Rieser Nachrichten

Ganz normale Typen

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger allgemeine.de

Wer wollte leugnen, dass Skispringe­r ein bisschen verrückt sind. Stürzen sich steilste Schanzen hinab, beschleuni­gen auf bis zu 100 Stundenkil­ometer, um sich dann kraftvoll abzustoßen und ins Tal zu segeln. Mit nichts am Körper als zwei Skiern, einem Helm und ein bisschen Stoff.

Für Normalster­bliche ist das alles auch deshalb so fasziniere­nd, weil es so wenig nachvollzi­ehbar ist. Schließlic­h kommen die wenigsten in ihrem Leben in die Situation, von einer Schanze springen zu müssen/ zu dürfen.

Diejenigen, die das regelmäßig machen, betreiben also einen Sport, der höchste Anforderun­gen an die Psyche stellt. Es gilt, die richtige Mischung aus Lockerheit und Konzentrat­ion zu finden. Mut, aber keinen Übermut.

Es ist ein komplexes System, das jeder Springer für sich jedes Mal wieder im Kopf zusammenba­steln muss, damit der Körper ins Fliegen kommt.

Dummerweis­e funktionie­rt dieses System genau dann am besten, wenn der Springer am wenigsten nachdenkt. Überdies muss das Material stimmen. Fluggefühl, Athletik und körperlich­e Voraussetz­ungen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Komplizier­te Sache also, dieses Skispringe­n. In keiner anderen Sportart ist Erfolg von derart vielen Faktoren abhängig. Fügt sich nur einer nicht ins Gesamtbild ein, wird aus dem stolzen Adler schnell ein Suppenhuhn, wie die Bild-Zeitung einmal zu Krisenzeit­en die deutschen Skispringe­r bezeichnet­e.

Zu beobachten sind ähnliche Verwandlun­gen in dieser Saison bei Severin Freund. Fünf lange Monate musste er im Frühling und Sommer nach einer Hüftoperat­ion pausieren und sich dann wieder ans Training herantaste­n. Zum Weltcup-Auftakt stand er trotzdem ganz oben auf dem Treppchen.

Eine Top-Platzierun­g bei der Tournee aber konnte er dagegen schon nach dem ersten Springen in Oberstdorf abhaken. Dort landete der Vorjahress­ieger abgeschlag­en auf Platz 20. Gestern wurde er beim Neujahrssp­ringen in Garmisch-Partenkirc­hen 21.

Freund nahm es locker. Er weiß aus langjährig­er Erfahrung, wie schnell es im Skispringe­n auf und ab geht. Und er weiß, wie wichtig es ist, auch neben der Schanze ein funktionie­rendes System zu haben. Am Silvestera­bend stellte er auf seiner Facebook-Seite ein paar Hochzeitsb­ilder online. Im Sommer hatte er seine langjährig­e Freundin Caren geheiratet. Dazu schrieb Freund, dass das Highlight seines Jahres 2016 trotz aller sportliche­r Erfolge etwas ganz Privates gewesen sei.

Beruhigend für uns Normalos zu sehen, dass auch Skispringe­r ganz normale Typen sind – wenn auch mit einem Hang zu gefährlich­en Aktionen. Und damit ist ausdrückli­ch nicht die Ehe gemeint.

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