Ein Austritt mit Getöse
Erika Steinbach sieht sich als konservative Vorkämpferin. Doch in der Partei ist sie zur Randfigur geworden. Mit der Rückgabe des Parteibuchs bringt sie die AfD ins Spiel
Frankfurt am Main/Berlin Fünf Seiten ist das Schreiben lang – fünf Seiten, die es in sich haben. Nach mehr als 40 Jahren Zugehörigkeit zur CDU begründet Erika Steinbach darin ihren Austritt aus der Partei. Es ist eine Generalabrechnung mit ihrer Chefin, Kanzlerin Angela Merkel. Die langjährige Frankfurter Bundestagsabgeordnete und ehemalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen setzt ihren Abgang öffentlichkeitswirksam in Szene. Auch ihren Austritt aus der Fraktion erklärt sie – wie wollte sie sich dort auch noch blicken lassen?
Der krawallige Abgang überrascht die Partei wohl nicht mehr so ganz, da sich Steinbach in der CDU mit ihren harschen Angriffen auf Merkel wegen deren Flüchtlingspolitik sowie mit anderen Entgleisungen längst ins Abseits manövriert hatte. Doch zu Beginn des Bundestagswahljahres kommt der Austritt mit Getöse für die Union allemal höchst ungelegen, da die rechtskonservative Politikerin mit ihrer Kritik für einen Teil der Partei steht, um den die AfD heftig buhlt.
Steinbach wirft Merkel beim Euro-Rettungspakt und vor allem in der Flüchtlingspolitik fortgesetzten Rechtsbruch vor, weil sie in einer „einsamen Kanzlerentscheidung“im Herbst 2015 „eine Million Migranten ungesteuert und unüberprüft“nach Deutschland habe einreisen lassen. Darunter seien auch Terroristen gewesen. Merkel habe damit Deutschland „massiv“ökonomisch und kulturell geschadet.
Während AfD-Politiker angesichts solcher Worte frohlocken und die nun politisch Heimatlose umwerben, fehlen Bundes-CDU und Bundestagsfraktion zunächst offenbar die Worte. Die Hessen-CDU, der Heimatverband Steinbachs, spricht immerhin von „haltlosen und maßlosen“Vorwürfen.
Dann kritisiert aber doch CDUGeneralsekretär Peter Tauber die Art und Weise des Austritts von Erika Steinbach aus der Partei. Steinbachs Schritt „hat sich schon längere Zeit angedeutet“, sagt Tauber am Sonntag. Und er ergänzt: „Ich finde es bedauerlich, dass Frau Steinbach ihn auf diese Art und Weise vollzieht. Maßlose und unberechtigte Vorwürfe über die Medien und nicht im direkten Gespräch zu verbreiten, ist nicht konservativ.“Die Menschen in Frankfurt hätten Steinbach Vertrauen geschenkt, weil sie Kandidatin der CDU gewesen sei. Deshalb müsse sie nun ihr Mandat zurückgeben, fordert Tau- ber. Zugleich sagt er, Steinbach habe sich „zweifelsohne große Verdienste in der Vertriebenenpolitik erworben. Die CDU bleibt diesen Anliegen weiter eng verbunden.“
Steinbach steht mit ihrer Kritik an der Flüchtlingspolitik in der konservativen Hessen-CDU nicht allein. An der Basis grummelte es im Flüchtlingsherbst 2015 vernehmlich. Doch Kritiker wurden von der Parteispitze unter Regierungschef Volker Bouffier, der in Wiesbaden mit den Grünen regiert, an die Kandare genommen. „Aus der CSU wäre Erika Steinbach nicht ausgetreten. Das ist sicher!“, schreibt am Sonntag der CSU-Bundestagsabgeordnete Bernd Fabritius, seit 2014 Nachfolger Steinbachs im Präsidentenamt des Vertriebenenverbandes.
In der Flüchtlingskrise kam offener Widerspruch in Hessen allein vom Berliner Kreis. Dieser erzkonservativen Gruppe, die seit Jahren bundesweit generell die Merkel-Politik
Ist die AfD „Fleisch vom Fleische der CDU“?
kritisiert, gehört neben Steinbach auch der frühere CDU-Landtags-Fraktionschef Christean Wagner an. Er ist am Sonntag so ziemlich der Einzige, der Verständnis für Steinbachs Kritik äußert, wenn er auch den Parteiaustritt für falsch hält.
Ministerpräsident Bouffier hatte erst jüngst deutlich gemacht, dass die CDU um die Rückgewinnung der zur Alternative für Deutschland abgewanderten Wähler kämpfen wolle. Jede Form der Kooperation lehnt der CDU-Bundesvize aber strikt ab. Steinbach sieht dagegen die Rechtspopulisten als „Fleisch vom Fleische der CDU“, wie sie der
Welt am Sonntag sagte. Sie will als fraktionslose Abgeordnete ihr Mandat bis zur Bundestagswahl behalten – und freut sich nach eigenen Worten darauf, wenn die AfD in den Bundestag einziehe, „damit es dort endlich wieder eine Opposition gibt“. Angebote der AfD, die sie umgehend zum Eintritt einlud, schlug Steinbach aber aus. „Ich werde keiner anderen Partei beitreten.“
Den Rückzug aus der Politik hatte Steinbach schon 2015 angekündigt. Was den Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour, ebenfalls aus Frankfurt, zu der Bemerkung veranlasst, Steinbach verlasse die CDU, „weil sie sie ja nicht mehr für ein Mandat braucht. Sehr charakterstark.“