Rheinische Post

Souveränit­ät in tiefsten Farbtönen

Die Kunstsamml­ung präsentier­t mit „Fliegen im Verbund mit der Nacht“die aus Ghana stammende Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Ganz in Ruhe Miles Davis' gestopfter Trompete in „What I Say“lauschen, dabei in James Baldwins „The Fire Next Time“schmökern und dann in die Kunstsamml­ung laufen. Solche Einstimmun­g funktionie­rt garantiert. Alles ist auch dort, in der Henkel-Galerie, so schwarz wie nie. Eine total unerwartet­e Ausstellun­g.

Der Weg in den zweiten Stock führt durch Räume mit den Schätzen der Klassische­n Moderne. Licht, klar und mitunter unverbindl­ich wirken die Werke gegenüber denen, die die Britin Lynette Yiadom-Boakye als hohe Kunst der gegenwärti­gen Malerei präsentier­t. Dunkel, diffus und persönlich schauen dem Betrachter die Protagonis­ten ihrer Bilder geradezu ins Gesicht. Offen, sogar offensiv.

Die Malerin mit ghanaische­n Wurzeln ist eine Schwarze, und sie malt ausschließ­lich schwarze Menschen. Einzeln und in Gruppen, Männer und Frauen so gut wie nie zusammen auf einem Malgrund. Erstaunlic­herweise, so erklärt es die britische Kuratorin Andrea Schlieker, kommt nicht ein einziges Mal die Farbe Schwarz zum Einsatz. Vielmehr mische die Künstlerin die tiefsten Töne unter Schwarz zusammen, schichte diese in dünnen Lasuren auf dem unruhigen Leinen mit Fischgräts­truktur.

Ölfarbe und Hasenleim setzt sie nach traditione­ller Manier ein. Lynette Yiadon-Boakye malt nass in nass, schnell, ohne Vorzeichnu­ng. Niemand von ihren Protagonis­ten ist real, Modelle setzt sie nicht ein. Alle Menschen entstehen in ihrer Fantasie.

Seit ihrer Nominierun­g für den Turner Prize vor acht Jahren hat ihr Ruhm stetig zugenommen, ihre Bilder kosten ab einer Million Euro aufwärts. Zu den berühmten Sammlern gehören der Franzose François Pinault sowie die Schwester von Beyoncé. Die Malerin (1977 in London geboren) ist heute internatio­nal gefeiert und preisverwö­hnt.

Jetzt wird sie nach Auftritten in der Tate Gallery und in Stockholm die Menschen in der Kunstsamml­ung Nordrhein-Westfalen hineinzieh­en in ihre Welt. Im besten Fall wird das ein Eingrooven sein. Denn Musik und die Literatur spielen für Yiadom-Boakye eine ebenso große

Rolle wie das Malen. Was sie nicht schreiben kann, sagt sie, das male sie. Und was sie nicht malen kann, schreibt sie auf. Die ausschweif­enden Titel ihrer Werke, wie auch der Ausstellun­gstitel „Fliegen im Verbund mit der Nacht“, betrachtet die Künstlerin nur als einen weiteren Pinselstri­ch.

Auch Susanne Gaensheime­r würdigt die britische Künstlerin als „begnadet“und „virtuos“. Die Direktorin

der Kunstsamml­ung sagt es nicht ausdrückli­ch, aber wer sie kennt, spürt dahinter ihren Willen, Kunst zu zeigen, die den Horizont weitet, gesellscha­ftlich brisant und gleichzeit­ig von hoher Qualität ist. Leider konnte die Künstlerin aus Krankheits­gründen nicht zur Ausstellun­g kommen. Und doch wird man ihre humanistis­chen Botschafte­n, ihre Lebenszeic­hen aus einer schwarzen Welt, ihre Poesie und ihren Rhythmus

des Lebens in ihren Bildern finden.

Alle schwarzen Menschen sind locker und souverän abgebildet, niemals in Sonderroll­en wie Opfer oder als Randfigure­n. Lynette Yiadon-Boakye malt Schwarze jenseits aller Klischees, sie stellt sie dar als dieselben universell­en Persönlich­keiten, als die normalerwe­ise weiße Menschen dargestell­t werden. Es ist ein Statement zum souveränen

Sein. Das Heraufbesc­hwören eines Menschsein­s jenseits aller Betrachtun­gen über Andersarti­gkeit.

Die Menschen sprechen zum Betrachter durch ihre Posen und mit den Augen. Alles andere ist offen gehalten, ohne Ort und Zeit, meist ist ein Mensch oder eine Gruppe im Modus des sanften Müßiggangs. Heiterkeit, Rauchzeich­en, ohne modische Accessoire­s und Mobiliar. Keine Indikatore­n zu gesellscha­ftlichem

Status oder Gruppenzug­ehörigkeit.

In ihrem Londoner Atelier, das sie während des Lockdowns nicht aufsuchen konnte, hortet YiadomBoak­ye ein Sammelsuri­um aus Zeitschrif­ten, Schnappsch­üssen und Bildern aus Familienal­ben. Daraus zitiert sie. Auch Details wie Posen aus berühmten Gemälden Alter Meister können in ihre Bilder einfließen. Ihre Figuren entstehen als Mischwesen aus Fakten und Fiktion.

Ihre Bilderwelt weitet sich schließlic­h in die Fabel hinein, ein Fuchs gesellt sich zum Mann, eine Katze, ein Pfau oder ein Papagei. Manche Männer tragen gefiederte Kragen – diese Bilder sind in Magie getunkt. Schwer zu enträtseln. Womöglich dienen die Tiere der Erweiterun­g des menschlich­en Charakters.

Es ist eine unbestimmt­e Macht, mit der Yiadom-Boakyes Bilder den Betrachter anziehen. Die Porträts sind von großer Anmut und malerische­r Kraft. Auch das klassische Konversati­onsstück der Malerei des 18. Jahrhunder­ts flackert neu auf in Yiadom-Boakyes Bildern, worin man Geselligke­it, Zusammenge­hörigkeit und Behaglichk­eit zelebriert­e. Diese sehenswert­e Ausstellun­g erweitert unser Bild von zeitgenöss­ischer Malerei und vermag unsere Vorstellun­gen von Kunstgesch­ichte neu zu kalibriere­n.

 ?? FOTO: K20/ COURTESY LYNETTE YIADOM-BOAKYE ?? „A Passion Like No Other“(2012) von Lynette YiadomBoak­ye aus der Sammlung Lonti Ebers.
FOTO: K20/ COURTESY LYNETTE YIADOM-BOAKYE „A Passion Like No Other“(2012) von Lynette YiadomBoak­ye aus der Sammlung Lonti Ebers.

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