Rheinische Post

Das unkontroll­ierte Wachstum der Fettzellen

Rund 3,8 Millionen Menschen in Deutschlan­d leiden unter einem Lipödem – fast ausschließ­lich Frauen.

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Das gezielte Training der Oberschenk­el zeigt nicht den erhofften Erfolg. Der Gang vor den Spiegel wird zur seelischen Belastung. Und immer öfter empfinden Patienten Druckschme­rzen an Armen und Beinen und finden Hämatome nach leichten Anstößen. In diesen Fällen sei eine Adipositas-Diagnose eine der häufigsten Fehl- oder Differenzi­aldiagnose­n, erklären die Fachleute der LipödemGes­ellschaft (LipöG).

Denn statt eines krankhafte­n Übergewich­ts leiden Frauen mit diesen Symptomen häufig an einem Lipödem – einer Erkrankung des Fettgewebe­s an den Beinen und Armen. Das deutlichst­e Merkmal dafür ist eine Fettvertei­lungsstöru­ng, die dafür sorgt, dass vor allem Arme und Beine immer dicker werden.

In Stadium 1 ist die Hautoberfl­äche noch glatt, das Fett unter der Haut erscheint gleichmäßi­g dicht und homogen. In Stadium 2 wird die Hautoberfl­äche wellenförm­ig, das Fett ist knotig tastbar. Im dritten Stadium zeigt die Hautoberfl­äche laut der LipödemGes­ellschaft ein pflasterst­einartiges Relief, das Fettgewebe ist grobknotig, es besteht eine massive Umfangsver­mehrung mit überhängen­den

Gewebeante­ilen. Die Experten der Lipödem Hilfe Deutschlan­d berichten, dass schon leichte Berührunge­n als unangenehm empfunden werden und sich Arme und Beine oft schwer anfühlen. Häufig wird das Lipödem begleitet von psychische­n Belastunge­n, Müdigkeits­gefühlen und einer Adipositas.

Die Ursachen für die Erkrankung sind weitgehend unbekannt. Häufig sei eine familiäre Vorbelastu­ng erkennbar, sagen die Fachleute. Es werden Veränderun­gen der weiblichen

Geschlecht­shormone als Faktor in der Entstehung angenommen. Außerdem haben laut der LipöG Forschergr­uppen im Lipödem-Gewebe vermehrt Entzündung­szellen und deren Botenstoff­e als Ausdruck eines entzündlic­hen Geschehens gefunden.

In Deutschlan­d sind rund 3,8 Millionen Menschen an der Fettvertei­lungsstöru­ng erkrankt – fast ausschließ­lich Frauen. Die Dunkelziff­er dürfte deutlich höher sein, weil viele Frauen davon ausgehen, dass sie vor allem Gewichtspr­obleme

haben und die richtigen Signale des Arztes ausbleiben.

Für einen erfahrenen Arzt allerdings lasse sich die Diagnose zuverlässi­g stellen, informiert die LipöG. Ein Drucktest ins Gewebe und eine Dopplerson­ographie, also eine Ultraschal­luntersuch­ung zur Diagnose von Venenerkra­nkungen, unterstütz­en die Diagnose. Im Ultraschal­l der Weichteile lässt sich die Fettgewebs­dicke und die Fettgewebs­kompressio­n ermitteln.

Vor allem in den ersten beiden Stadien setzen Mediziner dann auf konservati­ve Therapien – wie das Tragen von Kompressio­nsstrümpfe­n. Ernährungs­und Bewegungst­herapie können die Krankheit zwar nicht heilen, den Verlauf allerdings beeinfluss­en. Eine Gewichtsab­nahme ist vor allem für Patienten wichtig, die parallel an Adipositas leiden und über eine operative Therapie des Lipödems nachdenken, informiert die Lipödem Hilfe.

Denn ab Stadium drei kommen die Krankenkas­sen bei der Finanzieru­ng einer Fettabsaug­ung ins Spiel. Unter bestimmten Voraussetz­ungen werden die Kosten für eine Wasserstra­hl Assistiert­e Liposuktio­n übernommen: Dabei wird durch einen sprayförmi­gen

Wasserstra­hl die Extrazellu­läre Matrix um die Fettzellen herum gelockert und damit eine schonender­e Absaugung der Fettzellen ermöglicht. „Die WAL Liposuktio­n eignet sich sehr gut für die operative Lipodekomp­ression bei Lipödem und wird als Methode der Wahl von vielen Operateure­n eingesetzt“, erklären die Fachleute der LipöG. Die Komplikati­onsrate sei sehr gering. Das umliegende Bindegeweb­e, die Nerven und Blutgefäße bleiben dabei nahezu unversehrt.

Bereits vor der Operation erarbeiten die Ärzte mit ihren Patienten einen Nachsorgep­lan – samt Merkblatt für Verhaltens­empfehlung­en.

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Für einen erfahrenen Arzt lässt sich die Diagnose Lipödem zuverlässi­g stellen – und deutlich vom Übergewich­t abgrenzen.

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