Heldenverehrung für ein Pop Genie
Am Sonntag wäre David Bowie 70 geworden, am Dienstag vor einem Jahr ist er gestorben. Warum der Kult um einen der größten Stars der Pop-Geschichte ungebrochen ist – und dies noch lange so bleiben wird
Der Mann steht lange vor dem Haus mit der Nummer 40. Geht durch das Eingangstor, versucht einen Blick durch das Fenster ins dunkle Innere zu werfen. Er hat Pech, die Jalousien sind heruntergezogen. Aber muss einen das wundern? Bei diesem Haus?
Die Stansfield Road im Londoner Süden könnte als Musterexemplar für britische Wohnsiedlungen dienen. Verwechselbare Reihenhäuser, viel Backstein. Nur die Nummer 40, die ist längst so etwas wie ein Pilgerort, ja Teil der Musikgeschichte. Hier wurde David Robert Jones geboren, der später als David Bowie zu einer Musiklegende aufsteigen sollte. Und hier entdeckte das spätere Chamäleon der Popkultur schon früh seine Lust am Stilbruch, an Mode, am Verkleiden. Als Dreijähriger wühlte er sich durch den Make-up-Kasten seiner Mutter und bemalte sein Gesicht mit Lippenstift und Lidschatten. „Er sah aus wie ein Clown.“Die Mutter ermahnte ihn, dass man sich als Junge nicht schminken solle. Zum Glück für die Kulturwelt hat David Bowie ihren Rüffel ignoriert.
Der 46-jährige Mann, der an diesem Januarabend andächtig auf das Haus starrt, stammt aus Schottland. Natürlich kennt er die Make-upAnekdote. Eigentlich, sagt er, kenne er so ziemlich alle Geschichten. „Ich bin ein Fan, seit ich denken kann.“Gerade befindet er sich auf BowieAndachtstour durch London. „Als er starb, ist eine Welt für mich zusammengebrochen“, erzählt er. Nun wolle er, anlässlich des ersten Todestags am Dienstag, die wichtigsten Plätze abgehen, die mit dem Star in Verbindung stehen.
Viele Menschen tun das seit jenem 10. Januar 2016, als Bowie zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag starb. Wenn man so will, war dieser 10. Januar der Anfang eines für die Musikwelt grausamen, weil verlustreichen Jahres. Erst Bowie, dann Prince, Eagles-Frontmann Glenn Frey, Leonard Cohen, George Michael. Bowie versetzte ihr den größten Schlag. „Er ist einer dieser ganz wenigen Künstler mit riesigem Potenzial und zugleich enormem Charisma“, sagt der Journalist und Bowie-Experte Tobias Rüther. „Daher hat sein Tod so viele Menschen besonders getroffen.“Rüther sieht den Mann mit den mehr als 140 Millionen verkauften Tonträgern als Multitalent, „musikalisch und visuell, die Bühnenperformance, die Das alles war mehr als nur Rock ’n’ Roll.“
Was bleibt, ist sein Gesamtwerk. Zu dem auch eine umfangreiche Kunst- und Designsammlung zählte, die im November im Auktionshaus Sotheby’s für knapp 40 Millionen Euro versteigert wurde. Und: Was bleibt, ist die „Bowie-Mania“, der Kult um einen der wichtigsten Vertreter der Popgeschichte. Vor allem in den drei Städten, die für seine Karriere die wichtigsten waren.
Da ist, natürlich, die Heimatstadt London. Dort stolpern aufmerksame Musikfans an jeder Ecke über denkwürdige Bowie-Orte, insbesondere im Viertel Brixton, wo er aufgewachsen ist. Deshalb bietet der Brite Nick Stephenson ab Sonntag fünfmal die Woche einen musikalischen Spaziergang an. Der 32-Jährige ist selbst Musiker und will deshalb den Soundtrack zu seiner Tour liefern, immer wieder Lieder von jenem Mann anstimmen, der so viele Menschen inspiriert hat. Dazu erzählt Stephenson Anekdoten, etwa von Bowies rebellischen Anfängen, wenn sie an seiner Grundschule in Stockwell vorbeikommen.
Berühmt in aller Welt ist das Wandbild unweit des Geburtshauses. Es zeigt Bowie als Glamrocker mit knallrot gefärbten Haaren und zweifarbigem Blitz im Gesicht. Das Bild wurde 2016 zu einer Art Schrein, wo seitdem trauernde Fans Nachrichten hinterlassen und Poster aufstellen, Blumen niederlegen und an die Wand kleben. „Planet Erde vermisst dich. Ich liebe dich, Starman“, hat jemand an die Wand gekritzelt. „An die erste Liebe meines Lebens: Du bist nicht vergessen“, lautet eine andere Botschaft.
In Brixton im Süden Londons, wo Alteingesessene, Studenten und Künstler heute mit jedem Tag ein Stück mehr den Kampf gegen die Gentrifizierung des mittlerweile hippen Viertels verlieren, hat Bowie die ersten sechs Lebensjahre verbracht. Dann zog die Familie nach Bromley. Trotzdem sprechen die Südlondoner von Bowie als „unserem Brixton-Jungen“, wie das lokale Kino damals in großen Lettern auf seine Anzeige schrieb.Vor dem „Ritzy Picturehouse“sind nach der Todesnachricht tausende Fans zusammengekommen und sangen „Starman“, „Heroes“und andere Hits.
Auch Nick Stephenson macht hier mit seiner Tour Halt, immerhin haben sich in diesem Kino Bowies Eltern kennengelernt. Warum aber hat sich Brixton zum Bowie-Pilgerzentrum entwickelt? „Es ist eine kulturell vibrierende Ecke“, sagt Stephenson. Hier gebe es viel Straßenkunst, zahlreiche Events würden organisiert im Gedenken an den Megastar. Entsprechend riesig ist das Interesse an dem Spaziergang.
Während in Brixton die Spuren seiner Kindheit liegen, wurde der Musiker in Soho zum Star. Die Gegend zwischen Oxford Circus, Piccadilly Circus, Covent Garden und Tottenham Court Road war damals das Kreativzentrum der Hauptstadt. 1963 zog es den Vorstadtjungen in das Szeneviertel, wo man sein musste, wollte man es in der MusikindusSchauspielerei. trie zu etwas bringen. Im „Marquee Club“in der Wardour Street, in dessen Gebäude heute ein Restaurant untergebracht ist, spielte er bald jeden Sonntagnachmittag.
Und dann wohl einer der berühmtesten Pilgerorte für BowieBewunderer: die Heddon Street. An der Nummer 23 erinnert heute eine Plakette an den Moment, in dem Bowies Kunstfigur Ziggi Stardust geboren wurde. Hier entstand das Foto für das berühmte Cover von „The Rise And Fall of Ziggy Stardust and The Spiders From Mars“.
London hat Bowie nie losgelassen. Kurz nachdem der Popstar von seiner Krebs-Erkrankung erfahren hatte, besuchte er mit seiner Frau Iman und Tochter Lexi von der Presse unentdeckt ein letztes Mal die britische Hauptstadt. Sie gingen die Orte ab, von denen nun auch Nick Stephenson einige ansteuert.
Das Victoria and Albert Museum unweit des Hyde Parks gehört nicht dazu. Obwohl Bowie dort 2013 höchste Weihen erhielt mit der Ausstellung seines Lebenswerks. Die seither durch die Welt reisende, von gut einer Million Menschen besuchte Schau „David Bowie is . . .“macht klar, wie groß sein Einfluss auf Musik, Mode, Film, Theater, Videound Bildende Kunst ist.
Auch in Berlin war die Ausstellung zu sehen, sogar mit einem Extrateil – wegen der besonderen Beziehung Bowies zu dieser Stadt. Der Martin-Gropius-Bau an der früheren Grenze zur DDR ist daher jetzt an Samstagen – vergleichbar mit der Londoner Aktion – Ausgangspunkt für den „Bowie-Walk“mit Philipp Stratmann. Der Fremdenführer erFotos klärt den überwiegend britischen Fans, warum der Musiker von der Stadt so fasziniert war. Und wie er in den – deswegen heute weltberühmten – Hansa-Studios einige seiner besten Alben schuf. „Viele Berliner sehen David Bowie als ihren, als einen Berliner Künstler.“
Stratmann führt die Pop-Touristen am einstigen Todesstreifen entlang zum Studiogebäude in der Köthener Straße, zum Potsdamer Platz, zum Reichstag – und schließlich zur Schöneberger Hauptstraße 155, wo Bowie zwischen 1976 und 1978 weitgehend anonym lebte und seine Kokainsucht überwand. Dort wurde im Sommer eine Gedenktafel aufgehängt, die seine legendären Berliner Jahre würdigt.
Buchautor Tobias Rüther, der wohl beste Kenner dieser Karrierephase, erklärt den Schritt des Weltstars in die Grenzstadt-Tristesse so: „Bowie war damals sehr anfällig für Geschichte. Er hat seine Wurzeln gesucht, seine Kindheitshelden. Das waren Bert Brecht, der Expressionismus eines Erich Heckel, der deutsche Film der 20er Jahre. Hier konnte er zugleich in einer politisch extrem angespannten Welt leben, daraus bezog er künstlerische Energie.“Zudem interessierte sich Bowie für deutsche Bands wie Kraftwerk, Neu! und Tangerine Dream; teilweise floss das in seinen avantgardistischen Sound ein. Mit dem Song „Where are we now?“erhob Bowie 2013 die Berliner Jahre zu einer seiner prägenden Karrierephasen. Er besingt mit fragiler Stimme den Potsdamer Platz, den einstigen Stammclub „Dschungel“, das Kaufhaus KaDeWe und den Mauerfall – nostalgisch und sehr bewegend.
Auch wenn er aus London stammte und in Berlin seine vielleicht beste Zeit als Musiker hatte – Bowie sah sich viele Jahre als New Yorker. Doch selbst hartgesottene Fans wussten gar nicht, dass der nach einem Herzinfarkt mit seiner Familie sehr zurückgezogen lebende Popstar lange im „Big Apple“zu Hause war.
Nach seinem Tod sprach es sich dann aber doch schnell herum. „We can be heroes, just for one day“, stand in Anlehnung an Bowies bekannteste Hymne auf der Anzeigentafel des „Hard Rock Cafés“am Times Square. Die Menschen steckten Blumen ans Plakat des Bowie-Musicals „Lazarus“. Vor seiner Wohnung bedeckten Blumen, Kuscheltiere und Kerzen den Bürgersteig. Am spürbarsten ist die Trauer bis heute immer noch vor seinem Haus in der Lafayette Street.
Bowie war auch in New York kreativ, wie seine herausragenden Spätwerke „The Next Day“(2013) und „Blackstar“(2016) beweisen. Das Aufnahmestudio „Magic Shop“, wo das an Bowies 69. Geburtstag erschienene letzte Album entstand, lag nur wenige hundert Meter von seiner Haustür entfernt, in der Crosby Street. „Man hat sofort gespürt, wenn er einen Raum betreten hat“, erinnert sich der Jazz-Saxofonist Donny McCaslin. Er arbeitete dort mit Bowie an „Blackstar“. „Man konnte seine Präsenz spüren, seinen Fokus, aber alles mit einer ruhigen Gelassenheit – das war einfach wunderbar!“
Nach Bowies Tod wurde darüber philosophiert, ob die Zeit der großen Pop-Universalgenies vorbei ist. Womöglich lässt die Art, wie heute Musik gemacht und konsumiert wird, solche Giganten auch gar nicht mehr zu. Wird die Heldenverehrung für gestorbene Pop-Ikonen dafür umso größer?
Das Wandbild in London, das Mietshaus an der Hauptstraße 155 in Berlin-Schöneberg, die New Yorker Wohnung – diese drei Stationen in Bowies Leben werden Anziehungspunkte für Fans aus aller Welt bleiben. Denn ein Grab, zu dem sie pilgern können, gibt es im Gegensatz zu einem Elvis Presley in Memphis oder einem Jim Morrison in Paris nicht. Bowies Asche wurde auf der Insel Bali verstreut.
Fünfmal die Woche gibt es einen Bowie Spaziergang In Berlin hatte er vielleicht seine beste Zeit als Musiker