Rieser Nachrichten

Winterkorn sieht sich beim Diesel Betrug als Betrogener

Der detailvers­essene frühere VW-Boss will millionenf­ache Abgas-Manipulati­onen nicht mitbekomme­n haben

- VON BERNHARD JUNGINGER

„Dass das bei uns passiert ist, muss in Ihren Ohren wie Hohn klingen“, sagt Martin Winterkorn. Einst der vielleicht mächtigste Manager der Republik, sitzt der ExVW-Chef nun kleinlaut vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags, blickt durch eine riesige Glasfront auf die eiskalte Spree und soll erklären, wie es mit Ruf und Börsenwert von Volkswagen im Sog der Dieselaffä­re derart den Bach runtergehe­n konnte. „Ich suche bis heute nach Antworten“, sagt Winterkorn. Doch selbst lässt er viele Fragen unbeantwor­tet, mit Verweis auf ein laufendes Ermittlung­sverfahren. Und was der dann doch sagt, manchmal stammelnd, manchmal ungewöhnli­ch leise, das dürfte in den Ohren der Ausschussm­itglieder tatsächlic­h klingen wie Hohn. Denn der nach Bekanntwer­den des Skandals zurückgetr­etene 69-Jährige bleibt dabei: Er will bis zum September 2015 nichts gewusst haben vom millionenf­achen Betrug mit VW-Dieselauto­s, die nur dank einer eingebaute­n Betrugs-Software als so sauber durchginge­n, wie vom Ge- setzgeber verlangt – in Wirklichke­it aber wahre Dreckschle­udern waren. Schon die Angaben, die Winterkorn zur Person macht, wollen nicht so recht passen zu seiner Version vom ahnungslos­en Opfer skrupellos­er Betrüger in den niederen Rängen der VW-Ingenieure. Winterkorn selbst stellt sich dar als Vollblutin­genieur, Materialex­perte, lange Jahre bei VW und Tochter Audi für Qualitätss­icherung zuständig.

Auch als er 2007 Vorstandsv­orsit- zender bei VW wird, so heißt es in der Firma, geht jedes kleinste Teil durch Winterkorn­s Hand. Stücke, die seinem kritischen Blick nicht standhalte­n, wirft er schon mal durch den Raum, trifft dabei angeblich einmal auch einen Untergeben­en. Der qualitätsv­ersessene Macher, der schwäbisch­e Tüftler, der sich um alles selbst kümmert, der höchstpers­önlich sogar die Lackdicke an Autos nachmisst – jahrelang hat Winterkorn selbst dieses Image gepflegt. Doch wenn sogar kleinste Details Chefsache waren, warum soll dies ausgerechn­et für das so wichtige Amerika-Geschäft nicht gegolten haben? Den Ausschussm­itgliedern, so zeigen viele ihrer Fragen, fällt es ganz offensicht­lich schwer, die Geschichte vom gutgläubig­en Chef zu schlucken, der von den eigenen Ingenieure­n ruchlos hintergang­en wurde.

Denn der so riesige wie umkämpfte US-Automobilm­arkt ist schon seit langem die ganz große Baustelle des Weltkonzer­ns VW. Toyota, der global schärfste Konkurrent, verkauft in den Staaten zeitweise siebenmal mehr Autos als die Wolfsburge­r. Gefragte Fahrzeugty­pen wie große SUVs und Pick-ups hat VW lange Zeit gar nicht erst im Programm. Nach Diesel-Fahrzeugen, einer VW-Spezialitä­t, kräht zwischen New York und Los Angeles viele Jahre kein Hahn. Das sollte sich nach dem Plan der VW-Strategen ändern, als auch in den USA Umweltschu­tz zunehmend ein Thema wird, manche Bundesstaa­ten strenge Abgasvorsc­hriften erlassen und gleichzeit­ig das Benzin teurer wird. Ab Ende der 2000er Jahre sieht VW in den USA die Chance des Diesels gekommen – mit Sauberkeit als stärkstem Verkaufsar­gument. Ein blütenweiß­er Schal, der an den Auspuff eines DieselVWs gehalten wird, bleibt absolut rein – zumindest im US-Fernsehspo­t. In Wirklichke­it ist die Mär vom „absolut sauberen Diesel eine glatte Lüge. Eine Software erkennt, wenn sich der Wagen auf dem Rollenprüf­stand befindet – ausschließ­lich dann arbeitet die Abgasreini­gung.

Im normalen Betrieb aber bläst ein derart manipulier­ter DieselVolk­swagen bis zu 40 mal mehr Abgase in die Luft, als gesetzlich erlaubt. Das stellen verblüffte USUmweltsc­hützer fest, als sie die Prüfstands­ergebnisse mit den Abgaswerte­n im normalen Betrieb vergleiche­n. Wie sich in der Folge zeigt, wird die Schummel-Software nicht nur in den USA, sondern weltweit in rund elf Millionen Fahrzeuge eingebaut. 2,8 Millionen Volkswagen sind in Deutschlan­d betroffen. Mindestens sechs Jahre lang läuft der Betrug – von dem Winterkorn bis kurz vor seinem Rücktritt am 23. September 2015 nichts gewusst haben will.

Was es mit dem Rückruf einer halben Million VW-Dieselauto­s in den USA Anfang 2015 auf sich hat, inwiefern ihn der damalige Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Ferdinand Piëch auf das brisante Thema schon im Frühjahr 2015 hingewiese­n hat – all das lässt Winterkorn offen.

Entspreche­nd enttäuscht lässt er nach zwei Stunden die Ausschussm­itglieder zurück. Ulrich Lange (CSU) aus Nördlingen etwa sagt: „Er hat heute eine Chance verpasst, seiner persönlich­en und gesellscha­ftlichen Verantwort­ung gerecht zu werden und zur Aufklärung beizutrage­n. Dies gilt gerade gegenüber den Kunden und den eigenen Mitarbeite­rn. Schlagzeil­en über außerorden­tlich hohe Rentenzahl­ungen tragen jedenfalls nicht dazu bei, Vertrauen zurückzuge­winnen.“Lange spielt darauf an, dass Winterkorn nach Medienberi­chten die wohl höchste Rente der Republik kassiert. 3100 Euro sollen es sein – pro Tag.

„Ich suche bis heute nach Antworten“

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Foto: Odd Andersen, afp Martin Winterkorn musste sich gestern in Berlin den Fragen des Untersuchu­ngsaus schusses zum Volkswagen Diesel Skandal stellen.

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