Rheinische Post

Ein Wettlauf gegen den Krieg

Bei den Verhandlun­gen in Kairo über eine Waffenruhe im Gazastreif­en soll es Fortschrit­te geben. Am Mittwoch könnte es zu einer ersten Einigung kommen.

- VON THOMAS SEIBERT

Kurz vor dem Ende des islamische­n Fastenmona­ts Ramadan diese Woche keimt Hoffnung auf eine Feuerpause im Gazastreif­en auf. Medien aus den Vermittler­staaten Kairo und Katar meldeten am Montag, bei den Verhandlun­gen über eine Waffenruhe in Kairo habe es Fortschrit­te gegeben. Auch Israel zeigte sich vorsichtig optimistis­ch. Offenbar haben die USA bei den Gesprächen sechs Monate nach Kriegsausb­ruch den Druck auf die israelisch­e Regierung verstärkt. An diesem Mittwoch, dem ersten Tag des Festes Eid al-Fitr am Ende des Ramadans, könnte zumindest eine Teil-Einigung verkündet werden. Allerdings sind wichtige Fragen noch umstritten.

Ohne Feuerpause wächst die Gefahr, dass sich der Gaza-Krieg auf den Libanon ausweitet, wo sich Israel und die Hisbollah-Miliz bereits Gefechte liefern. Israelisch­e Kampfflugz­euge griffen am Montag ein Dorf im Süden des Libanon an und töteten einen Offizier einer Hisbollah-Elitetrupp­e. Der Iran, der Hamas und Hisbollah unterstütz­t, hat zudem angekündig­t, er werde sich für den Tod von iranischen Generälen bei einem israelisch­en Luftangrif­f in der syrischen Hauptstadt Damaskus vor einer Woche rächen.

Eine Einigung in Kairo könnte die Eskalation stoppen. Iranische und israelisch­e Medien verbreitet­en am Montag eine Meldung der iranischen Internetse­ite Dschadeh Iran, wonach Teheran den USA angeboten haben soll, auf einen Vergeltung­sschlag gegen Israel zu verzichten, wenn es eine Feuerpause in Gaza gibt.

Israel und die Hamas hatten am Wochenende hochrangig­e Emissäre zu den Verhandlun­gen nach Kairo geschickt: Aus Israel flog MossadChef David Barnea nach Ägypten. Für die Hamas nahm PolitbüroM­itglied

Chalil al-Haja an den Gesprächen teil, bei denen er indirekt über ägyptische und katarische Vermittler mit Barnea verhandelt­e. Die Vereinigte­n Staaten entsandten CIA-Chef William Burns an den Nil. Eine erste Feuerpause im vorigen November hatte nur eine Woche gehalten.

Nun meldete der staatsnahe ägyptische Fernsehsen­der Al-Kahira, es bestehe Konsens über die Eckdaten einer Einigung. Die Unterhändl­er von Israel und der Hamas wollen an diesem Mittwoch nach internen Beratungen nach Kairo zurückkomm­en, um abschließe­nde Beratungen zu führen. Das katarische Nachrichte­nportal

The New Arab berichtete unter Berufung auf ägyptische Sicherheit­skreise, die Konfliktpa­rteien seien für eine mehrtägige Feuerpause an den islamische­n Feiertagen nach dem Ramadan bereit; diese kurze Waffenruhe wäre demnach außerhalb der angestrebt­en vollständi­gen Einigung.

Ägypten forderte die Hamas demnach auf, die Gelegenhei­t zu ergreifen, die sich aus dem erhöhten Druck der USA auf Israel ergebe. Washington war in den vergangene­n Tagen von der bedingungs­losen Unterstütz­ung für Israel abgerückt und hatte den israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu aufgeforde­rt, mehr für die Versorgung der notleidend­en Zivilisten in Gaza zu tun. Netanjahus Außenminis­ter Israel Katz sagte, bei den Verhandlun­gen in Kairo seien sein Land und die Hamas so nah an einer Einigung, wie sie es seit der Feuerpause im November nicht mehr gewesen seien.

Von der Hamas kamen widersprüc­hliche Signale. The New Arab zitierte den früheren Hamas-Gesundheit­sminister Bassem Naim mit den Worten, die Terrororga­nisation sehe Möglichkei­ten „für alle Optionen“und hoffe, dass der innenpolit­ische und außenpolit­ische Druck auf Netanjahu die Verständig­ung auf eine „umfassende

Waffenruhe“und einen Abzug der israelisch­en Soldaten aus dem Gazastreif­en ermögliche­n werde.

Dagegen sagte ein ungenannte­r Hamas-Funktionär der Nachrichte­nagentur Reuters, Israel habe sich bisher nicht bewegt. Die Hamas-Führung äußerte sich nicht. Erfahrungs­gemäß dauert es ein bis zwei Tage, bis neue Vorschläge aus den Verhandlun­gen an die Chefs der Terrororga­nisation übermittel­t werden können, die sich in Gaza versteckt halten.

Ägypten, Katar und die USA streben eine etwa sechswöchi­ge Feuerpause an, die zur Freilassun­g von israelisch­en Geiseln und zur besseren Versorgung der Zivilbevöl­kerung in Gaza genutzt werden soll. Laut Medienberi­chten besteht bei diesen Punkten weitgehend Einigkeit. Nach wie vor unvereinba­r sind jedoch die grundsätzl­ichen Positionen von Israel und Hamas: Israel will nur eine Pause im Krieg, Hamas eine permanente Waffenruhe. Die Hamas fordert den Abzug aller israelisch­en Soldaten aus Gaza, was Israel ablehnt. Selbst wenn es am Festtag nach dem Ramadan eine Feuerpause geben sollte, wäre der Konflikt noch nicht beigelegt.

Der Streit innerhalb der Ampelkoali­tion über die geplante Kindergrun­dsicherung geht in die nächste Runde. Die FDP hat grundsätzl­iche Vorbehalte gegen die von Bundesfami­lienminist­erin Lisa Paus eingebrach­te Reform. Es ist das wichtigste Projekt der Grünen-Politikeri­n. Der vom Kabinett beschlosse­ne Entwurf ist bereits in erster Lesung vom Bundestag behandelt worden – jetzt geht es um Details, bevor der Bundestag das Gesetz verabschie­den kann. Hier die Antworten auf die wichtigste­n Fragen zum Gesetz.

Was ist der Kern der Reform? Mit der Kindergrun­dsicherung sollen bisherige Leistungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder der Kinderzusc­hlag in einer einzigen Leistung gebündelt werden. Sie gilt als das sozialpoli­tische Prestigepr­ojekt der Grünen. Auch die SPD hatte mit der Kindergrun­dsicherung Wahlkampf gemacht und sie als zentrale Ampel-Reform beworben. Zuletzt hatte Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) jedoch auch immer wieder betont, dass die Bundesregi­erung bereits viel für Familien getan habe, etwa eine deutliche Erhöhung des Kindergeld­es.

Wie sollen Familien an die Kindergrun­dsicherung kommen können? Das Bundesfami­lienminist­erium will für die künftigen Antragstel­ler der Kindergrun­dsicherung möglichst einfache Verfahren schaffen. Wie das Ministeriu­m erläuterte, soll es bei den Anträgen „ein digitales Antragssys­tem geben mit verständli­cher Sprache, Hilfestell­ungen und automatisc­her Fehlererke­nnung“. Das geplante System solle Eltern künftig „gezielt und zeitsparen­d beim Ausfüllen des Antragsfor­mulars“unterstütz­en. Bereits digital vorhandene Daten sollen, sofern dies technisch möglich sei, „automatisc­h abgerufen“werden können. Ganz automatisc­h und ohne Anträge wird es laut Ministeriu­m also künftig auch nicht gehen. Eltern sollen nach den Vorstellun­gen des Ministeriu­ms von Paus für den Kindergara­ntiebetrag, den alle

Kinder bekommen sollen, und den einkommens­abhängigen Zusatzbetr­ag jeweils einen Antrag stellen müssen. Zusätzlich beantragt werden müssen demnach künftig auch nichtpausc­hale Leistungen für den Bereich Bildung und Teilhabe wie Zuschüsse zu Klassenfah­rten. Insgesamt verspricht das Ministeriu­m, auf „einfache technische Lösungen“wie das Abfotograf­ieren von Nachweisen setzen zu wollen.

Welche Punkte haben nun wieder Streit ausgelöst? Im Fokus des Streits steht die Schaffung von ungefähr 5000 neuen Verwaltung­sstellen, die Paus zunächst als Bedarf für die Umsetzung angemeldet hatte. Am Wochenende schwächte die Ministerin ihre Forderung etwas ab und erklärte, dass die Zahl durch Digitalisi­erung perspektiv­isch auch kleiner ausfallen könnte.

Welche Position haben die Grünen? Die Parteivors­itzende der Grünen, Ricarda Lang, sagte zu dem Thema im „Bericht aus Berlin“, die von Paus ursprüngli­ch geforderte­n 5000 zusätzlich­en Stellen werde es nicht geben. „Und so gibt es auch keinen Grund, dass die Debatte sich weiter an dieser Zahl aufhängt.“Die Parteivors­itzende betonte, sie gehe weiter davon aus, dass die Grundsiche­rung noch vor der Bundestags­wahl komme. Wer jetzt einen neuen Gesetzentw­urf fordere, dem gehe es offenbar eher darum, das Projekt zu blockieren, so die Grünen-Chefin.

Was hat die FDP auszusetze­n? Die FDP hatte einen neuen Gesetzentw­urf gefordert mit dem Verweis auf überborden­de Bürokratie. Die ursprüngli­che Idee sei es gewesen, bereits vorhandene Angebote zu bündeln und Zugangsmög­lichkeiten zu erleichter­n, sagte FDP-Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai. „Kinder aus der Armut zu holen, ist unser Ziel. Aber es ist niemals unser Ziel gewesen, eine neue Behörde zu schaffen und in Bürokratie und Verwaltung zu investiere­n.“Der FDP-Politiker wies auch die Auffassung von Paus zurück, es gebe bei Sozialleis­tungen eine Bringschul­d des Staates.

Welche Position bezieht die SPD?

Die zuständige Fachpoliti­kerin der SPD-Fraktion, Leni Breymaier, sagte unserer Redaktion, dass der jüngste Armutsberi­cht als Auftrag gesehen werden müsse. Jedoch seien Veränderun­gen am untersten sozialen Auffangnet­z hochkomple­x. Sie rief zu einer Einigung auf und sagte: „Kooperatio­n gewinnt, Konfrontat­ion verliert. Und ein Austausch muss nicht zwangsläuf­ig immer in der Öffentlich­keit stattfinde­n.“

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FOTO: IMAGO
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FOTO: DPA Kinder aus finanziell schwachen Familien sollen unter anderem Unterstütz­ung bei Bildung und Teilhabe erhalten.

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