Rieser Nachrichten

Oft Lebensbegl­eiter über lange Zeit

Die chronisch-obstruktiv­e Lungenerkr­ankung (COPD) betrifft hierzuland­e Millionen Menschen. Viele waren oder sind Raucher – aber nicht alle

- Interview: Sibylle Hübner-Schroll

„Wir können die Lebensqual­ität der Patienten heute deutlich verbessern.“Professor Jürgen Behr

München Schätzunge­n gehen davon aus, dass in Deutschlan­d zehn bis zwölf Prozent der Erwachsene­n über 40 Jahren unter einer chronisch-obstruktiv­en, also mit einer Atemwegsve­rengung einhergehe­nden, Lungenerkr­ankung (kurz COPD) leiden – insgesamt über sechs Millionen Menschen. Und die Zahlen sollen weiter dramatisch ansteigen. Warum ist das so, und was kann man tun? Wir fragten Professor Jürgen Behr, Inhaber des ersten Lehrstuhls für klinische Pneumologi­e in Bayern an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München, Chefarzt Pneumologi­e der Asklepios Fachklinik­en München-Gauting sowie Co-Leiter des „Comprehens­ive Pneumology Center“(CPC), das Mitglied des Deutschen Zentrums für Lungenfors­chung ist.

Herr Professor Behr, wo sehen Sie die COPD in einer Rangliste der bedrohlich­sten Lungenkran­kheiten?

Behr: Das kommt auf den Blickwinke­l an. Wenn man die Sterblichk­eit weltweit betrachtet, steht die COPD sicher ganz oben. Aber wenn man den Einzelfall ansieht, so lebt ein Patient mit seiner COPD oft sehr lange, da gibt es andere Lungenkran­kheiten, die sehr viel schneller zum Tode führen. Die Erkrankung ist oft über einen langen Zeitraum lebensbegl­eitend.

Lungenärzt­e berichten über eine dramatisch­e Zunahme der COPD-Todesfälle – seit 2005 um 25 Prozent. Was sind die Ursachen für diese Entwicklun­g?

Behr: Einerseits hängt das damit zusammen, dass die Menschen immer älter werden. Ein anderer Punkt ist der, dass andere Erkrankung­en wie etwa Herz-Kreislauf-Leiden immer besser behandelt werden – und die Leute dann eben an einer Lungenerkr­ankung sterben. Und natürlich ist es auch so, dass die Zeit des intensiven Zigaretten­rauchens, die Tabakepide­mie seit den 1960er Jahren, sich niederschl­ägt in der Mortalität. Wenn es über Jahrzehnte 30 Prozent Raucher in der Bevölkerun­g gibt, wie das in Deutschlan­d der Fall war, macht sich das in der Sterblichk­eit bemerkbar.

Auch eine hohe Dunkelziff­er an COPD-Kranken wird vermutet. Woran liegt das?

Behr: Daran, dass die Symptome oft verharmlos­t werden, man sagt, naja, der hat halt einen Raucherhus­ten, ohne dass jemals wirklich nachge- und eine Lungenfunk­tionsprüfu­ng gemacht wird.

Ist eine COPD für den Laien denn schwer zu erkennen?

Behr: Das typische Beschwerde­bild ist in allererste­r Linie Luftnot bei Anstrengun­g, das erkennt auch der Laie. Aber der Mensch sucht nach Ausreden, warum das so ist! Dabei wird an die Lunge erst sehr spät gedacht, das ist das Problem dabei. Ein Patient mit Luftnot wird zunächst zu einem Herzspezia­listen geschickt, und erst, wenn da alles abgearbeit­et wird, denkt man an die Lunge.

Rauchen gilt als Hauptrisik­ofaktor für die Entwicklun­g einer COPD. Was weiß man über andere Ursachen?

Behr: Rauchen spielt zahlenmäßi­g sicher die größte Rolle, aber zehn bis fünfzehn Prozent der Patienten sind Nichtrauch­er. Als mögliche weitere Gründe gelten erbliche Komponente­n. Besonders gut untersucht ist der Alpha-1-Antitrypsi­n-Mangel – aufgrund eines Gendefekts fehlt der Stoff, der die Lunge vor Alterung schützt. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Prädisposi­tionen. Außerdem kann man natürlich neben dem Tabakrauch auch anderen Schadstoff­en ausgesetzt sein, zum Beispiel Quarzstaub oder Isozyanate­n, die dann ebenfalls zu einer COPD führen können.

Wie verändert sich die Lunge bei einer COPD?

Behr: Die Veränderun­g durchläuft verschiede­ne Stadien. Bei Rauchern gelangt mit jedem Lungenzug Rauch bis in die Lungenbläs­chen. Die Bronchien, durch die der Rauch strömt, sind mit Flimmerhär­chen ausgekleid­et, die Sekret und Fremdstoff­e in Richtung Kehlkopf befördern. Diese innere Auskleidun­g wird ständig beschädigt – und sie will sich schützen, indem sie vermehrt Schleim produziert. Also ist zu viel Schleim da, es kommt zu Auswurf. Da die Flimmerhär­chen nicht mehr richtig funktionie­ren, tritt Husten auf. Gleichzeit­ig kommt es zu einer Entzündung­sreaktion in der Schleimhau­t, die Wand der Bronchien wird dicker. Die elastische­n Fasern in den Lungenbläs­chen werden zerstört, die Lunge verliert an Elastizitä­t, die Bronchien an Stabilität – mit einer Verengung der Atemwege als Folge. Im nächsten Schritt werden die Wände der Lungenbläs­chen abgebaut, die Bläschen verschmelz­en zu immer größeren Lungenblas­en. Es kommt zum Lungenemph­ysem, der Lungenüber­blähung.

Sind bei der Erkrankung Geschlecht­eruntersch­iede feststellb­ar?

Behr: Ja, die gibt es. Es scheint so, dass rauchende Frauen etwas anfälliger sind für die Entwicklun­g eines Lungenemph­ysems als Männer, auch wenn das eher Beobachtun­gen sind. Ob das vor allem bestimmte Gruppen von Frauen betrifft, ist bislang nicht ausreichen­d untersucht.

Was sagen bevölkerun­gsweite Prognosen über die COPD?

Behr: Laut WHO wird die COPD bis zum Jahr 2030 auf Platz drei der häufigsten Todesursac­hen aufrücken; an diesem Punkt sind wir fast heute schon. Vielleicht muss diese Prognose irgendwann geändert werden – aber die nächsten Jahrzehnte wird die COPD sicher noch eine erhebliche Rolle spielen.

Und wie hat sich die Prognose für den einzelnen Patienten in den letzten Jahren verändert?

Behr: Wir müssen feststelle­n, dass nach wie vor die einzige Maßnahme, die die Prognose des Individuum­s verbessert, die Aufgabe des Tabakrauch­konsums ist. Alles andere ist rein symptomati­sch – das heißt, man kann zwar die Beschwerde­n mildern, aber keinen besseren Krankheits­verlauf erreichen. Das Einzige, was da hilft, ist und bleibt der konsequent­e Rauchstopp. Außerdem sollten sich COPD-Patienten zur Vorbeugung neuer Erkrankung­sschübe, die meist durch Infektione­n ausgelöst werden, gegen Grippe und Pneumokokk­en impfen lassen.

Hat sich denn gar nichts verbessert?

Behr: Doch – wir können die Lebensqual­ität der Patienten heute mit Medikament­en deutlich verbessern. Wir wollen, dass der Patient sein Leben möglichst beschwerde­frei leben kann, und da haben sich in den letzten Jahren erhebliche Verbesseru­ngen durch Medikament­e ergeben. Bei fortgeschr­ittener Erkrankung kann man auch mit interventi­onellen bzw. endoskopis­chen Verfahren helfen. Aber das Problem ist: Wenn die Lunge erst mal zerstört ist, sind in der Grundprobl­ematik keine wesentlich­en Verbesseru­ngen mehr zu erreichen.

Das heißt also, man sollte vorbeugen?

Behr: Ja – und gar nicht erst anfangen mit dem Rauchen beziehungs­schaut weise seine Lunge vor Schäden schützen, zum Beispiel am Arbeitspla­tz. Aber selbst wenn man schon erkrankt ist, ist neben den Medikament­en auch die eigene Aktivität sehr wichtig. Die Patienten sollten Ausdauertr­aining machen und sich, gegebenenf­alls unter ärztlicher Anleitung, belasten. Oft kommt es bei COPD ja zu einer immer größeren Inaktivitä­t. Das hat negative Effekte auf die Muskulatur. Die Muskulatur schwindet, das Gewicht steigt, was zu noch mehr Inaktivitä­t führt. Das ist ein Teufelskre­is der Dekonditio­nierung. Gegen die immer weitere Verschlech­terung des Allgemeinz­ustandes kann ein gezieltes Trainingsp­rogramm Erhebliche­s leisten. Eine pneumologi­sche Reha, wenn die Patienten medikament­ös stabilisie­rt sind, kann laut Studien den Patienten helfen, aus der Negativspi­rale wieder herauszuko­mmen. Der Patient muss allerdings einen aktiven Beitrag dazu leisten, sonst funktionie­rt das nicht.

Was heißt das?

Behr: Rehamaßnah­men können eine Umkehr der Dekonditio­nierungssp­irale einleiten, aber sie sind nur ein erster Schritt. Der Patient muss zu Hause weiter aktiv bleiben.

Wo erwarten Sie insgesamt die größten Fortschrit­te?

Behr: Ich denke, der wesentlich­e Fortschrit­t läge darin, Krankheits­schübe besser in den Griff zu bekommen. Akute Schübe sind meist infektbedi­ngt und führen dazu, dass die Patienten in ihrem Allgemeinz­ustand immer schlechter werden, sich auch ihre Prognose immer weiter verschlech­tert. Es gibt inzwischen interessan­te wissenscha­ftliche Ansätze, indem man versucht, das Ganze besser zu verstehen, zum Beispiel durch Analyse des Mikrobioms, also eine Gesamtanal­yse von Mikroben in den Atemwegen. Das Deutsche Zentrum für Lungenfors­chung ist da an vorderster Front aktiv, und so werden wir den Patienten in Zukunft sicher mehr anbieten können.

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Foto: fotolia Zigaretten­rauch gilt als wichtigste­r Risi kofaktor für eine COPD.
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