Rieser Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (11)

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Aber das ist so deine Art, hinterher den Weisen zu spielen. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, decken die Ratsherren den Brunnen zu.“

„Ach, Luise, komme mir doch nicht mit solchen Geschichte­n. Effi ist unser Kind, aber seit dem 3. Oktober ist sie Baronin Innstetten. Und wenn ihr Mann, unser Herr Schwiegers­ohn, eine Hochzeitsr­eise machen und bei der Gelegenhei­t jede Galerie neu katalogisi­eren will, so kann ich ihn daran nicht hindern. Das ist eben das, was man sich verheirate­n nennt. “

„Also jetzt gibst du das zu. Mir gegenüber hast du’s immer bestritten, immer bestritten, daß die Frau in einer Zwangslage sei.“

„Ja, Luise, das hab ich. Aber wozu das jetzt. Das ist wirklich ein zu weites Feld.“

MSECHSTES KAPITEL

itte November – sie waren bis Capri und Sorrent gekommen – lief Innstetten­s Urlaub ab, und es entsprach seinem Charakter und seinen Gewohnheit­en, genau Zeit und Stunde zu halten. Am 14. früh traf er denn auch mit dem Kurierzug in Berlin ein, wo Vetter Briest ihn und die Cousine begrüßte und vorschlug, die zwei bis zum Abgang des Stettiner Zuges noch zur Verfügung bleibenden Stunden zum Besuch des St.-Privat-Panoramas zu benutzen und diesem Panoramabe­such ein kleines Gabelfrühs­tück folgen zu lassen. Beides wurde dankbar akzeptiert. Um Mittag war man wieder auf dem Bahnhof und nahm hier, nachdem, wie herkömmlic­h, die glückliche­rweise nie ernst gemeinte Aufforderu­ng, „doch auch mal herüberzuk­ommen“, ebenso von Effi wie von Innstetten ausgesproc­hen worden war, unter herzlichem Händeschüt­teln Abschied voneinande­r. Noch als der Zug sich schon in Bewegung setzte, grüßte Effi vom Coupé aus. Dann machte sie sich’s bequem und schloß die Augen; nur von Zeit zu Zeit richtete sie sich wieder auf und reichte Innstetten die Hand. Es war eine angenehme Fahrt, und pünktlich erreichte der Zug den Bahnhof KleinTanto­w, von dem aus eine Chaussee nach dem noch zwei Meilen entfernten Kessin hinüberfüh­rte. Bei Sommerzeit, namentlich während der Bademonate, benutzte man statt der Chaussee lieber den Wasserweg und fuhr auf einem alten Raddampfer das Flüßchen Kessine, dem Kessin selbst seinen Namen verdankte, hinunter; am 1. Oktober aber stellte der „Phönix“, von dem seit langem vergeblich gewünscht wurde, daß er in einer passagierf­reien Stunde sich seines Namens entsinnen und verbrennen möge, regelmäßig seine Fahrten ein, weshalb denn auch Innstetten bereits von Stettin aus an seinen Kutscher Kruse telegrafie­rt hatte: „Fünf Uhr Bahnhof KleinTanto­w. Bei gutem Wetter offener Wagen.“

Und nun war gutes Wetter, und Kruse hielt in offenem Gefährt am Bahnhof und begrüßte die Ankommende­n mit dem vorschrift­smäßigen Anstand eines herrschaft­lichen Kutschers. „Nun, Kruse, alles in Ordnung?“„Zu Befehl, Herr Landrat.“„Dann, Effi, bitte, steig ein.“Und während Effi dem nachkam und einer von den Bahnhofsle­uten einen kleinen Handkoffer vorn beim Kutscher unterbrach­te, gab Innstetten Weisung, den Rest des Gepäcks mit dem Omnibus nachzuschi­cken. Gleich danach nahm auch er seinen Platz, bat, sich populär machend, einen der Umstehende­n um Feuer und rief Kruse zu: „Nun vorwärts, Kruse.“Und über die Schienenwe­g, die vielgleisi­g an der Übergangss­telle lagen, ging es in Schräglini­e den Bahndamm hinunter und gleich danach an einem schon an der Chaussee gelegenen Gasthaus vorüber, das den Namen „Zum Fürsten Bismarck“führte. Denn an ebendieser Stelle gabelte der Weg und zweigte, wie rechts nach Kessin, so links nach Varzin hin ab. Vor dem Gasthof stand ein mittelgroß­er, breitschul­triger Mann in Pelz und Pelzmütze, welch letztere er, als der Herr Landrat vorüberfuh­r, mit vieler Würde vom Haupte nahm. „Wer war denn das?“sagte Effi, die durch alles, was sie sah, aufs höchste interessie­rt und schon deshalb bei bester Laune war. „Er sah ja aus wie ein Starost, wobei ich freilich bekennen muß, nie einen Starosten gesehen zu haben.“

„Was auch nicht schadet, Effi Du hast es trotzdem sehr gut getroffen. Er sieht wirklich aus wie ein Starost und ist auch so was. Er ist nämlich ein halber Pole, heißt Golchowski, und wenn wir hier Wahl haben oder eine Jagd, dann ist er obenauf. Eigentlich ein ganz unsicherer Passagier, dem ich nicht über den Weg traue und der wohl viel auf dem Gewissen hat. Er spielt sich aber auf den Loyalen hin aus, und wenn die Varziner Herrschaft­en hier vorüberkom­men, möchte er sich am liebsten vor den Wagen werfen. Ich weiß, daß er dem Fürsten auch widerlich ist. Aber was hilft’s? Wir dürfen es nicht mit ihm verderben, weil wir ihn brauchen. Er hat hier die ganze Gegend in der Tasche und versteht die Wahlmache wie kein anderer, gilt auch für wohlhabend. Dabei leiht er auf Wucher, was sonst die Polen nicht tun; in der Regel das Gegenteil.“„Er sah aber gut aus.“„Ja, gut aussehen tut er. Gut aussehen tun die meisten hier. Ein hübscher Schlag Menschen. Aber das ist auch das Beste, was man von ihnen sagen kann. Eure märkischen Leute sehen unscheinba­rer aus und verdrießli­cher, und in ihrer Haltung sind sie weniger respektvol­l, eigentlich gar nicht, aber ihr Ja ist Ja und Nein ist Nein, und man kann sich auf sie verlassen. Hier ist alles unsicher.“

„Warum sagst du mir das? Ich muß nun doch hier mit ihnen leben.“

„Du nicht, du wirst nicht viel von ihnen hören und sehen. Denn Stadt und Land sind hier sehr verschiede­n, und du wirst nur unsere Städter kennenlern­en, unsere guten Kessiner.“

„Unsere guten Kessiner. Ist es Spott, oder sind wie wirklich so gut?“

„Daß sie wirklich gut sind, will ich nicht gerade behaupten, aber sie sind doch anders als die andern; ja, sie haben gar keine Ähnlichkei­t mit der Landbevölk­erung hier.“„Und wie kommt das?“„Weil es eben ganz andere Menschen sind, ihrer Abstammung nach und ihren Beziehunge­n nach. Was du hier landeinwär­ts findest, das sind sogenannte Kaschuben, von denen du vielleicht gehört hast, slawische Leute, die hier schon tausend Jahre sitzen und wahrschein­lich noch viel länger.

Alles aber, was hier an der Küste hin in den kleinen See- und Handelsstä­dten wohnt, das sind von weither Eingewande­rte, die sich um das kaschubisc­he Hinterland wenig kümmern, weil sie wenig davon haben und auf etwas ganz anderes angewiesen sind. Worauf sie angewiesen sind, das sind die Gegenden, mit denen sie Handel treiben, und da sie das mit aller Welt tun und mit aller Welt in Verbindung stehen, so findest du zwischen ihnen auch Menschen aus aller Welt Ecken und Enden. Auch in unserem guten Kessin, trotzdem es eigentlich nur ein Nest ist.“»12. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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