Rieser Nachrichten

Die Schule wird zur Kampfzone

Titel Thema Sigrid Puschner leitet eine Mittelschu­le. Mit den meisten Eltern und Schülern versteht sie sich gut. Aber die, die sich gehörig danebenben­ehmen, werden immer mehr

- Seit wann beobachten Sie das? Kommt das genauso vor? Was tun Sie dann? Welche zum Beispiel? Was passiert dann? Interview: Sarah Ritschel Sigrid Puschner, 59, leitet seit 2006 die Mittelschu le Gersthofen (Kreis Augs burg). Sie unterricht­et Deutsch in der

Rettungsdi­enste werden bei ihrer Arbeit behindert, Polizisten beleidigt. Sie alle klagen über mangelnden Respekt. Frau Puschner, wie sieht es bei den Lehrern aus?

Sigrid Puschner: Ich glaube, dass sich in der ganzen Gesellscha­ft die Einstellun­g gegenüber Mitmensche­n wandelt – auch in der Schule. Schüler, die respektlos mit Lehrern reden, und Eltern, die ohne Respekt mit der Schule kommunizie­ren, sind ein ernsthafte­s Problem.

Puschner: Das war ein schleichen­der Prozess. Ich würde sagen, es hat sich in den letzten zehn Jahren angebahnt. Die Hemmschwel­le sinkt vor allem da, wo Jugendlich­e in der Gruppe unterwegs sind. Im Einszu-eins-Gespräch sieht das oft ganz anders aus, da begegnet den Kollegen und mir nur wenig respektlos­es Verhalten.

Sie leiten die Mittelschu­le Gersthofen im Kreis Augsburg. Was glauben Sie, ist mangelnder Respekt hier ein größeres Problem als etwa am Gymnasium?

Puschner: Wir sehen uns hier nicht als Zentrum der Respektlos­igkeit. Viele Schüler sind gerne da und dankbar für das, was sie lernen. Mangelnder Respekt zieht sich durch alle sozialen Schichten – auch wenn die Erscheinun­gsformen vielleicht verschiede­n sind. Manche Eltern vergraben sich in Erziehungs­ratgebern und geben ihrem Kind Freiräume, die es noch gar nicht verarbeite­n kann. Andere halten sich mit zwei Jobs über Wasser und deshalb, ihr Kind zu erziehen. Wieder andere interessie­ren sich einfach nicht dafür. Aber am Ende macht es keinen Unterschie­d, ob ein Schüler zum Lehrer sagt: „Lass mich in Ruhe, Alter“, oder „Sie haben mir gar nichts zu sagen.“

Puschner: Ja. Wir hatten mal einen Fall, in dem ein Schüler dem Lehrer „Halt’s Maul“gesagt hat. Vom Hausmeiste­r oder von den Betreuern am Nachmittag lassen sich Schüler oft erst recht nichts sagen.

Was tun Sie in solchen Fällen?

Puschner: Wir setzen die Eltern in Kenntnis. Für ein „Halt’s Maul“bekommt der Schüler einen Verweis. Aber ich halte nichts davon, wenn man Jugendlich­e mit Verweisen überhäuft – sonst verliert er seine Wirkung. Der wird dann unterschri­eben, und das war’s.

Was haben Sie sonst noch für Möglichkei­ten?

Puschner: Wir arbeiten so oft wie möglich präventiv, buchen Experten für Workshops, in denen Schüler mit ihrem Handeln konfrontie­rt werden. Aber für solche Maßnahmen ist nur wenig Geld vorgesehen. Meistens können wir erst etwas tun, wenn die Misere schon da ist. Ich wünsche mir von den Institutio­nen, dass sich da etwas ändert.

Was kann ein Lehrer tun, um den Schülern den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Puschner: Die wichtigste Vorausset- zung ist, dass auch ein Lehrer seine Schüler respektier­t. Ich glaube nämlich, dass manche Probleme hausgemach­t sind. Wenn man Probleme mit einem Schüler hat und von der ganzen Klasse dabei beobachtet wird, ist es manchmal schwierig, pädagogisc­h richtig zu arbeiten. Viele Lehrer stehen unter Druck. Das merken die Schüler – und das nutzen sie aus.

In einer Umfrage des Forsa-Instituts gab jeder vierte Lehrer an, selbst schon psychische Gewalt an der Schule erlebt zu haben. Zwei Drittel der Betroffene­n wurden von Eltern beschimpft. Sehen Sie so etwas auch?

Puschner: Ja. Eltern haben heute wenig Hemmungen, ausfallend zu werden. Und sie neigen dazu, den Lehrer zu übergehen. Wenn sie sich beschweren wollen, rufen sie direkt bei mir an oder sogar beim Schulamt. Die Drohgebärd­en nehmen zu: „Wenn du nicht machst, was ich will, lege ich Dienstaufs­ichtsbesch­werde ein.“Das betrifft übrigens nicht nur junge Lehrer.

Puschner: Der Dialog steht bei uns an erster Stelle. Ich rate Kollegen, Gespräche mit schwierige­n Eltern zu zweit zu führen, damit man im Zweifelsfa­ll einen Zeugen hat. Aber wir sind damit konfrontie­rt, dass Eltern zu Gesprächen gar nicht komvergess­en men. Oder sie kommen nur dann, wenn sie eine Forderung haben.

Puschner: Wenn ihr Kind eine schlechte Note nach Hause bringt, steht für solche Eltern fest: Der Lehrer hat den Stoff nicht richtig durchgenom­men – selbst wenn das Kind für die Probe vielleicht einfach nicht gelernt hat. Dann fordern sie, dass die Note nicht anerkannt wird. Auch in solchen Fällen drohen Eltern mit dem Schulamt – oder mit dem Rechtsanwa­lt, selbst bei nichtigste­n Gründen. Wenn der Schüler nacharbeit­en muss zum Beispiel.

Puschner: Normalerwe­ise schreibt man dem Rechtsanwa­lt, legt alles dar – und hört dann nichts mehr.

Nicht nur junge Lehrer werden zu Opfern

Sie halten mangelnden Respekt für ein gesellscha­ftliches Phänomen. Hat sich in der Erziehung etwas geändert?

Puschner: Ich glaube, dass Respekt heute kein wichtiges Erziehungs­ziel mehr ist. Das Ansehen von Schule und Wissen ist auch gesunken. Überspitzt formuliert: Wenn ich etwas wissen will, dann suche ich bei Google. Auch das hat mangelnden Respekt gegenüber Lehrern zur Folge.

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Foto: Blattwerks­tatt, Fotolia Schüler teilen heute kräftig gegen Lehrer aus. Und die Eltern? Halten natürlich zu ihrem Kind. Es braucht nicht viel, und die Schule bekommt Post vom Anwalt. Oft reicht dafür schon eine schlechte Note, für die die Eltern den Lehrer verantwort­lich machen.
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