehen sich unversöhnlich gegenüber. Und im Hintergrund scheint der frühere Amtsinhaber an seiner Rückkehr zu arbeiten.
WASHINGTON Donald Trump ist wieder da. Einige sagen: Er war nie weg. Trump steht auf der Open-Air-Bühne am Messegelände von Des Moines und genießt das Bad in der Menge. Tausende seiner Anhänger sind gekommen, um ihren Präsidenten zu feiern. Viele Politiker haben Fans. Trump hat eine Armee von Glaubenskriegern, vergleichbar mit einem Kult. Der Ort für diese Veranstaltung ist symbolträchtig. Des Moines im ländlichen Iowa ist traditionell Stimmungstest und erste Bewährungsprobe für jeden Kandidaten auf dem Weg ins Weiße Haus.
Für viele seiner Anhänger ist Trump noch immer Präsident. Die verlorene Wahl, „die große Lüge“, wie er das selbst bezeichnet, zieht sich an diesem Abend wie ein roter Faden durch seine Rede. „Trump has won!“, Trump hat gewonnen, skandieren die Massen immer wieder frenetisch. Und sie sind damit nicht allein: Nach jüngsten Umfragen glauben zwei von drei Republikanern, dass die Wahl vor einem Jahr gefälscht war und Trump um seinen Sieg geprellt wurde.
Die Mär von einer gefälschten Wahl, eine Lüge, die für viele immer mehr zur Gewissheit wird, je öfter sie wiederholt – und von je mehr Menschen sie übernommen wird. Von Senatoren wie Chuck Grassley etwa. Noch im Januar hatte der Republikaner aus Iowa erklärt, Trump habe verloren, daran gebe es keine Zweifel. Davon will der 88-Jährige heute nichts mehr wissen. Grassley steht neben Trump und freut sich sichtlich über das Rampenlicht. Der Senator will 2022 noch einmal zur Parlamentswahl antreten. Um zu gewinnen, ist er auf Trumps Wohlwollen angewiesen: „Ich wäre nicht allzu klug, eine Wahlunterstützung von jemanden auszuschlagen, der hier in Iowa 91 Prozent aller republikanischen Stimmen geholt hat!“, sagt Grassley.
Seit Monaten rekrutiert Trump sein Netzwerk aus loyalen Gefolgsleuten.
Ein Phänomen, das auch in Washington zu beobachten ist, je näher die Parlamentswahlen rücken. Einflussreiche Kongressabgeordnete wie der Republikaner Steve Scalise aus Louisiana sträuben sich in TV-Interviews, die Rechtmäßigkeit der Biden-Präsidentschaft anzuerkennen. Offensichtlich fürchten sie den Zorn eines einzigen Zuschauers, der in seinem Luxusresort Mar-a-Lago in Florida sitzt und emsig an seinem Comeback arbeitet: Donald Trump.
Wer als Republikaner Ambitionen auf ein politisches Amt hat, kommt am Ex-Präsidenten nicht vorbei. „Trump ist in der Partei heute mächtiger als damals, als er noch Präsident war“, so Watergate-Reporter Bob Woodward. Wie der Star-Reporter in seinem jüngsten Bestseller „Peril“(auf Deutsch: „Gefahr“) beschreibt, sind die USA Anfang Januar nur knapp einem Staatsstreich entgangen. Dafür habe es sogar einen schriftlichen Plan gegeben. Nur einer Handvoll couragierter Menschen sei es zu verdanken, dass es am Ende nicht gelang, den Plan in die Tat umzusetzen.
Eine Panne, die kein zweites Mal vorkommen soll. Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, werden hinter den Kulissen bereits die politischen Weichen für Trumps Rückkehr gestellt. Wahlkreise werden neu zugeschnitten, mögliche Mehrheiten verändert. Gleichzeitig haben die Republikaner damit begonnen, die Wahlgesetze zu verschärfen, etwa durch Einschränkungen bei der Briefwahl oder durch neue Registrierungshürden. Seit Jahresbeginn haben Republikaner bereits 33 Wahlgesetze in 19 Bundesstaaten zu ihren Gunsten angepasst. Der Coup erfolgt nicht erst am Wahltag, er ist bereits in vollem Gange.
Sollte die Stimmauszählung zur Präsidentschaftswahl 2024 wieder nicht das gewünschte Ergebnis liefern, könnten Trump-Loyalisten in umkämpften Bundesstaaten intervenieren, eigenmächtig die Wahllisten frisieren und Trump zum Sieger
erklären – formal abgesichert durch eine (bis dahin wahrscheinliche) republikanische Mehrheit im Parlament sowie einen ohnehin schon mehrheitlich konservativ besetzten Obersten Gerichtshof.
Renommierte Wissenschaftler gehen mit ihren Prognosen sogar noch weiter. Sie halten gewaltsame Ausschreitungen rund um die Wahlen für denkbar. Eine Untersuchung der Universität Chicago hat ergeben, dass jeder fünfte US-Amerikaner der Meinung ist, die letzte Wahl sei gestohlen worden. Rund 20 Millionen jener Vertreter dieser These betrachten Gewalt als ein legitimes Mittel, um Trump zum rechtmäßigen Sieg zu verhelfen. Jeder Zweite von ihnen besitzt eine oder mehrere Schusswaffen.
Auch Trumps ehemalige Sprecherin im Weißen Haus, Stephanie Grisham, warnte kürzlich aus Anlass ihrer Buchvorstellung vor ihrem ExChef: Sollte Trump mit seinem Plan Erfolg haben und noch einmal an die Macht kommen, wäre das fatal. Da Präsidentschaften in den USA auf zwei Amtszeiten begrenzt sind, bräuchte er als wiedergewählter Präsident auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Donald Trump sei auf Rache aus, und er habe drakonische Pläne, lautet die Warnung.