Winterkorns Weg nach unten
In dieser Woche soll der frühere VW-Chef vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin aussagen. Der Manager gerät durch immer neue Enthüllungen massiv unter Druck
Spiegel-Autor Dietmar Hawranek kennt den Volkswagen-Konzern wie wenige andere. Ob es bei VW im Fall „López“um Industriespionage ging oder im Rotlicht-Skandal um Betriebsräte, die sich Bordellbesuche vom Unternehmen bezahlen ließen – all diese Sonderbarkeiten sollten einen Reporter auf Dauer mit allem rechnen lassen. Doch die VW-Männer bringen es trotzdem immer wieder fertig, Hawranek zum Staunen zu bringen, wie er in Bezug auf seine jüngste VW-Story einräumt.
Aus der Geschichte des Magazins waren schon am Freitag erste neue Vorwürfe gegen Ex-VolkswagenChef Martin Winterkorn bekannt geworden, nach denen er von einer VW-Firma eine 400-QuadratmeterVilla für nur fünf Euro pro Quadratmeter gemietet hat und sich von dem Unternehmen noch eine 60 000 Euro teure Heizungsanlage in den Gartenteich installieren ließ. Dort wollte der jetzt 69-Jährige wohl temperaturempfindliche Koi-Karpfen einsetzen (wir berichteten).
Was seine Hobbys betrifft, war bisher nur „Wikos“Fußball-Fanatismus überliefert. Der Hobby-Kicker, einst Torhüter beim TSV Münchingen, sitzt bis heute neben dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im Aufsichtsrat des FC Bayern. Und dass sich Winterkorn für den VfL Wolfsburg einst zerrissen hat, ist bekannt. Der ins Rollen gekommene Abgas-Skandal bringt wöchentlich weitere Details der Eigenheiten Winterkorns zum Vorschein. So berichtet der Spiegel über einen besonderen Raum des Wolfsburger Stammwerkes, der im Haus 71B liegt. Dorthin sei kein VW-Mitarbeiter freiwillig gegangen, schließlich habe in dem Zimmer ein „Scha- denstisch“gestanden. Wer hierher zitiert wurde, hatte in der VW-Ära Winterkorn meist wohl einen schweren Gang vor sich, denn dort mussten Manager, wenn technisch etwas schiefgelaufen ist, sich für die Panne rechtfertigen.
„Wiko“sei bei solch peinlichen Befragungen schon mal recht laut geworden. Einmal muss es nach entsprechenden Schilderungen zu einem schmerzlichen Vorfall gekommen sein. Nach den Recherchen des
Spiegels hat Winterkorn ein fehlerhaftes Autoteil vom Tisch geschleudert und damit versehentlich einen Mitarbeiter getroffen. Die Wunde an der Hand des Opfers sei schlecht verheilt. Als Beweis wird angeführt, dass der Manager die Narbe noch heute vorweisen könne.
Solch unangenehme Details aus seinem Berufsleben findet kein Konzern-Lenker gerne in der Öffentlichkeit wieder, auch wenn er bei VW millionenfaches Trost-Geld bekam, ja seine Jahresvergütung allein 2014 rund 15,9 Millionen Euro ausgemacht hat. Ja, finanziell geht es dem im Zuge der Abgas-Affäre zurückgetretenen Winterkorn prächtig, summiert sich doch allein das Ruhegehalt des VW-Rentners auf umgerechnet knapp 3100 Euro pro Tag.
Dass solche Summen Akzeptanzprobleme in der Öffentlichkeit mit sich bringen, muss einem Manager wie Winterkorn klar sein, auch wenn der überaus selbstbewusst wirkende Mann während seiner Amtszeit gewohnt war, Kritik an seinen breiten Schultern abprallen zu lassen. Winterkorns öffentliche Auftritte auf Autoshows zeigten einen technikbegeisterten Mann, der auch ohne Schadenstische in der Lage war, Mitarbeitern sein Missfallen über bestimmte Umstände mehr als deutlich zu machen.
Legendär ist eine auf dem OnlineKanal Youtube bis heute zu bestaunende Szene, die tiefe Einblicke in den Charakter des Managers erlaubt. Da setzt sich der in Leonberg bei Stuttgart geborene Mann auf einer Automesse in ein HyundaiFahrzeug, ruft einen Angestellten herbei, zeigt empört auf das Lenkrad und meint im breiten Schwäbisch: „Da scheppert nix!“Dann fügt er hinzu: „Warum kann’s der? BMW kann’s nicht! Wir können’s nicht!“Der Angestellte versucht vergeblich, die Wut des Chefs zu zügeln: „Wir hatten ja mal eine Lösung gehabt, aber die war zu teuer.“
„Wiko“gibt sich damit nicht zufrieden. Seine Stimme wird lauter, er bohrt noch mal in derselben Wunde: „Warum kann’s der?“
Der vom Leben mit reichlich Macht- und Selbstwertgefühl bedachte Winterkorn soll nun am Donnerstag dieser Woche vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages unangenehme Fragen zu der in Dieselautos eingebauten Betrugssoftware beantworten. Die Mitglieder der Runde werden vor allem wissen wollen, wann er Bescheid wusste, dass die Stickoxidwerte bei Tests im Stehen – also auf der Rolle – deutlich niedriger als im Fahrbetrieb ausfielen, was durch eine Schummel-Software ermöglicht wurde.
Auch am vergangenen Wochenende lagen Rechercheuren verschiedener Medien Belege dafür vor, dass Winterkorn früher als angenommen über die Abgas-Manipulationen informiert war. Einen entsprechenden Bericht der Bild am Sonntag ließ der Manager jedoch zurückweisen.
Die Frage, wann Winterkorn Kenntnis über den systematischen Betrug erlangt hat, ist aus Sicht der Ermittler von zentraler Bedeutung. Denn bis heute steht der Verdacht im Raum, VW-Verantwortliche hätten die Aktionäre ihres Hauses viel zu spät über die Affäre informiert. Deswegen wird gegen Winterkorn und andere Manager wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt.
Anleger sehen sich getäuscht. Sie glauben, dass ihnen ein erheblicher finanzieller Nachteil entstanden ist, und klagen deshalb insgesamt auf Schadenersatz in Milliardenhöhe. Schließlich ging das VolkswagenPapier,
Die Wunde ist schlecht verheilt Kronzeugen könnten für „Wiko“gefährlich werden
als die Nachricht über den Abgas-Skandal dann doch veröffentlicht war, in die Knie.
Der Auftritt von Winterkorn vor dem Untersuchungsschuss ist also heikel, sodass mit dem Vorgang vertraute Personen damit rechnen, dass der frühere Volkswagen-Chef sich auf Anraten seiner Anwälte nicht zur Sache äußern wird.
Winterkorn ist emotional eng mit dem Konzern verbunden. So sagte er zu seinem Rücktritt von der Spitze des Unternehmens: „Volkswagen war, ist und bleibt mein Leben.“Dabei dürfte eines klar sein: Die Abgas-Affäre könnte für ihn noch heiß werden. Denn die US-Justiz sucht – schon mit Erfolg – Kronzeugen aus dem VW-Reich, die bereit sind, gegen „Wiko“und andere früher führende Manager auszusagen. Der jetzt in Amerika verhaftete VW-Mann Oliver Schmidt könnte ein solch besonders wertvoller Kronzeuge werden, der versucht, mit großer Aussagefreude zu verhindern, länger in Haft zu bleiben. Damit würden er und andere Kronzeugen aber Winterkorn belasten.