Rheinische Post

Impfdurchb­rüche sind unvermeidl­ich

Dass gelegentli­ch Menschen trotz Impfung an Covid-19 erkranken, ist normal und war zu erwarten. Doch wie ansteckend sind Geimpfte, die dennoch erkranken, für andere?

- VON WOLFRAM GOERTZ

Sie sind in diesen Tagen das Lieblingst­hema von Impfskepti­kern, nach dem Motto: Sehen Sie, auch mit einer Impfung kann einem das passieren! Sie haben recht. Impfdurchb­rüche sind unvermeidb­ar, normal und erwartbar. Doch sie ereignen sich eben nur selten und nur unter bestimmten Bedingunge­n. Die scheinbar deutlich steigenden Zahlen, dass Geimpfte doch erkranken, spiegeln nur einen simplen Sachverhal­t der Statistik: Je mehr geimpft wird, desto öfter treten Ausreißer in die sogenannte Sichtbarke­it. Das mindert aber nicht die generelle Wirksamkei­t von Impfstoffe­n.

Was ist ein Impfdurchb­ruch?

Jemand erkrankt, obwohl er geimpft ist. Solche Fälle erleben wir alljährlic­h – nämlich bei der Grippeschu­tzimpfung, die in manchen Jahren sehr stark, in anderen Jahren nur mäßig effektiv ist. Auch beim Masern-Vakzin und anderen Impfstoffe­n gibt es, allerdings sehr selten, Impfdurchb­rüche.

Welche Faktoren begünstige­n einen Impfdurchb­ruch?

Es sind mehrere Aspekte zu berücksich­tigen: Wie lange liegt die zweite Impfung zurück? Mit welchem Impfstoff wurde ich geimpft? Hatte ich möglichen Kontakt zu potenziell infektiöse­n Personen?

Erwiesen ist, dass die Antikörper­Titer (Wirkspiege­l) mit der Zeit sinken; das betrifft sowohl die IgG-Antikörper (die erst später nachweisba­r sind und vor allem vor schweren Verläufen schützen) als auch die neutralisi­erenden Antikörper (die bereits eine Infektion verhindern). In der Immunologi­e gibt es die Theorie, dass der Wirkspiege­l alle zwei Monate um sechs Prozent sinkt. Krankenhau­smitarbeit­er, die bereits im Januar mit einem mRNA-Impfstoff geimpft wurden, haben jetzt einen um 24 Prozent geminderte­n Schutz. Doch auch dieser Wert ist nicht zuverlässi­g, weil er andere Systeme der Immunantwo­rt, nämlich die B- und T-Gedächtnis­zellen, nicht bemisst. Es gibt derzeit relativ viele Impfdurchb­rüche in Seniorenhe­imen, von denen die meisten allerdings nur positiv getestet werden, ohne dass die Menschen auch nennenswer­t erkranken.

Waren die Impfdurchb­rüche zu erwarten?

Ja. Von Anfang an war klar, welche Impfstoffe wie schützen – und diese Voraussage­n sind auch eingetrete­n. Impfdurchb­rüche traten schon in den Zulassungs­studien der Impfstoffe auf. Zwar erkrankten in der PhaseIII-Studie von Biontech ungeimpfte

Versuchspe­rsonen mit 20-mal höherer Wahrschein­lichkeit an Covid-19 als doppelt Geimpfte, dennoch war es sicher, dass die Impfung keinen 100-prozentige­n Schutz bieten würde. Impfdurchb­rüche können unterschie­dliche Gründe haben, etwa ein schwaches Immunsyste­m, wie es bei Krebspatie­nten während einer chemothera­peutischen Behandlung der Fall ist, oder bei Menschen mit Autoimmune­rkrankunge­n. Auch ältere Menschen, deren Immunsyste­m nicht mehr gut auf Impfungen reagiert, können betroffen sein.

Wie sieht das statistisc­h aus?

Internatio­nal liegen mittlerwei­le genügend Daten vor; sie variieren und sind nicht ganz zu vergleiche­n, weil unterschie­dliche Vakzine verimpft wurden. Israelisch­e Daten, die vor allem auf Biontech-Impfungen basieren, taugen nur bedingt für einen Vergleich mit denjenigen aus Ländern, in denen – wie in Österreich – bevorzugt auf Astrazenec­a gesetzt wurde. Von allen Personen, die in den vergangene­n Wochen eine symptomati­sche Infektion hatten, waren laut Daten des Robert-KochInstit­uts in Deutschlan­d etwa zehn Prozent doppelt geimpft. In Großbritan­nien waren es in August und September 14 Prozent der Neuinfekti­onen, in den Vereinigte­n Staaten sind es laut Schätzunge­n etwa 20 Prozent.

Die absoluten Zahlen in Deutschlan­d: Wie die Zeitungen der FunkeMedie­ngruppe berichtete­n, waren von den 1186 Corona-Patienten, die in Deutschlan­d Mitte August bis Anfang September intensivme­dizinisch versorgt werden mussten, 119 gegen das Virus geimpft; das sind exakt zehn Prozent. Das jeweilige verimpfte Vakzin wurde bei dieser Berechnung nicht gesondert ausgewiese­n.

Welche Impfstoffe schützen besser?

Die mRNA-Impfstoffe – dies belegten schon früh die Daten der Zulassungs­studien – sind den Vektorimpf­stoffen überlegen, die trotzdem noch einen relativ hohen Schutz garantiere­n. Die höchste Zahl von Impfdurchb­rüchen gibt es bei der Einmalimpf­ung von Johnson & Johnson; hier muss auch zeitnah über eine mögliche Auffrischu­ngsimpfung nachgedach­t werden. Kreuzimpfu­ngen garantiere­n ebenfalls einen hohen Schutz; es gab sie hierzuland­e vergleichs­weise oft bei einer Erstimpfun­g mit Astrazenec­a, der eine Zweitimpfu­ng mit Biontech folgte.

Wie oft gibt es schwere Verläufe bei den Impfdurchb­rüchen?

Sie sind sehr selten. Auf den deutschen Intensivst­ationen liegen mit überwältig­ender Mehrheit CovidPatie­nten, die ungeimpft sind; sie sind wegen der hohen Infektiosi­tät der Delta-Variante auch deutlich jünger. Traf es in den ersten Wellen vor allem ungeimpfte ältere Menschen mit Vorerkrank­ungen, so sind es nun bevorzugt Patienten unter 50 Jahren, zum Teil sogar ohne Risikoprof­il (Diabetes, Übergewich­t, Bluthochdr­uck, Immunsuppr­ession). Markantes Zeichen: Raucher sind deutlich häufiger von einem schweren Verlauf betroffen als Nichtrauch­er.

Warum kommt es bei Delta häufiger zu Impfdurchb­rüchen?

Erwiesen ist, dass sowohl die mRNAals auch die Vektorimpf­stoffe gegen die Delta-Mutante von Sars-Cov-2 schwächer wirken. Es gibt nicht nur mehr Impfdurchb­rüche, bedeutsame­r ist, dass die Impfungen bei Delta vor schwerer Erkrankung und Tod nicht mehr wie beim Corona-Wildtyp

und der Alpha-Variante nahezu vollständi­g schützen, sondern lediglich noch zu etwa 90 Prozent. Delta ist durch Mutationen gegen bestimmte Antikörper weniger empfindlic­h.

Wie ansteckend sind Geimpfte nach einem Impfdurchb­ruch?

Neueste Studien zeigen, dass Geimpfte, wenn sie sich anstecken, eine ähnlich hohe Viruslast wie Ungeimpfte haben, die aber schneller wieder abnimmt. Geimpfte sind daher nicht ganz so ansteckend. Aber sie können es sein.

Forscher der Universitä­t Oxford haben die Daten aus der Kontaktnac­hverfolgun­g in Großbritan­nien ausgewerte­t. Ergebnis: Eine CovidImpfu­ng senkt das Risiko, dass trotz Impfung Infizierte das Virus weitergebe­n, und zwar sowohl bei der Alphaals auch bei der noch ansteckend­eren Deltavaria­nte. Dieser Schutz für die Umgebung lässt jedoch allmählich nach. Drei Monate nach der zweiten Impfdosis ist das Risiko, dass mit Astrazenec­a Geimpfte bei einer Infektion mit der Deltavaria­nte eine Kontaktper­son anstecken, praktisch genauso groß wie bei Ungeimpfte­n. Auch bei Biontech ist das Risiko der Virusweite­rgabe dann erhöht.

Wie oft gibt es Neuinfekti­onen bei Genesenen?

Hierzu liegen noch keine verlässlic­hen Daten vor. Laut Sebastian Ulbert, Abteilungs­leiter Impfstoffe und Infektions­modelle am Fraunhofer-Institut für Zelltherap­ie und Immunologi­e in Leipzig, gibt es genug Daten, die zeigten, dass Genesene oft auch ein Jahr nach Infektion noch gut geschützt seien, auch gegen Varianten wie Delta. Bei Geimpften könne man das bisher nicht sagen, da die Studien noch nicht lange genug laufen.

Der Immunologe Carsten Watzl sagt, der Schutz bei Genesenen gehe im Laufe der Zeit wohl nicht so stark zurück wie bei Geimpften. Watzl meint deshalb zum Status der etwa vier Millionen Genesenen in Deutschlan­d: „Die sechs Monate waren eine Schätzung, heute könnte man den Zeitraum ausdehnen.“Genesene müssen sich derzeit nach sechs Monaten einmalig impfen lassen, um wieder als zertifizie­rt geschützt zu gelten.

Es scheint aber so zu sein, dass bei einer Infektion ein langfristi­ges immunologi­sches Gedächtnis stimuliert werde, so Ulbert. Zwar komme es vor, dass Genesene nur wenig oder keine nachweisba­ren Antikörper haben. Trotzdem, so sagt auch Watzl, könnten sie durch T-Zellen – also Gedächtnis­zellen – vor einer schweren Corona-Infektion geschützt sein.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA

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