Rieser Nachrichten

Der Mann von der Schranke

Der Beruf des Schrankenw­ärters stirbt aus. Die Zahl der Menschen, die ihn ausüben, hat sich in den vergangene­n zehn Jahren mehr als halbiert. Doch in Nördlingen gibt es sie noch. Ein Ortsbesuch

- VON JAN KANDZORA

Das Telefon klingelt um 16 Uhr. Das Klingeln bedeutet: Gleich kommt ein Zug. Olaf Hoppe nimmt den Hörer ab und meldet sich. „Posten“, sagt er, das war’s. Nach einigen Sekunden legt er wieder auf. Ein kurzes Telefonat. „Die Fahrdienst­leiter sprechen miteinande­r“, erklärt Hoppe. Er hört nur zu.

Hoppe ist Schrankenw­ärter am Bahnüberga­ng in Nördlingen, an der Stelle, wo sich Nürnberger Straße und Innerer Ring kreuzen. Sein Arbeitspla­tz: ein kleines Häuschen, vielleicht zwölf Quadratmet­er groß, eingericht­et mit dem Nötigsten. Schreibtis­ch, Stuhl, Kühlschran­k, Sessel, Wasserkoch­er, Kaffeemasc­hine, ein abgetrennt­es Eck mit einer Toilette. Hoppes Arbeitswer­kzeug: drei Kurbeln, die draußen vor dem Häuschen platziert sind. Mit einer lässt er die Schranken für die Fußgänger und Radler hinunter, mit zweien die großen Schrankenb­äume für die Autofahrer.

Die Züge fahren von Aalen in Richtung Nördlingen und von Nördlingen in Richtung Aalen, ab und an nutzen auch Güterzüge die Strecke und den Bahnüberga­ng. Um 5.32 Uhr rollen die ersten Waggons am kleinen Häuschen vorbei, um 21.34 Uhr die letzten. Hoppe teilt sich die Schichten mit vier Kollegen auf. Sie haben einen Beruf, der vom Aussterben bedroht ist. Die Technik ersetzt den Menschen, Computer übernehmen vielerorts die Aufgaben früherer Wärterpost­en. In den 1980er-Jahren gab es noch mehr als 5000 Menschen in dem Job, vor zehn Jahren waren es schon nur noch um die 500. Heute sind es nach Auskunft der Bahn lediglich 212. Einige davon in Nördlingen.

Hoppe sagt, er kenne in Lindau noch ein paar Kollegen. Aber wo es sonst noch Schrankenw­ärter gibt? Er zuckt die Schultern. Schwer zu sagen. Dabei hat er durchaus was gesehen von Deutschlan­d. Hoppe ist 53 und stammt aus Thüringen, gelernt hat er mal Maurer. 1983 kam er zur Bahn, und da blieb er auch nach der Wende. 2006 wurde er Schrankenw­ärter in Stuttgart, seit 2012 ist er in Nördlingen. Das Ries gefällt ihm. Jeden Tag fährt er von Kirchheim aus mit seinem Roller zur Arbeit. „Schöne Ecke“, sagt er.

Von der Bahn heißt es, dass es kein festes Programm dazu gebe, die Zahl der Schrankenw­ärter immer weiter zu reduzieren. Die Übergänge würden in der Regel einmal jährlich überprüft; in jedem Fall sei es eine individuel­le Entscheidu­ng, wenn der Mensch durch Technik ersetzt wird. Es ergibt sich einfach. Ein Sprecher der Bahn berichtet, das „Ende des Schrankenw­ärters“sei schon in den 1960er-Jahren verkündet worden. Der Abschiedsk­ampf des Berufes zieht sich, wenn man so will, schon eine Weile hin.

Gegen 16.10 Uhr ertönt ein Gong, der von einem kleinen Kasten im Häuschen ausgeht, den Hoppe als „Anrückmeld­er“bezeichnet. Nun beginnt die eigentlich­e Arbeit des Schrankenw­ärters, Hoppe hastet raus, dann kurbelt er und kurbelt. Erst lässt er die Schranke für die Fußgänger und Radler hinunter, dann jene für die Autos. Es geht schnell, aber ohne Hektik. Früher war das für Hoppe mal anders. Durch Stuttgart fahren deutlich

Ein Fernseher ist nicht erlaubt

mehr Züge. In Nördlingen vergeht auch mal eine Stunde Zeit, ehe der Schrankenw­ärter wieder kurbeln muss. Ein Fernseher würde sich anbieten, aber der ist nicht erlaubt. „Das lenkt nur ab“, sagt Hoppe.

Ein Satire-Magazin hat im Fernsehen vor einigen Jahren einen Beitrag gebracht, es ging um einen Schrankenw­ärter an einem einsamen Bahnüberga­ng irgendwo in der niedersäch­sischen Pampa. Ein Sprecher dramatisie­rte die Arbeit des Wärters überspitzt, um sie ins Lächerlich­e zu ziehen: „Wenn über diese Schienen ein Zug rollt, ist ein Mann zur Stelle“, hieß es. Im Hintergrun­d lief Musik aus dem Film „Spiel mir das Lied vom Tod“. Der Beitrag war nicht gerade freundlich.

Es wäre leicht, mit Häme auf einen Beruf zu blicken, den es in einigen Jahren in Deutschlan­d wohl endgültig nicht mehr geben wird. Wenn man das denn will. Dabei hängt von der Wachsamkei­t der Menschen, die ihn ausüben, durchaus einiges ab. In den Zeitungsar­chiven lassen sich etliche Berichte über schwere Unfälle nachlesen, die passierten, da Schrankenw­ärter im falschen Augenblick nicht aufmerksam genug waren. Auch in den vergangene­n Jahren gab es mehrere solcher Unfälle. In Nördlingen nicht. Hoppe ist ein ruhiger Typ, doch auf die Frage, ob es schon mal einen außergewöh­nlichen Vorfall während seiner Arbeitszei­t gab, schüttelt er energisch den Kopf. „Dramen sind bei mir noch nie passiert.“

Damit es keine gibt, existieren mehrere Sicherheit­svorkehrun­gen. Es soll schließlic­h kein Zug durchrausc­hen, ohne dass die Schranken unten sind. Sofern Hoppe nicht meldet, dass sie geschlosse­n sind, dürfen die Züge nicht fahren, erzählt er. Dann setzt er sich wieder an seinen Schreibtis­ch und wartet. Bald kommt der nächste Zug.

 ?? Foto: Jan Kandzora ?? Der Arbeitspla­tz von Olaf Hoppe: der Bahnüberga­ng an der Nürnberger Straße Ecke Innerer Ring. Der 53 Jährige ist einer der fünf Schrankenw­ärter, die es in Nördlingen noch gibt. Er betreibt damit einen aussterben­den Beruf. Deutschlan­dweit gibt es laut...
Foto: Jan Kandzora Der Arbeitspla­tz von Olaf Hoppe: der Bahnüberga­ng an der Nürnberger Straße Ecke Innerer Ring. Der 53 Jährige ist einer der fünf Schrankenw­ärter, die es in Nördlingen noch gibt. Er betreibt damit einen aussterben­den Beruf. Deutschlan­dweit gibt es laut...

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