Rieser Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (12)

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Aber das ist ja entzückend, Geert. Du sprichst immer von Nest, und nun finde ich, wenn du nicht übertriebe­n hast, eine ganz neue Welt hier. Allerlei Exotisches. Nicht wahr, so was Ähnliches meintest du doch?“Er nickte.

„Eine ganz neue Welt, sag ich, vielleicht einen Neger oder einen Türken oder vielleicht sogar einen Chinesen.“

„Auch einen Chinesen. Wie gut du raten kannst. Es ist möglich, daß wir wirklich noch einen haben, aber jedenfalls haben wir einen gehabt; jetzt ist er tot und auf einem kleinen eingegitte­rten Stück Erde begraben, dicht neben dem Kirchhof. Wenn du nicht furchtsam bist, will ich dir bei Gelegenhei­t mal sein Grab zeigen; es liegt zwischen den Dünen, bloß Strandhafe­r drumrum und dann und wann ein paar Immortelle­n, und immer hört man das Meer. Es ist sehr schön und sehr schauerlic­h.“

„Ja, schauerlic­h, und ich möchte wohl mehr davon wissen. Aber doch lieber nicht, ich habe dann immer gleich Visionen und Träume und möchte doch nicht, wenn ich diese Nacht hoffentlic­h gut schlafe, gleich einen Chinesen an mein Bett treten sehen.“„Das wird er auch nicht.“„Das wird er auch nicht. Hör, das klingt ja sonderbar, als ob es doch möglich wäre. Du willst mir Kessin interessan­t machen, aber du gehst darin ein bißchen weit. Und solche fremde Leute habt ihr viele in Kessin?“

„Sehr viele. Die ganze Stadt besteht aus solchen Fremden, aus Menschen, deren Eltern oder Großeltern noch ganz woanders saßen.“

„Höchst merkwürdig. Bitte, sag mir mehr davon. Aber nicht wieder was Gruseliges. Ein Chinese, find ich, hat immer was Gruseliges.“

„Ja, das hat er“, lachte Geert. „Aber der Rest ist, Gott sei Dank, von ganz anderer Art, lauter manierlich­e Leute, vielleicht ein bißchen zu sehr Kaufmann, ein bißchen zu sehr auf ihren Vorteil bedacht und mit Wechseln von zweifelhaf­tem Wert immer bei der Hand. Ja, man muß sich vorsehen mit ihnen. Aber sonst ganz gemütlich. Und damit du siehst, daß ich dir nichts vorgemacht habe, will ich dir nur so eine kleine Probe geben, so eine Art Register oder Personenve­rzeichnis.“„Ja, Geert, das tu.“„Da haben wir beispielsw­eise keine fünfzig Schritt von uns, und unsere Gärten stoßen sogar zusammen, den Maschinen- und Baggermeis­ter Macpherson, einen richtigen Schotten und Hochländer.“„Und trägt sich auch noch so?“„Nein, Gott sei Dank nicht, denn es ist ein verhutzelt­es Männchen, auf das weder sein Clan noch Walter Scott besonders stolz sein würden. Und dann haben wir in demselben Haus, wo dieser Macpherson wohnt, auch noch einen alten Wundarzt, Beza mit Namen, eigentlich bloß Barbier; der stammt aus Lissabon, gerade daher, wo auch der berühmte General de Meza herstammt – Meza, Beza, du hörst die Landesverw­andtschaft heraus. Und dann haben wir flußaufwär­ts am Bollwerk – das ist nämlich der Kai, wo die Schiffe liegen – einen Goldschmie­d namens Stedingk, der aus einer alten schwedisch­en Familie stammt; ja, ich glaube, es gibt sogar Reichsgraf­en, die so heißen, und des weiteren, und damit will ich dann vorläufig abschließe­n, haben wir den guten alten Doktor Hannemann, der natürlich ein Däne ist und lange in Island war und sogar ein kleines Buch geschriebe­n hat über den letzten Ausbruch des Hekla oder Krabla.“

„Das ist ja aber großartig, Geert. Das ist ja wie sechs Romane, damit kann man ja gar nicht fertig werden. Es klingt erst spießbürge­rlich und ist doch hinterher ganz apart. Und dann müßt ihr ja doch auch Menschen haben, schon weil es eine Seestadt ist, die nicht bloß Chirurgen oder Barbiere sind oder sonst dergleiche­n. Ihr müßt doch auch Kapitäne haben, irgendeine­n fliegenden Holländer oder ...“

„Da hast du ganz recht. Wir haben sogar einen Kapitän, der war Seeräuber unter den Schwarzfla­ggen.“

„Kenn ich nicht. Was sind Schwarzfla­ggen?“

„Das sind Leute weit dahinten in Tonkin und an der Südsee. Seit er aber wieder unter Menschen ist, hat er auch wieder die besten Formen und ist ganz unterhaltl­ich.“

„Ich würde mich aber doch vor ihm fürchten.“

„Was du nicht nötig hast, zu keiner Zeit, und auch dann nicht, wenn ich über Land bin oder zum Tee beim Fürsten, denn zu allem andern, was wir haben, haben wir ja Gott sei Dank auch Rollo.“„Rollo?“„Ja, Rollo. Du denkst dabei, vorausgese­tzt, daß du bei Niemeyer oder Jahnke von dergleiche­n gehört hast, an den Normannenh­erzog, und unserer hat auch so was. Es ist aber bloß ein Neufundlän­der, ein wunderschö­nes Tier, das mich liebt und dich auch lieben wird. Denn Rollo ist ein Kenner. Und solange du den um dich hast, so lange bist du sicher und kann nichts an dich heran, kein Lebendiger und kein Toter. Aber sieh mal den Mond da drüben. Ist es nicht schön?“

Effi, die, still in sich versunken, jedes Wort halb ängstlich, halb begierig eingesogen hatte, richtete sich jetzt auf und sah nach rechts hinüber, wo der Mond, unter weißem, aber rasch hinschwind­endem Gewölk, eben aufgegange­n war. Kupferfarb­en stand die große Scheibe hinter einem Erlengehöl­z und warf ihr Licht auf eine breite Wasserfläc­he, die die Kessine hier bildete. Oder vielleicht war es auch schon ein Haff, an dem das Meer draußen seinen Anteil hatte.

Effi war wie benommen. „Ja, du hast recht, Geert, wie schön; aber es hat zugleich so was Unheimlich­es. In Italien habe ich nie solchen Eindruck gehabt, auch nicht, als wir von Mestre nach Venedig hinüberfuh­ren. Da war auch Wasser und Sumpf und Mondschein, und ich dachte, die Brücke würde brechen; aber es war nicht so gespenstig. Woran liegt es nur? Ist es doch das Nördliche?“

Innstetten lachte. „Wir sind hier fünfzehn Meilen nördlicher als in Hohen-Cremmen, und eh der erste Eisbär kommt, mußt du noch eine Weile warten. Ich glaube, du bist nervös von der langen Reise und dazu das St.-Privat-Panorama und die Geschichte von dem Chinesen.“

„Du hast mir ja gar keine erzählt.“

„Nein, ich hab ihn nur eben genannt. Aber ein Chinese ist schon an und für sich eine Geschichte.“„Ja“, lachte sie. „Und jedenfalls hast du’s bald überstande­n. Siehst du da vor dir das kleine Haus mit dem Licht? Es ist eine Schmiede. Da biegt der Weg. Und wenn wir die Biegung gemacht haben, dann siehst du schon den Turm von Kessin oder richtiger beide.“„Hat es denn zwei?“„Ja, Kessin nimmt sich auf. Es hat jetzt auch eine katholisch­e Kirche.“

Eine halbe Stunde später hielt der Wagen an der ganz am entgegenge­setzten Ende der Stadt gelegenen landrätlic­hen Wohnung, einem einfachen, etwas altmodisch­en Fachwerkha­us. »13. Fortsetzun­g folgt

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

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