Sonderbehandlung für Diesel Hersteller
Kohlendioxid und Stickoxide sind schädlich – doch die Auflagen für Stoffe, die Autos in die Luft pusten, sind in den USA und in Europa ganz unterschiedlich. Wie kann das sein?
Die „Dieselgate“-Affäre hat Volkswagen bereits Milliarden gekostet und ist für den Konzern noch lange nicht ausgestanden. Aber der Skandal rückt nicht nur den Wolfsburger Autobauer ins Zwielicht, er wirft auch generelle Fragen nach der AbgasRegulierung dies- und jenseits des Atlantiks auf. Denn die unterschiedlichen Standards haben beim VW-Skandal eine wichtige Rolle gespielt. Während die EU vor allem das Klimagas CO2 auf dem Kieker hat, fahren die USA eine harte Linie gegen Stickoxid, das eine direkte Bedrohung für die Gesundheit darstellt. CO2 hingegen ist in nicht allzu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber das wichtigste Treibhausgas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich.
Dieselmotoren stoßen bei vergleichbarer Leistung meist mehr Stickoxid aus als Benziner. Technische Mittel, um die strengeren Grenzwerte in den USA einzuhalten, hätte es zwar gegeben. Doch das wäre aufwendig und teuer gewesen. Bei VW wurde stattdessen mit einer speziellen Software getäuscht, dazu führte, dass der StickoxidAusstoß von Dieselwagen auf der Straße viel höher ausfiel als im Testmodus. Der Rest ist Wirtschaftsgeschichte – der massenhafte Betrug wird den Konzern in den USA über 17 Milliarden Dollar kosten.
Aber wie kann es sein, dass in den USA – dem Land, das viele Experten neben China als größten Klimasünder sehen – striktere Auflagen zum Ausstoß des Schadstoffs Stick- oxid gelten als in Europa? Experten meinen, dass hinter den starken Abweichungen bei den Emissionsregeln neben Klimaschutz eine erhebliche Prise Industriepolitik steckt. Im Klartext: In Europa werde beim Umweltschutz Rücksicht auf die für die heimischen Autobauer wichtige Dieseltechnik genommen – in den USA, wo Benziner dominieren, eben nicht. So stellt sich im Zusammenhang mit dem VW-Skandal auch die Frage: Wie stark richtet sich Regulierung an den Bedürfnissen der Industrie aus?
Die Ökonomen Eugenio Miravete, Maria Moral und Jeff Thurk kommen zu dem Schluss, dass die Wirtschaftspolitik ein wichtiger Faktor ist. Die verschiedenen Regulierungsansätze seien somit auch ein Hauptgrund für die völlig unterschiedliche Stellung des Diesels auf den Kontinenten. Während die Technik in den USA immer schon als dreckiger „Traktorantrieb“verpönt war, erfreut sie sich in Europa weiter großer Beliebtheit. „Da Dieselfahrzeuge vor allem von europäischen Autoherstellern gebaut werden, erhielten diese durch die Emissionsregeln einen Wettbewerbsvordie teil, um sie vor ausländischen Konkurrenten zu schützen, die nicht in die Dieseltechnik investiert hatten“, heißt es in der Studie der Wirtschaftswissenschaftler.
So haben sich Dieselautos in Europa in wenigen Jahrzehnten rasant ausbreiten und einen Marktanteil von über 50 Prozent erreichen können. In den USA und vielen anderen Märkten hingegen kam die Technik nie so richtig aus der Nische.
Auch Julia Poliscanova vom Umweltverband Transport and Environment ist der Meinung, dass Nachsicht mit heimischen Herstellern ein Grund für die Zurückhaltung der europäischen Politik beim Stickoxid-Ausstoß ist. Zwar gibt es seit 1991 Grenzwerte. Doch ob diese auch wirklich eingehalten werden, sei lange nicht streng genug kontrolliert worden, beklagt sie.
Der Dieselskandal hat Europa nun allerdings unter Druck gesetzt. Ab September werden in der Europäischen Union schrittweise Schadstofftests eingeführt, bei denen die Abgaswerte im Verkehr auf der Straße statt nur im Labor gemessen werden („Real Driving Emissions“).