Ein leidenschaftlicher Priester und Entertainer
Pfarrer Rainer Maria Schießler reißt mit und lässt aufhorchen – stramme Katholiken wie auch Zweifler
Harburg Am Anfang ist es nicht viel mehr als eine prall gefüllte Harburger Wörnitzhalle, deren Besucherströme kaum enden wollen. Am Ende aber stehen jene viele hundert Gäste unter dem Eindruck eines tiefen Gemeinschaftsgefühls, eines echten Wertesystems, des Appells, Mensch zu sein und hinzuschauen, wo Menschlichkeit nottut. Des Appells auch, Christ zu sein mit einem verlässlichen, unerschütterlichen Gott an der Seite, der jeden einzelnen in seiner Einzigartigkeit annimmt.
Es ist ein Landfrauentag der besonderen Art, gestern in Harburg, denn Deutschlands wohl bekanntester Pfarrer, der Münchner Rainer Maria Schießler, hält die Ansprache. Jener katholische Priester, der mit seiner Begeisterungsfähigkeit die Menschen scharenweise fasziniert und in seinen Pfarreien für volle Gotteshäuser sorgt. Der mit dem Talent eines Entertainers und aus tiefer Überzeugung seine Liebeserklärung an die Kirche formuliert, gleichzeitig aber auch nicht mit Kritik spart. Schießler lässt aufhorchen.
Kaum hat er in Harburg den Kampf mit den Tücken des Mikrofons auf der Landfrauen-Bühne für sich entschieden, beginnt sein leidenschaftliches Plädoyer. Ein Rede-Manuskript hat er nicht, stattdessen Zettel mit Stichworten zu Themen, die ihm am Herzen liegen. Und es sind viele Themen. Manchmal springt der Pfarrer von einem Gedanken zum nächsten und man bekommt als Zuhörer Angst, dass er den roten Faden verliert. Tut er aber nicht. Denn der alles verbindende Gedanken findet sich immer wieder in Christus. Ob Schießler über Donald Trump spricht, über den türkischen Diktator Erdogan oder das Risiko Atomwaffen in Nordkorea, ob er auf die Schicksale Millionen syrischer Flüchtlinge im Libanon und so vieles mehr aufmerksam macht – es läuft immer auf den einen Gedanken hinaus: „Wir dürfen uns nicht wegducken, den Fernseher nicht abschalten. Wir müssen hinsehen. Wir haben einen Namen, der uns diese Spirale aus Angst, Gewalt und Hass lösen lässt: Wir heißen Christen. Und dieses Christsein lässt uns jeden Tag aufstehen und etwas dagegen tun.“
Rainer Maria Schießler erzählt von der Arbeit seines Freundes des Kabarettisten Christian Springer, der sich humanitär für Syrienflüchtlinge vor Ort engagiert. Er lässt auch in Harburg die Spendenkörbchen durch die Reihen geben, die sich mit Scheinen nur so füllen. „Wir müssen da unten investieren“, sagt der Pfarrer, „denn dann gibt es keine Flüchtlinge. Es geht um Menschen, die das Wichtigste verloren haben – ihre Heimat, ihre Geschichte.“
So ernst die Themen auch sind, die Leidenschaft, mit der Rainer Maria Schießler für sie eintritt, die Begeisterung, mit der er zum Helfen, zum Teilen, zur Solidarität aufruft, reißt mit. Und dann hat er ja auch immer wieder eine Witz parat, um zu zei- dass Christsein auch Frohsein bedeutet. Eine Fröhlichkeit, die im Übrigen auch immer wieder der Landfrauenchor ausdrückt. Wenn Erna Dirschinger mit ihren Damen Lieder anstimmt, springt der Funke nur so über.
Im 500. Jahr der Reformation hat der Katholik Schießler auch Gedanken der Ökumene in Harburg dabei. „Die Protestanten haben dasselbe System wie wir“, ist er überzeugt, „bloß ohne Papst. Wir müssen nicht gleich sein. Wir müssen nur eins sein.“Schießler greift an diesem Landfrauentag in Anlehnung an Kreisbäuerin Ruth Meißler auch den Gedanken vom gesunden Ackerboden auf „denn nur dann kann es eine gesunde Gesellschaft geben – und eine gesunde Kirche“. Denn auch an der katholischen Kirche übt er Kritik. Ob es der Umgang mit Ausgetretenen ist, der mit geschiedenen Wiederverheirateten oder mit Homosexuellen – Schießler ruft auf zu einer Kultur des Nachlaufens. „Es wäre so einfach, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie wichtig sind. Wir müssen ihnen nachlaufen. Ich kann doch Leute nicht wegschicken, die zu mir kommen.“Er wünscht sich Ofgen, fenheit und Wandlungsfähigkeit in der Kirche, „sonst isolieren wir uns immer mehr.
Am Glauben, so hat Schießler immer wieder erfahren, mangelt es den Menschen nicht. „Aber sie suchen ihre Antworten nicht mehr bei uns. Was uns immer mehr wegbricht, ist die Identifikation mit der Kirche.“An diesem Landfrauentag ist ihm diese Identifikation allerdings sicher. Die vielen hundert Augenpaare, die an Schießlers Lippen hängen und der Applaus, der am Ende aufbrandet zeigen, dass dieser unkonventionelle Priester den Nerv getroffen hat.