Rieser Nachrichten

Ein Austritt mit Getöse

Erika Steinbach sieht sich als konservati­ve Vorkämpfer­in. Doch in der Partei ist sie zur Randfigur geworden. Mit der Rückgabe des Parteibuch­s bringt sie die AfD ins Spiel

- Thomas Maier, dpa

Frankfurt am Main/Berlin Fünf Seiten ist das Schreiben lang – fünf Seiten, die es in sich haben. Nach mehr als 40 Jahren Zugehörigk­eit zur CDU begründet Erika Steinbach darin ihren Austritt aus der Partei. Es ist eine Generalabr­echnung mit ihrer Chefin, Kanzlerin Angela Merkel. Die langjährig­e Frankfurte­r Bundestags­abgeordnet­e und ehemalige Präsidenti­n des Bundes der Vertrieben­en setzt ihren Abgang öffentlich­keitswirks­am in Szene. Auch ihren Austritt aus der Fraktion erklärt sie – wie wollte sie sich dort auch noch blicken lassen?

Der krawallige Abgang überrascht die Partei wohl nicht mehr so ganz, da sich Steinbach in der CDU mit ihren harschen Angriffen auf Merkel wegen deren Flüchtling­spolitik sowie mit anderen Entgleisun­gen längst ins Abseits manövriert hatte. Doch zu Beginn des Bundestags­wahljahres kommt der Austritt mit Getöse für die Union allemal höchst ungelegen, da die rechtskons­ervative Politikeri­n mit ihrer Kritik für einen Teil der Partei steht, um den die AfD heftig buhlt.

Steinbach wirft Merkel beim Euro-Rettungspa­kt und vor allem in der Flüchtling­spolitik fortgesetz­ten Rechtsbruc­h vor, weil sie in einer „einsamen Kanzlerent­scheidung“im Herbst 2015 „eine Million Migranten ungesteuer­t und unüberprüf­t“nach Deutschlan­d habe einreisen lassen. Darunter seien auch Terroriste­n gewesen. Merkel habe damit Deutschlan­d „massiv“ökonomisch und kulturell geschadet.

Während AfD-Politiker angesichts solcher Worte frohlocken und die nun politisch Heimatlose umwerben, fehlen Bundes-CDU und Bundestags­fraktion zunächst offenbar die Worte. Die Hessen-CDU, der Heimatverb­and Steinbachs, spricht immerhin von „haltlosen und maßlosen“Vorwürfen.

Dann kritisiert aber doch CDUGeneral­sekretär Peter Tauber die Art und Weise des Austritts von Erika Steinbach aus der Partei. Steinbachs Schritt „hat sich schon längere Zeit angedeutet“, sagt Tauber am Sonntag. Und er ergänzt: „Ich finde es bedauerlic­h, dass Frau Steinbach ihn auf diese Art und Weise vollzieht. Maßlose und unberechti­gte Vorwürfe über die Medien und nicht im direkten Gespräch zu verbreiten, ist nicht konservati­v.“Die Menschen in Frankfurt hätten Steinbach Vertrauen geschenkt, weil sie Kandidatin der CDU gewesen sei. Deshalb müsse sie nun ihr Mandat zurückgebe­n, fordert Tau- ber. Zugleich sagt er, Steinbach habe sich „zweifelsoh­ne große Verdienste in der Vertrieben­enpolitik erworben. Die CDU bleibt diesen Anliegen weiter eng verbunden.“

Steinbach steht mit ihrer Kritik an der Flüchtling­spolitik in der konservati­ven Hessen-CDU nicht allein. An der Basis grummelte es im Flüchtling­sherbst 2015 vernehmlic­h. Doch Kritiker wurden von der Parteispit­ze unter Regierungs­chef Volker Bouffier, der in Wiesbaden mit den Grünen regiert, an die Kandare genommen. „Aus der CSU wäre Erika Steinbach nicht ausgetrete­n. Das ist sicher!“, schreibt am Sonntag der CSU-Bundestags­abgeordnet­e Bernd Fabritius, seit 2014 Nachfolger Steinbachs im Präsidente­namt des Vertrieben­enverbande­s.

In der Flüchtling­skrise kam offener Widerspruc­h in Hessen allein vom Berliner Kreis. Dieser erzkonserv­ativen Gruppe, die seit Jahren bundesweit generell die Merkel-Politik

Ist die AfD „Fleisch vom Fleische der CDU“?

kritisiert, gehört neben Steinbach auch der frühere CDU-Landtags-Fraktionsc­hef Christean Wagner an. Er ist am Sonntag so ziemlich der Einzige, der Verständni­s für Steinbachs Kritik äußert, wenn er auch den Parteiaust­ritt für falsch hält.

Ministerpr­äsident Bouffier hatte erst jüngst deutlich gemacht, dass die CDU um die Rückgewinn­ung der zur Alternativ­e für Deutschlan­d abgewander­ten Wähler kämpfen wolle. Jede Form der Kooperatio­n lehnt der CDU-Bundesvize aber strikt ab. Steinbach sieht dagegen die Rechtspopu­listen als „Fleisch vom Fleische der CDU“, wie sie der

Welt am Sonntag sagte. Sie will als fraktionsl­ose Abgeordnet­e ihr Mandat bis zur Bundestags­wahl behalten – und freut sich nach eigenen Worten darauf, wenn die AfD in den Bundestag einziehe, „damit es dort endlich wieder eine Opposition gibt“. Angebote der AfD, die sie umgehend zum Eintritt einlud, schlug Steinbach aber aus. „Ich werde keiner anderen Partei beitreten.“

Den Rückzug aus der Politik hatte Steinbach schon 2015 angekündig­t. Was den Grünen-Abgeordnet­en Omid Nouripour, ebenfalls aus Frankfurt, zu der Bemerkung veranlasst, Steinbach verlasse die CDU, „weil sie sie ja nicht mehr für ein Mandat braucht. Sehr charakters­tark.“

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Foto: Karlheinz Schindler, dpa Die 76 jährige Bundestags­abgeordnet­e Erika Steinbach ist aus der CDU ausgetrete­n – und löste damit noch einmal viel Getöse aus.

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