Schwerkranke erhalten Cannabis jetzt auf Rezept
Multiple Sklerose, chronische Schmerzen, Krebs: Wo die Therapie hilft
Schwerkranke können in Deutschland in Zukunft Cannabis auf Rezept verschrieben bekommen. Nach jahrelangen Kontroversen hat der Bundestag am Donnerstag einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Bezahlen müssen die Therapien mit getrockneten Cannabisblüten oder einem Cannabisextrakt die Krankenkassen. Cannabis kann unter anderem gegen Spastiken bei multipler Sklerose helfen, bei Rheuma, bei chronischen Schmerzen, bei Übelkeit infolge von Chemotherapien, bei Appetitlosigkeit als Folge einer Aids-Therapie, bei grünem Star zur Reduzierung des Augeninnendruckes oder dem Tourettesyndrom, einer Nervenkrankheit. Den beiden Inhaltsstoffen Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol wird eine schmerzlindernde, entzündungshemmende, appetitanregende und krampflösende Wirkung zugeschrieben.
In engen Grenzen ist der Einsatz von Cannabis in der Medizin bereits jetzt möglich – allerdings war dies bislang häufig mit hohen Kosten für die Patienten verbunden, auch die Erlaubnis dazu gab es nur selten. Die erforderliche Sondergenehmigung haben im Moment nur 1020 Menschen in Deutschland. In Zukunft muss ein Patient nicht mehr alles andere ausprobiert haben, ehe er ein Cannabis-Medikament verschrieben bekommt – wann der Punkt für eine solche Therapie erreicht ist, entscheidet der Arzt. Anschließend hat der Medizinische Dienst der Krankenkassen drei Tage Zeit, den Einsatz zu genehmigen. „Die Patienten brauchen eine schnelle und unbürokratische Hilfe“, sagte Gesundheitsstaatssekretärin Ingrid Fischbach (CDU).
Beat Lutz, Professor für Physiologie und Cannabis-Forscher an der Universität Mainz, begrüßte die Entscheidung des Bundestages gegenüber unserer Zeitung. Dies sei eine „gute Sache“, erklärte er. Für viele Schwerkranke, die bislang Probleme hatten, es zu bekommen, sei das eine große Erleichterung. Und auch die Forschung dürfte davon profitieren. Cannabis sei ein Medikament wie jedes andere auch, so Lutz, mit Vor- und Nachteilen, mit Wirkungen und Nebenwirkungen. Eine „Wunderpille“sei es sicher nicht. Mediziner schätzen, dass die Zahl der Patienten nun zwar steigen wird, dass es im Großen und Ganzen aber doch Einzelfälle bleiben werden, in denen Ärzte Cannabis auf Rezept verordnen. Da die medizinischen Wirkungen noch nicht ausreichend erforscht sind, sollen diese Patienten ihre Daten jetzt anonym zur weiteren Erforschung zur Verfügung stellen.
Wo und wie Cannabis zu medizinischen Zwecken angebaut wird, entscheidet eine Agentur beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Sie soll den Cannabis dann kaufen und an Hersteller und Apotheken abgeben. Da das neue Gesetz bereits im März in Kraft treten soll, müssen diese zunächst jedoch auf Importe zurückgreifen. Selbst anbauen dürfen Patienten ihr Marihuana nach wie vor nicht. Auch am Verbot von Hanf als Rauschmittel rüttelt das Gesetz nicht. „Es geht nicht um Kiffen auf Rezept“, betonte die CDU-Politikerin Karin Maag.
„Schwerkranke Menschen müssen bestmöglich versorgt werden“, betonte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Anders als im Parlament üblich lobte die Opposition die Koalition ausdrücklich für das neue Gesetz. Es lasse „wenig Spielraum zum Meckern“, räumte der Drogenexperte der Linken, Frank Tempel, ein. „Chapeau, Frau Mortler!“, sagte der Grünen-Abgeordnete Harald Terpe zur Drogenbeauftragten der Bundesregierung, der CSU-Politikerin Marlene Mortler.
Bisher sind die Kosten für die Patienten hoch