Rieser Nachrichten

Vorwärts ins autoritäre Zeitalter?

Serie Die Globalisie­rung und ihre sozialen Folgen als Gefährdung der Demokratie im 21. Jahrhunder­t: Warum das Ende der offenen Gesellscha­ft droht und was als Einziges dagegen helfen könnte

- VON WOLFGANG SCHÜTZ York Times New

Es war an der Schwelle zum 21. Jahrhunder­t, vor genau zwanzig Jahren, da sorgte George Soros für mächtig Aufregung. Ausgerechn­et der ungarisch-amerikanis­che Investment-Milliardär nämlich sagte: Vor 1989 sei der Kommunismu­s der größte Feind der offenen Gesellscha­ft gewesen; jetzt aber sei es der Kapitalism­us. Die entfesselt­en Kräfte des Marktes sorgten für immer mehr Ungleichhe­it und unterwande­rten so die Grundpfeil­er der Gerechtigk­eit und des sozialen Friedens – also der Demokratie.

Diese Sicht hat seitdem eine erstaunlic­he Karriere gemacht. Wenn Soros damals noch für seine vermeintli­ch marxistisc­hen Ansichten angegriffe­n wurde, so hat dasselbe massive Unbehagen an der Globalisie­rung inzwischen vor allem von Rechts eine starke Stimme erhalten. Wiederholt sich hier Geschichte? Denn zuletzt waren sich Links und Rechts in ihrem Unbehagen gegenüber der globalisie­rten Moderne mit ihren Eliten und ihrem Establishm­ent vor rund hundert Jahren so einig gewesen. Aber gerade das hat damals zum Tod der offenen Gesellscha­ften geführt…

„Was für ein erstaunlic­her Irrtum!“, hat denn 1997 auch schon der deutsch-britische Soziologe Ralf Dahrendorf auf George Soros erwidert: „Der Witz der offenen Gesellscha­ft liegt ja gerade darin, dass sie viele Wege erlaubt, auch viele Kapitalism­en.“Eben auf diese Vielfalt und deren sinnvolle Gestaltung käme es in Zukunft an statt auf entspreche­nde Feindbilde­r – die nämlich begründete­n nur Angstszena­rien und geschlosse­ne Gesellscha­ften. Dahrendorf­s Analyse (erschienen im von Ulrich Beck herausgege­benen Band „Perspektiv­en der Weltgesell­schaft“in der SuhrkampEd­ition „Zweite Moderne“) schneidet auch acht Jahre nach seinem Tod noch ins Herz von Gegenwart und Zukunft. Denn er benennt darin genau die Gefahren, die heute für all das Unbehagen am globalisie­rten Wirtschaft­sleben sorgen. „Die Nebenwirku­ngen der Globalisie­rung schaffen Probleme, denen mit normalen demokratis­chen Methoden abzuhelfen schwierig ist. Schon die Erhaltung von Recht und Ordnung ruft beinahe unweigerli­ch autoritäre Maßnahmen auf den Plan.“

Dahrendorf sah das Ende dessen drohen, was er „das sozialdemo­kratische Zeitalter“nannte. In dem waren die Verwerfung­en der Globalisie­rung noch mit Mitteln wie den Gewerkscha­ften hin zu einer „Sozialen Marktwirts­chaft“einzuhegen. Er schreibt: „Ein Jahrhunder­t des Autoritari­smus ist keineswegs die unwahrsche­inlichste Prognose für das 21. Jahrhunder­t.“Denn: „Globalisie­rung entzieht dem einzigen Domizil der repräsenta­tiven Demokratie, das bisher funktionie­rt hat, dem Nationalst­aat, die ökonomisch­e Grundlage. Globalisie­rung beeinträch­tigt den Zusammenha­lt von Bürgergese­llschaften, auf denen der demokratis­che Diskurs gedeiht. Globalisie­rung ersetzt die Institutio- nen der Demokratie durch konsequent­e Kommunikat­ion zwischen atomisiert­en Individuen…“Insofern läge der Schluss nahe: „Die einzige Alternativ­e, die aggressive Regionalis­ierung oder der Fundamenta­lismus, ist fast strukturno­twendig von Führungsst­rukturen geprägt, die man nur als autoritär beschreibe­n kann.“Die Abwehrbewe­gung gegen den Weltmarkt als Rückzug auf die möglichst konzentrie­rt vertretene­n Eigeninter­essen – ist es nicht eben diese Bewegung, die nun in vielen Ländern zu beobachten ist? Eine aktuelle, kürzlich in der

veröffentl­ichte weltweite Umfrage zeigt zudem, wie die Wertschätz­ung der Demokratie auf breiter Front abstürzt. Und zwar nach Alter, also in die Zukunft gerichtet. Etwa in den USA, Australien oder England erachten es noch rund zwei Drittel der in den 1930er Jahren geborenen Menschen als entscheide­nd, in einer Demokratie zu leben – bis zu den in den 80ern Geborenen fällt der Wert in die Nähe von 25 Prozent! In Europa stürzen die Kurven (noch?) flacher. Aber die Tendenz scheint die gleiche: Die kapitalist­ischen Staatsmode­lle fußen auf den Werten Wirtschaft­swachstum, sozialer Zusammenha­lt und Demokratie – wenn die Stabilität nur auf Kosten von einem der dreien erhalten werden kann, dann am liebsten dem der Demokratie. Ein Alarmsigna­l vielleicht. Aber was tun?

George Soros ist an der Seite von Prominente­n wie dem Politiker Al Gore und dem Theologen Hans Küng Initiator eines neuen, globalen „Marshall Plans“, der für Rahmenbedi­ngungen einer „Ökosoziale­n Marktwirts­chaft“weltweit kämpft – für Nachhaltig­keit und Gerechtigk­eit. Ralf Dahrendorf hat eine solche von oben verordnete Vernunft immer für unwahrsche­inlich gehalten. Der Soziologe, der auch lange im deutschen Bundestag und im britischen House of Lords wirkte, setzte immer auf die Vielfalt der einzelnen Staatsmode­lle und deren Lernfähigk­eit. Unser Ziel müsse weiterhin sein, alle drei Werte des kapitalist­ischen Modells zu vereinen. Denn: „Noch eine globalisie­rte Welt von Wirtschaft und Politik bleibt voller Vielfalt. Es lohnt sich also, die Quadratur des Kreises mit den Mitteln zu verfolgen, die das jeweils eigene Land seinen Bürgern kraft Tradition und Erfahrung zur Verfügung stellt.“Das typisch klassisch deutsche Modell übrigens ist das rheinische – und das baut stabiliere­nd wesentlich auf Solidaritä­t und Demokratie, vernachläs­sigt prinzipiel­l am ehesten Wirtschaft­swachstum.

Daraus spricht eine Empfehlung für das Deutschlan­d des 21. Jahrhunder­ts, für seine Politik und seine Bürger. Dahrendorf­s Warnung lautet nicht auf ein Heraufzieh­en einer neuen totalitäre­n Diktatur – „autoritäre Verfassung­en aber können dauern; sie sind weder so katastroph­enträchtig noch prekär“. Und er schließt: „Globalisie­rung tut vielen weh, aber existenzie­lle Angst vor ihr ist nicht angesagt.“Das ist keine Beschwicht­igung, sondern eine Ermutigung zum aktiven Gestalten.

Formuliert von einem wie Dahrendorf, einem, den es als Typ heute in Deutschlan­d nicht mehr gibt: einem Liberalen. Denn ausgerechn­et das freiheitli­che Denken ist in den Nullerjahr­en als Neoliberal­ismus zum verpönten Inbegriff des CasinoKapi­talismus geworden und in den heutigen Debatten als Linksliber­alimus zum Inbegriff des antination­alen Gutmensche­ntums geworden. Diese Ideologisi­erung spricht wohl Bände über das prekäre deutsche Verhältnis zur Freiheit und zur Vielfalt des Kapitalism­us.

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Foto: Christian Mang, Imago Wem gehört die Welt? Der heutige Kapitalism­us verschiebt die Machtgewic­hte – auch politisch.
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