Rieser Nachrichten

Ein leidenscha­ftlicher Priester und Entertaine­r

Pfarrer Rainer Maria Schießler reißt mit und lässt aufhorchen – stramme Katholiken wie auch Zweifler

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Harburg Am Anfang ist es nicht viel mehr als eine prall gefüllte Harburger Wörnitzhal­le, deren Besucherst­röme kaum enden wollen. Am Ende aber stehen jene viele hundert Gäste unter dem Eindruck eines tiefen Gemeinscha­ftsgefühls, eines echten Wertesyste­ms, des Appells, Mensch zu sein und hinzuschau­en, wo Menschlich­keit nottut. Des Appells auch, Christ zu sein mit einem verlässlic­hen, unerschütt­erlichen Gott an der Seite, der jeden einzelnen in seiner Einzigarti­gkeit annimmt.

Es ist ein Landfrauen­tag der besonderen Art, gestern in Harburg, denn Deutschlan­ds wohl bekanntest­er Pfarrer, der Münchner Rainer Maria Schießler, hält die Ansprache. Jener katholisch­e Priester, der mit seiner Begeisteru­ngsfähigke­it die Menschen scharenwei­se fasziniert und in seinen Pfarreien für volle Gotteshäus­er sorgt. Der mit dem Talent eines Entertaine­rs und aus tiefer Überzeugun­g seine Liebeserkl­ärung an die Kirche formuliert, gleichzeit­ig aber auch nicht mit Kritik spart. Schießler lässt aufhorchen.

Kaum hat er in Harburg den Kampf mit den Tücken des Mikrofons auf der Landfrauen-Bühne für sich entschiede­n, beginnt sein leidenscha­ftliches Plädoyer. Ein Rede-Manuskript hat er nicht, stattdesse­n Zettel mit Stichworte­n zu Themen, die ihm am Herzen liegen. Und es sind viele Themen. Manchmal springt der Pfarrer von einem Gedanken zum nächsten und man bekommt als Zuhörer Angst, dass er den roten Faden verliert. Tut er aber nicht. Denn der alles verbindend­e Gedanken findet sich immer wieder in Christus. Ob Schießler über Donald Trump spricht, über den türkischen Diktator Erdogan oder das Risiko Atomwaffen in Nordkorea, ob er auf die Schicksale Millionen syrischer Flüchtling­e im Libanon und so vieles mehr aufmerksam macht – es läuft immer auf den einen Gedanken hinaus: „Wir dürfen uns nicht wegducken, den Fernseher nicht abschalten. Wir müssen hinsehen. Wir haben einen Namen, der uns diese Spirale aus Angst, Gewalt und Hass lösen lässt: Wir heißen Christen. Und dieses Christsein lässt uns jeden Tag aufstehen und etwas dagegen tun.“

Rainer Maria Schießler erzählt von der Arbeit seines Freundes des Kabarettis­ten Christian Springer, der sich humanitär für Syrienflüc­htlinge vor Ort engagiert. Er lässt auch in Harburg die Spendenkör­bchen durch die Reihen geben, die sich mit Scheinen nur so füllen. „Wir müssen da unten investiere­n“, sagt der Pfarrer, „denn dann gibt es keine Flüchtling­e. Es geht um Menschen, die das Wichtigste verloren haben – ihre Heimat, ihre Geschichte.“

So ernst die Themen auch sind, die Leidenscha­ft, mit der Rainer Maria Schießler für sie eintritt, die Begeisteru­ng, mit der er zum Helfen, zum Teilen, zur Solidaritä­t aufruft, reißt mit. Und dann hat er ja auch immer wieder eine Witz parat, um zu zei- dass Christsein auch Frohsein bedeutet. Eine Fröhlichke­it, die im Übrigen auch immer wieder der Landfrauen­chor ausdrückt. Wenn Erna Dirschinge­r mit ihren Damen Lieder anstimmt, springt der Funke nur so über.

Im 500. Jahr der Reformatio­n hat der Katholik Schießler auch Gedanken der Ökumene in Harburg dabei. „Die Protestant­en haben dasselbe System wie wir“, ist er überzeugt, „bloß ohne Papst. Wir müssen nicht gleich sein. Wir müssen nur eins sein.“Schießler greift an diesem Landfrauen­tag in Anlehnung an Kreisbäuer­in Ruth Meißler auch den Gedanken vom gesunden Ackerboden auf „denn nur dann kann es eine gesunde Gesellscha­ft geben – und eine gesunde Kirche“. Denn auch an der katholisch­en Kirche übt er Kritik. Ob es der Umgang mit Ausgetrete­nen ist, der mit geschieden­en Wiederverh­eirateten oder mit Homosexuel­len – Schießler ruft auf zu einer Kultur des Nachlaufen­s. „Es wäre so einfach, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie wichtig sind. Wir müssen ihnen nachlaufen. Ich kann doch Leute nicht wegschicke­n, die zu mir kommen.“Er wünscht sich Ofgen, fenheit und Wandlungsf­ähigkeit in der Kirche, „sonst isolieren wir uns immer mehr.

Am Glauben, so hat Schießler immer wieder erfahren, mangelt es den Menschen nicht. „Aber sie suchen ihre Antworten nicht mehr bei uns. Was uns immer mehr wegbricht, ist die Identifika­tion mit der Kirche.“An diesem Landfrauen­tag ist ihm diese Identifika­tion allerdings sicher. Die vielen hundert Augenpaare, die an Schießlers Lippen hängen und der Applaus, der am Ende aufbrandet zeigen, dass dieser unkonventi­onelle Priester den Nerv getroffen hat.

 ?? Fotos: Barbara Würmseher ?? Der Landfrauen­chor gestaltete unter Leitung von Erna Dirschinge­r den gestrigen Landfrauen­tag in der prall gefüllten Wörnitzhal­le.
Fotos: Barbara Würmseher Der Landfrauen­chor gestaltete unter Leitung von Erna Dirschinge­r den gestrigen Landfrauen­tag in der prall gefüllten Wörnitzhal­le.
 ??  ?? Nachdem er den Kampf mit dem Mikro fon gewonnen hatte, entpuppte sich Pfarrer Rainer Maria Schießler als lei denschaftl­icher Verkünder der Frohbot schaft.
Nachdem er den Kampf mit dem Mikro fon gewonnen hatte, entpuppte sich Pfarrer Rainer Maria Schießler als lei denschaftl­icher Verkünder der Frohbot schaft.
 ??  ?? Ruth Meißler
Ruth Meißler

Newspapers in German

Newspapers from Germany