Der bayerische Industrie Adel
Wie die königlichen Kommerzienräte ab 1880 zur Stütze der Gesellschaft wurden. Am Augsburger Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte entstand dazu das erste Handbuch
Augsburg
Sie waren Männer, die eine Stadt voranbrachten. Als 1932 in Memmingen der Leim- und Gelatinefabrikant Johann Pfeffer starb, wurde er betrauert als ein Mann, der in Jahrzehnten „den Ruhm und das Ansehen Memmingens vermehrt, viel Arbeit gegeben und soziale Hilfe gespendet hat“. Die Kommerzienräte waren die Zugpferde der örtlichen Wirtschaft, im Unterallgäu dazu mit Erfindergeist begabt. Die Osterrieder-Werke in Lautrach führten ihre Gründung auf den ersten fahrbaren Höhenförderer zurück, der dem gelernten Schlosser Georg Osterrieder gelang. Pfeffer galt durch den Einsatz des Thomasschlackenmahlwerks als Vorreiter seiner Branche. Der Textilfabrikant Rudolf Neunhöffer ließ sich die Umstellung von Garn auf Baumwolle und später auf Papier während des Ersten Weltkriegs patentieren.
Um Kommerzienrat zu werden, musste man einige Voraussetzungen erfüllen: natürlich wirtschaftlich erfolgreich sein, sehr wohlhabend und ein guter Steuerzahler, dazu die Bonität eines ehrlichen Kaufmanns genießen, mit seiner Arbeiterschaft gut umgehen und als Mäzen die öffentliche Wohlfahrt fördern. 1880 begann König Ludwig II. den Titel „für höhere Kaufleute und Industrielle“zu verleihen. Im Hinter- grund schwang Marita Krauss zufolge die Erwartung des Regenten mit, sich neben der hohen Beamtenschaft damit eine loyale Führungsschicht zu erwerben. Übrigens sind neben Katholiken und Protestanten auch rund 270 jüdische Unternehmer Kommerzienräte geworden.
Immerhin verhalfen die Firmen der Kommerzienräte Bayern ökonomisch zu einer führenden Stellung im Deutschen Reich. In so wichtigen Branchen wie Textil, Maschinenund Apparatebau, Chemie, Nahrungs- und Genussmittel hatten sie die Nase vorn. Im Bierausstoß nahmen bayerische Brauereien sogar einen Spitzenplatz ein: Im Jahr 1913 wurde ein Zehntel des weltweit getrunkenen Biers hier gebraut. Kein Wunder, dass unter den bayerischen Kommerzienräten (Multi-) Millionäre waren, etwa die Münchner Brauer Gabriel Sedlmayr und Georg Pschorr. Von 641 bayerischen Kommerzienräten im Jahr 1914 besaßen 281 mindestens eine Million Mark. Zusammen gehörten dieser Gruppe mindestens 693 Millionen Mark, listet das Buch auf.
Ein großspuriger Lebensstil wurde in diesen Kreisen gepflegt. Die Zigarre war das Statussymbol, man besaß eine repräsentative Villa und ließ die Dienstboten springen, man umgab sich mit Kunst und hatte ein O
„Die bayeri schen Kommerzienräte. Eine deutsche Wirtschaftselite von 1880 bis 1928“, Volk Verlag München, 848 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 69 Euro.