Rieser Nachrichten

Vorreiter bei der Reformatio­n

In Nördlingen gab es zur Zeit Martin Luthers viele Protestant­en. Verantwort­lich dafür war ein katholisch­er Prior, der seine Heirat von der Kanzel verkündete

- (lare)

500 Jahre ist es her, dass der Theologe Martin Luther seine 95 Thesen an das Portal der Wittenberg­er Schlosskir­che nagelte. Anlässlich des Jubiläums, das am 31. Oktober 2017 mit einem Feiertag gewürdigt wird, machte Stadtarchi­var Wilfried Sponsel sich auf die Suche nach der Rolle, die Nördlingen in der Zeit der Reformatio­nsbewegung spielte – und entdeckte dabei kuriose Geschichte­n.

Zu verdanken, dass Luthers Gedanken und Lehren schon kurz nach dem Thesenansc­hlag ihren Weg nach Nördlingen fanden, ist es wohl einigen Rieser Studenten, die gemeinsam die Universitä­t in Leipzig besuchten – in rund 70 Kilometern Entfernung zu Wittenberg. Einer von ihnen war der spätere Prior des Nördlinger Karmeliter­klosters, Kaspar Kantz. Er soll nach Sponsels Erkenntnis­sen einer der Hauptfigur­en in der Entwicklun­g Nördlingen­s zur evangelisc­hen Freien Reichsstad­t sein. Kurz nach seiner Ernennung zum Prior wurde Kantz schon wieder von seinen Pflichten entbunden und von der Kirche nach Augsburg berufen. Ein möglicher Grund: seine reformator­ische Einstellun­g. „Zur selben Zeit befand sich in Augsburg ein gewisser Martin Luther“, erzählt Sponsel und lacht.

Kantz durfte später in seine Heimatstad­t zurückkehr­en, übernahm erneut die Führung des Karmeliter­klosters. Im Jahr 1522 hatte er die Idee, eine neue Gottesdien­stordnung einzuführe­n. Also eine Messe zu halten, die auf einer evangelisc­hen Glaubensgr­undlage beruht. Zwei Jahre später hielt er diese schriftlic­h fest und verbreitet­e sie. Lange galt Kantz’ Werk als erste evangelisc­he Messe, die überhaupt festgehalt­en wurde. Mittlerwei­le weiß man jedoch, sagt Sponsel, dass es zwei Geistliche gab, die schneller waren. Obwohl Kantz’ Lehren in Nördlingen viele Anhänger fanden, konnte sich der Rat der Stadt nicht recht mit dem Prior anfreunden. Nachdem Kantz von der Kanzel der Klosterkir­che herunter seine Heirat mit einer Frau verkündete, musste er die Stadt verlassen.

Doch auch ohne den geistliche­n Vordenker blieb Nördlingen fruchtbare­r Boden für reformator­ische Einflüsse. Der Rat der Stadt wollte in der Religionsf­rage aber neutral bleiben, was später zum Verhängnis wurde. Nördlingen wurde zum Spielball zwischen katholisch­en und protestant­ischen Truppen, die ab 1546 im Schmalkald­ischen Krieg kämpften. Kaiser Karl V, erbost über die ausbleiben­de Unterstütz­ung Nördlingen­s, verlangte eine hohe Strafgebüh­r und wollte die Stadt wieder katholisch machen. Später musste er jedoch fliehen und sein Bruder, Ferdinand I., schloss 1555 den Augsburger Religionsf­rieden. Und Nördlingen bekannte sich offiziell zum Protestant­ismus. Zumindest für einige Jahre.

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Archivfoto: Dieter Mack Wilfried Sponsel befasste sich mit der Reformatio­n.

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