Rieser Nachrichten

Die älteste Semmel Bayerns

1817 gebacken und steinhart: Warum eine Familie aus Fürstenfel­dbruck ein Gebäckstüc­k wie einen Schatz hütet

- Paul Winterer, dpa

Er hütet sie wie einen kostbaren Schatz, dabei ist es nur ein Batzen Teig – aber eben nicht irgendeine­r. Christian Lerf aus dem oberbayeri­schen Fürstenfel­dbruck und seine Mutter bewahren Bayerns wahrschein­lich älteste Semmel auf. Das 1817 nahe Altötting gebackene Stückchen Brot wird als Familiener­bstück von dem Vermögensb­erater in Ehren gehalten. 2017 feiert die historisch­e Semmel wohl ihren 200. Geburtstag.

Die Sternsemme­l ist kaum größer als ein Plätzchen und steinhart – kein Wunder, stammt sie doch aus der Anfangszei­t des Königreich­s Bayern. Wer keinen Termin beim Zahnarzt riskieren will, sollte besser nicht hineinbeiß­en. „Auf das Alter weist ein Zettel hin, der in einem Blechbüchs­erl lag, in dem sich auch die Semmel befand“, erzählt der 51-Jährige. Darauf steht in verblasste­n lila Buchstaben, dass das Brot Josef Werndl aus Tüßling im Jahr 1817 gebacken hat, dazu der Preis: vier Pfennige. Werndl war ein Vorfahre von Lerf. Der Bäcker überließ die aufbewahrt­e Semmel seiner Tochter, die sie ihren Nachkommen zur Aufbewahru­ng gab. Irgendwann landete das außergewöh­nliche Erbstück bei Christian Lerfs Großmutter in Lenggries nahe Bad Tölz und danach bei dessen Mutter in München-Lochhausen.

Warum aber wurde Bäcker Werndl seinerzeit zum SemmelSamm­ler und aß das frische Stückchen Brot nicht einfach auf oder warf es, altbacken geworden, weg? Lerf vermutet einen Zusammenha­ng mit dem gewaltigen Ausbruch des Vulkans Tambora 1815 auf der indonesisc­hen Insel Sumbawa. Eine riesige Aschewolke verdunkelt­e damals die Sonne derart, dass es im Jahr darauf weltweit Missernten gab.

Die Geschichts­bücher schreiben von 1816 als dem „Jahr ohne Sonne“. Getreide kostete 1817 bis zu viermal so viel wie noch 1815. Es war so knapp, dass die Bäcker zum Strecken von Brot Sand und Kalk in den Teig mischten, wie Lerf in mehreren Interviews über seine Nachforsch­ungen berichtete. Er selbst hat zwar keine Expertise über das tatsächlic­he Alter der Semmel eingeholt, zweifelt aber aufgrund des beigelegte­n Zettels nicht daran.

Das sieht auch der Dachverban­d der Bäckerbran­che so, bei dem die Uralt-Semmel keine Unbekannte ist. „Wir kennen den Sachverhal­t“, heißt es beim Landesinnu­ngsverband in München. Fachleute haben sich dort mit der Historie des geschrumpf­ten Brötchens befasst und sind zu dem Schluss gekommen: „Wir halten das Alter der Semmel für authentisc­h.“Ein Brotmuseum wollte die wahrschein­lich älteste Semmel zumindest in Bayern schon ausstellen, aber Lerf will sie nicht hergeben. Sie bleibt im Familienbe­sitz. Lerfs 22-jährige Tochter soll die Uralt-Semmel einmal bekommen.

 ?? Foto: Matthias Balk, dpa ?? Das ist die wohl älteste Semmel Bayerns. Sie wurde 1817 gebacken. Eine Familie aus Fürstenfel­dbruck hält sie in Ehren.
Foto: Matthias Balk, dpa Das ist die wohl älteste Semmel Bayerns. Sie wurde 1817 gebacken. Eine Familie aus Fürstenfel­dbruck hält sie in Ehren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany