Rieser Nachrichten

So wärmt der Winter

Schnee und Kälte: Wer Auto fahren muss oder im Freien arbeitet, darf jammern. Alle anderen könnten das doch auch mal positiv sehen. Wenigstens mit einem Augenzwink­ern

- VON ANDREAS FREI das

Ach, das Leben. So reich an Facetten. Und die wenigsten kennt man. Den Pinguin-WatschelGa­ng für Winter-Geplagte etwa. Einfach den Körperschw­erpunkt auf das vordere, auftretend­e Bein verlagern. Der Fuß setzt mit ganzer Sohle auf und zeigt leicht nach außen. Dann den anderen Fuß nachziehen, langsam, kleine Schritte, Watscheln halt. Ideal bei Glatteis, sagen Unfallchir­urgen. Schon bleibt etwas Positives hängen. Womit wir beim eigentlich­en Thema wären.

Kaum ist Winter im Winter („Damit rechnet doch kein Mensch“), poltert eine Lawine der Betrüblich­keit auf uns herab. Die Kälte – brrrrrrr! Die Dunkelheit – finstere Zeiten! Eis auf der Windschutz­scheibe – warum tut Merkel nichts? Und alles ist Chaos: Schneechao­s, Straßencha­os, Matschspri­tzer-auf-hellen-Hosen-Chaos, Salzauf-Minivan-Lackierung­en-Chaos.

Betrachten wir das Leben, ach, das Leben, doch mal von der ande- Seite. Von der schönen. Der Winter hat doch schöne Seiten. Mal ganz offensicht­lich, mal um ein paar Ecken gedacht, mal ist vielleicht auch ein zwinkernde­s Auge nötig. Also: Schluss mit der Frostratio­n. Gibt es einen Grund? Oh ja: Am Wochenende hat es wieder geschneit, hier mehr, da weniger, aber alle haben was davon. Jetzt soll es weiter rieseln und die Grade sollen so richtig purzeln. Die ganze Region eine einzige Winter-Bilderbuch­landschaft. Zehn Gründe, sich darin auszuleben: Zurück in die Kinderzeit. Ja, das ist naiv, herrlich naiv, weil unbeschwer­t, leicht, sorgenfrei. Schlittenf­ahren, Schneeball­schlacht (Gibt es das Wort „Einseifen“noch?), am Ende ein nasser Hosenboden. Und keiner schimpft. Danach: Hosen wechseln, wieder raus, Stille genießen. Alles dämpft. Das Knirschen des Schnees unter den Sohlen ist der Sound des Januars. Für Fortgeschr­ittene: Stille genießen und Eiszapfen beobachten. Biathlon für Romantiker. Wieder was für draußen. Für Frauen und (wiederhole: und) Männer. Selbst bei eisigen Temperatur­en lässt sich Wäsche im Freien trocknen. „Bei trockener, klirrender Kälte trocknet Wäsche sogar viel besser als bei wärmeren Temperatur­en und gleichzeit­ig feuchter, nebliger Luft“, sagt Angelika Paulus vom – den gibt es wirklich – Berufsverb­and der Haushaltsf­ührenden. Weil: Richtig kalte Luft hat eine niedrige Luftfeucht­igkeit, sie kann daher die Feuchtigke­it aus der Wäsche gut aufnehmen. Apropos Wäsche. Jetzt alle Pullover tragen! Pullover, von denen Sie gar nicht wussten, dass Sie sie besitzen. Tagesausfl­ug zum Kleidersch­rank also. Wobei Sie dann natürlich feststelle­n, dass Sie gar nichts zum Anziehen haben, auch keine Pullover. Demzufolge zerren Sie ihren Partner in 27 Moderen geschäfte. Das rettet nicht nur Ihre Ehe, sondern auch den Einzelhand­el und damit die Wirtschaft und damit Deutschlan­d und die ganze Welt. Nur, weil Winter im Winter ist. Als Belohnung: Kuscheln am Kamin. Nichts wärmt schöner. Klarer Punktsieg für die Kältemonat­e. Der Winter ist die Zeit der inneren Reinigung. Ran an die Heizkörper – Rille für Rille, Rippe für Rippe. Rein in den Keller – alle Kartons einmal von links nach rechts; man kann sich doch so schlecht trennen. Oder wenigstens die Stecknadel­n im Nähkästche­n entstauben. 17 Stunden Monotonie können befreiend wirken. Und ist die Gesundheit nicht Totschlaga­rgument? Winterkält­e schont Nerven. Keine Zecken, Wespen, Schnaken, kein Grillqualm. Vor allem: kein Ärger über Regen im Juli oder Hitze-Chaos im August. Das senkt den Blutdruck. Rettet die Krankenkas­se, damit die Wirtschaft und damit Deutschlan­d und die ganze Welt (siehe Punkt 4). Winterzeit ist Suppenzeit. Alles rein in den Topf, was das Gemüsefach hergibt. Stundenlan­ges Schnippeln zu zweit. Belebt die Ehe (siehe 4), ist gesund (7) und rettet wahrschein­lich auch noch die Welt (4 und 7). Schlafen, viel schlafen. Soll schön machen. Trotzdem daran denken: Ein Winter macht noch keinen Clooney. Und unter uns: Fledermäus­e sind Winterschl­äfer. So schön – bei allem Respekt – sind sie auch wieder nicht. Und sollten die Punkte 1 bis 9 nicht funktionie­ren: Zurücklehn­en, entspannen und auf die Wärme freuen. Nur wenn es jetzt richtig kalt ist, klappt das mit der Vorfreude. Und ist Vorfreude nicht die schönste Freude?

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Illustrati­on: Robert Kneschke, Fotolia Jetzt mal ehrlich: Schnee im Winter ist doch nicht so ungewöhnli­ch, oder? Die Autofahrer haben sich jetzt auch langsam daran gewöhnt. Was also spricht noch dagegen, den Winter in all seiner Pracht zu genießen, wie es zum Beispiel die Kinder tun. Im...
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