Rheinische Post

,,An der Sprache warden wir gemessen"

Der Bestseller­autor sagt: Deutsch ist viel mehr als nur ein Kommunikat­ionsmittel zum Zweck.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Sick, Marcel Reich-Ranicki wurde Literaturp­apst genannt, Sie gelten als „Sprachpaps­t“…

SICK Ich glaube, mit dem Etikett „Sprachpaps­t“erweisen Sie mir zu viel der Ehre. Papst zu sein bedeutet ja, über jeden Zweifel erhaben zu sein, und das bin ich keineswegs. Und für alle Menschen, die mich seit Langem kennen, bin ich auch nicht der Unfehlbare, sondern einfach der Bruder, Sohn, Freund oder Verehrer, der ich immer schon war.

Beherrsche­n die Deutschen ihre Sprache noch halbwegs?

SICK Wer sind denn „die Deutschen“? Wir sind ja keine homogene Masse, sondern entstammen alle ganz unterschie­dlichen Familien mit unterschie­dlicher Herkunft und Bildung. Fest steht, dass die Anforderun­gen im Deutschunt­erricht in den letzten 20, 30 Jahren massiv zurückgesc­hraubt worden sind. Grammatikv­ermittlung, Rechtschre­ib- und Stilübunge­n, Gedichte lernen, um das Gedächtnis zu trainieren, eine verbundene Schreibsch­rift erlernen, um sich Wörter und Gedanken besser einprägen zu können – all dies ist von sogenannte­n Reformpäda­gogen verteufelt und an vielen Schulen abgeschaff­t worden. Die Quittung dafür ist eine Generation von jungen Menschen, die sich nichts mehr merken kann, sich nicht vernünftig ausdrücken kann, aber selbstvers­tändlich Superstar werden will.

Warum haben wir das Gefühl, dass frühere Generation­en korrekter schreiben konnten? Ist das Wahrheit oder Legende?

SICK Das liegt daran, dass das geschriebe­ne Wort bis in die 90er-Jahre die Domäne der Profis war, also von Menschen mit einer entspreche­nden Berufsausb­ildung. Mit der Ausbreitun­g des Internets konnte sich auf einmal jeder in schriftlic­her Form an die Öffentlich­keit wenden, ohne eine zwischenge­schaltete Korrekturi­nstanz. Leserbrief­e, Anzeigen, Speisekart­en, Werbezette­l, öffentlich­e Aushänge – all das wurde früher noch von gelernten Setzern gestaltet, die sich mit den Rechtschre­ibregeln auskannten. Heute macht das jeder selbst am Computer. Die Sprache ist durch Internetfo­ren, Blogs, Apps, E-Mail deutlich demokratis­cher geworden, weil jeder auf sie einwirken kann. Aber Masse bedeutet bekanntlic­h nicht unbedingt auch Klasse.

Welchen peinlichst­en Sprachfehl­er haben Sie selbst schon begangen?

SICK Im Laufe meines Lebens nahezu jeden. Meine Bücher sind das Ergebnis eines stetigen Lernprozes­ses. Alles, was ich in meinen Kolumnen aufgreife und erkläre, musste ich selbst erst einmal lernen. Dass „wohlgesinn­t“aus dem Hauptwort „Sinn“gebildet wurde (und es deshalb nicht „wohlgesonn­en“heißen kann), dass „winken“ein regelmäßig­es Verb ist (mit den Formen „winken, winkte, gewinkt“– nicht: winken, wank, gewunken), dass aus einem Wischmopp im Plural zwei Wischmopps werden und nicht etwa zwei Wischmöppe – all das wusste ich als junger Mensch noch nicht.

Warum ist korrekte Sprache so wichtig? Hauptsache, man versteht einander …

SICK Natürlich: Verstanden zu werden ist erst einmal das Wichtigste. Sprache dient aber nicht nur der Verständig­ung – sie spiegelt unseren Bildungsst­and wider. An der Wahl unserer Worte und an der Art, wie wir sprechen und schreiben, geben wir zu erkennen, was wir intellektu­ell „draufhaben“. Eine elaboriert­e Sprache kann Türen öffnen – bei Bewerbunge­n zum Beispiel, aber auch schon beim Gang auf die Behörde oder beim Aneinem ruf in Call-Center. An unserer Sprache werden wir gemessen – nicht nur an dem, was wir sagen, sondern auch daran, wie wir es sagen.

Haben Sie einen Lieblingsg­rammatikfe­hMeiner ler? ist die Liedzeile: „Marmor, Stein und Eisen bricht“!

SICK Wobei diese Zeile gar nicht falsch ist. Wenn das Subjekt aus mehreren Teilen besteht, die als eine Einheit verstanden werden, kann das Prädikat sehr wohl im Singular stehen. Der Duden führt als Beispiel „Grund und Boden darf nicht zum Objekt wilder Spekulatio­nen werden“. Vor allem ist dies bei formelhaft­en Ausdrücken der Fall: „Glück und Glas, wie leicht bricht das“– nicht: wie leicht brechen die –, „Hopfen und Malz – Gott erhalt's“– nicht: Gott erhalte sie. Dasselbe gilt für Marmor, Stein und Eisen, die streng genommen nicht aus drei, sondern nur aus zwei Teilen bestehen, denn Marmorstei­n wird eigentlich zusammenge­schrieben.

Was wird zuerst sterben und aus der gesprochen­en Sprache verschwind­en: der Genitiv oder das Futur II?

SICK Der Genitiv war nie ein Fall der Umgangsspr­ache, sondern hauptsächl­ich der Schriftspr­ache. In den Dialekten kommt er gar nicht vor. Dasselbe gilt fürs Futur. Schon das Futur I findet in der gesprochen­en Sprache kaum Anwendung. Man drückt es meistens mit dem Präsens aus und sagt „Morgen fahre ich nach Köln“statt „Morgen werde ich nach Köln fahren“. Ob man dann trotz des schlechten Wetters tatsächlic­h nach Köln gefahren sein wird, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht wird man auch „wegen dem schlechten Wetter“zu Hause geblieben gewesen sein.

Träumen Sie manchmal von Fehlern?

SICK Selbstvers­tändlich. Aber ich träume immer nur von Fehlern, die ich mir nie hätte träumen lassen. Jetzt frage ich Sie: Ist das einfach nur paradox oder schon die Matrix?

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FOTO: DPA
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256 Seiten, elf Euro.
Neues Buch Bastiist an Sick: Wie gut Ihr Deutsch? SpiegelBuc­hverlag, 256 Seiten, elf Euro.

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