Alles hat seine Zeit
Wo ich aufgewachsen bin, in einem niedersächsischen Ort direkt in der Nachbarschaft von Bremen, hieß der Karneval „Fasching“. Am Rosenmontag feierten wir Fasching im Kindergarten und der Grundschule. Wir verkleideten uns alle – schon damals gefiel mir das –, aßen viele Süßigkeiten und Erdnussflips, bewegten uns zum „Ententanz“, liefen ausführlich Polonäse zu Gottlieb Wendehals‘ Schlager „Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse…“und gingen um 12 Uhr wieder nach Hause. Denn dann sollten alle die Fernsehübertragung der Rosenmontagszüge im Rheinland live miterleben können.
Meine Geschwister und ich saßen dann mitten am Tag – was sonst ein Tabu war – im Wohnzimmer vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher und sahen dem lustigen Treiben zu: den tanzenden Frauen mit ihren blonden langen Zöpfen in ihren Uniformen, den bunten verzierten Wagen, von denen es Bonbons regnete, den Menschen mit umgekehrt gehaltenen Regenschirmen, um möglichst viele von ihnen aufzufangen.
Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass mich mein Weg einmal hierher ins Rheinland führen würde, wo ich nun seit 30 Jahren wohne. Ich bin von meinen Düsseldorfer Freundinnen und Freunden inzwischen ausführlich in das Wesen des Karnevals eingeführt worden und genieße es von Jahr zu Jahr mehr.
Im biblischen Buch des Predigers steht: „Alles hat seine Zeit – weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit“(Prediger 3).
Ich empfinde den Karneval als eine Zeit, in der wir unsere Routine des Alltags mal unterbrechen und ungezwungener und spielerischer als sonst mit Menschen in Kontakt kommen, lachend und tanzend.
Den Rosenmontagszug guck ich mir auch wieder an und halte Ausschau nach dem gemeinsamen Toleranzwagen der Christen, Juden und Muslime. Ich gehe wieder mit meinem Patenkind hin und halte die Tüte für die Kamelle, die es eifrig einsammelt. In meine niedersächsische Heimat schicke ich auch wieder ein paar Eindrücke von dieser fünften Jahreszeit. Live und in Farbe.