Rieser Nachrichten

Dieser US-Präsident ist eine Chance für Europa

Der gestern vereidigte Donald Trump will Amerikas Probleme auf Kosten des Auslands lösen. Das klingt bedrohlich. Doch die EU kann sogar neue Kraft daraus gewinnen

- w.z@augsburger allgemeine.de

Viel zu schnell wurde nach dem großen Bruder gerufen

VON WINFRIED ZÜFLE

Wie eng sind die Länder dieser Welt miteinande­r verflochte­n? Kann es einer Nation noch gelingen, sich dem Trend zur Globalisie­rung zu entziehen und ihr Wohlergehe­n im Alleingang zu sichern? Gestern hat in Washington ein spannendes Experiment begonnen, das eine Antwort auf diese Frage verspricht. Der neu ins Amt eingeführt­e US-Präsident Donald Trump will versuchen, die Vereinigte­n Staaten von Amerika „wieder groß zu machen“, indem er sie gleich von zwei Jahrhunder­t-Trends abkoppelt: Arbeitsplä­tze verlagern sich von Industriei­n Billiglohn­länder, während gleichzeit­ig arbeitssuc­hende Menschen von Entwicklun­gs- in Industriel­änder wandern.

Der zum Präsidente­n gewählte Geschäftsm­ann hat zwei Rezepte: Einerseits will Trump die illegale Einwanderu­ng aus Mexiko durch den Bau einer Mauer verhindern. Anderersei­ts sollen Firmen durch Strafzölle daran gehindert werden, Produkte für den US-Markt im Ausland zu fertigen. Die Erfolgsaus­sichten beider Projekte sind höchst zweifelhaf­t. Sicher ist indes, dass sie viel Ärger und massive Gegenreakt­ionen auslösen werden. Ob das die USA „wieder großartig machen“wird, wie Trump gestern abermals versprach?

Nun, eines darf man nicht vergessen: Die USA sind immer noch und trotz gewisser Probleme die wirtschaft­lich, politisch und militärisc­h führende Macht auf dem Globus – ganz entgegen von Trumps Schwarzmal­erei. Die amerikanis­chen Probleme – soziale Ungleichhe­it, regionale Wirtschaft­sschwäche – müssten eigentlich in den USA gelöst werden. Dazu bedürfte es einer kreativen und konstrukti­ven Politik. Trump jedoch, der Populist, sucht die Lösung auf Kosten des Auslands.

Dennoch muss sich der Rest der Welt mit dem Politikver­ständnis des neuen Herrn im Weißen Haus auseinande­rsetzen. Und auch damit, dass im Gedankenge­bäude des 45. US-Präsidente­n alle anderen Länder von untergeord­neter Bedeutung sind. Das muss keine Ängste auslösen, sondern eröffnet auch Chancen, speziell für Europa.

Die EU bleibt auch ohne Großbritan­nien mit künftig 450 Millionen Menschen bevölkerun­gsreicher als die USA (320 Millionen). Somit verfügt die EU über genügend Marktmacht und Wirtschaft­skraft, um auf Strafzölle und andere Schikanen zu reagieren. Die Einschätzu­ng von Bundeskanz­lerin Angela Merkel: „Ich denke, wir Europäer haben unser Schicksal selbst in der Hand“, ist absolut zutreffend.

Allerdings müssen die Europäer die richtigen Lehren ziehen. Auf der einen Seite wäre es falsch, in Antiamerik­anismus zu verfallen; die Wertegemei­nschaft des Westens ist ein hohes Gut, das auch einen USPräsiden­ten Trump überstehen sollte. Auf der anderen Seite muss Europa den Mangel an Führung durch die USA nutzen, um selbststän­diger zu werden. Viel zu schnell hat man bisher nach dem großen Bruder in Washington gerufen. Konflikte vor der eigenen Haustüre, ob in Jugoslawie­n oder in Libyen, wurden nicht aus eigener Kraft gelöst. Die EU muss dazu militärisc­he Fähigkeite­n entwickeln. Sie muss aber auch mehr Ressourcen einsetzen, um mit den Nachbarreg­ionen Naher Osten und Afrika ins Reine zu kommen.

Doch vor allem muss Europa seine Probleme lösen – aus eigener Kraft, nicht auf Kosten anderer. Die unkontroll­ierte Migration gehört dazu. Ebenso die Schuldenkr­ise. Und wie kann die EU nur die skandalös hohe Jugendarbe­itslosigke­it in Südeuropa hinnehmen?!

„Die EU ist Deutschlan­d“, meint Trump, der einen weiteren Zerfall erwartet. Nein, die EU ist eine Gemeinscha­ft. Ihr hat sich soeben eine neue Herausford­erung gestellt, an der sie wachsen kann.

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