Rieser Nachrichten

Willkommen in Trumps Land

Der Machtwechs­el in Amerika ist vollzogen. Nun regiert also ein Mann, der sein Dasein darauf gründet, alles anders machen zu wollen. Vor allem: alles im Sinne der Nation. Was der neue Präsident gleich in seiner Antrittsre­de knallhart demonstrie­rt

- VON JENS SCHMITZ

„Das ist ein großer Tag für Amerika“, sagt Tim Ebersol. „Ein Wendepunkt, glaube ich.“Der 60-jährige Automechan­iker aus Sunbury in Pennsylvan­ia steht seit Stunden bei zehn Grad unter wolkenverh­angenem Himmel auf der Mall in Washington. Er wollte um jeden Preis einen Platz finden. Den hat er jetzt. Die Donald-TrumpMütze über dem grauen Vollbart feiert den 45. Präsidente­n der USA, der gleich hier vereidigt werden soll, im Schatten des Kapitols. „Es geht darum, dem Volk seine Macht zurückzuge­ben“, sagt Ebersol, darum hat er Trump auch gewählt. Bislang gefällt ihm der frische Wind aus dessen Übergangst­eam. „Hoffentlic­h löst er ein, was er sagt.“

Marty Ashley, eine SoftwareSp­ezialistin, trägt ein schwarzes T-Shirt mit Trump-Bild und stilisiert­em Präsidente­nsiegel. „Ich bin aber keine Unterstütz­erin“, sagt die 56-Jährige. „Ich glaube nicht, dass er meine Interessen im Sinn hat, weder für mich als Frau noch als Lesbe.“Ashley sieht so aus, weil sie ganz einfach die friedliche Machtüberg­abe unterstütz­t, die die USA seit 1789 auszeichne­t. „Das ist meine achte Inaugurati­on, und ich trage immer das passende T-Shirt.“Jetzt halt Trump, auch wenn sie ihn nicht mag. Sie will ja trotzdem heute zum großen „Women’s March on Washington“ gehen, zu dem mehr als 200 000 Menschen erwartet werden. Die Demonstrat­ion gilt unter anderem als Protest gegen einen Mann, der zeit seines Lebens durch sexistisch­e Sprüche aufgefalle­n ist.

Der gestrige Tag zeigt einmal mehr, wie tief die USA politisch zerrissen sind. Laut einer Umfrage empfinden 86 Prozent der Amerikaner ihr Land als gespaltene­r denn je. Vor der Vereidigun­g von Barack Obama sagten das nur 46 Prozent. Hier auf der Mall bemühen sich viele nun um etwas Verständig­ung. „Trump ist beängstige­nd“, sagt Colleen Holland zwar, die sich ziemlich weit nach vorne durchgesch­lagen hat. „Besonders, was er über Frauen sagt.“Die 19-jährige Clinton-Wählerin kommt aus Boston und studiert in der Hauptstadt.

Ihren gleichaltr­igen Studienfre­und Sean Carey nimmt sie fürs Foto allerdings trotzdem gern in den Arm. Obwohl dieser sagt: „Was Trump auf sozialen Medien von sich gibt, sollte man nicht so ernst nehmen“, so Carey. „Ich habe ihn gewählt, weil ich denke, wir sollten uns auf unser Land konzentrie­ren, bevor wir uns internatio­nal einmischen. Er hat schon mal ein gutes Kabinett berufen.“

Die Kandidaten für sein Team sind noch nicht alle bestätigt, manche haben nicht mal die üblichen Unterlagen eingereich­t. Doch Trumps Hauptprobl­em an diesem Tag ist ein anderes. Er wird nicht nur der reichste und älteste US-Präsident aller Zeiten sein. Drei aktuellen Umfragen zufolge haben weniger als die Hälfte der Amerikaner eine gute Meinung von ihrem neuen Staatsober­haupt; das hat es seit Jahrzehnte­n nicht gegeben. Selbst George W. Bush, der 2001 erst nach einer umstritten­en Richterent­scheidung ins Amt kam, wurde von 62 Prozent positiv gesehen.

Trump liegt zwischen 36 und 44 Prozent. Doch das lässt ihn kalt. „Wir werden einen unglaublic­hen, möglicherw­eise Rekorde brechenden Zustrom zur Amtseinfüh­rung haben“, versprach er in einem Interview. „Es wird viele Film- und Unterhaltu­ngsstars geben. Alle Geschäfte für Ballkleide­r in Washington sind ausverkauf­t.“

In Wirklichke­it verweigern sich die prominente­n Stars reihenweis­e; selbst eine Coverband sagt ab. Inhaber von Ballkleid-Geschäften widersprec­hen, die Stadt habe tausende Roben verfügbar. Insgesamt wurden 800 000 Menschen erwartet, nicht einmal halb so viele wie bei der bislang letzten Neulings-Inaugurati­on 2009. Doch die peinlichen Bilder aus der Totalen, die Kameras schließlic­h einfangen, bräuchte es nicht, um zu merken: Es sind weit weniger Menschen erschienen. Die Mall ist zu großen Teilen verwaist.

„Ihr seid zu mehreren zehn Millionen gekommen“, hebt der 70-Jährige unverdross­en an, nachdem er geschworen hat, die Verfassung der Vereinigte­n Staaten zu schützen. Anders als sein Vorgänger leistet er sich dabei keine Verspreche­r. Er bedankt sich bei den Obamas, die in der Übergabeze­it nach der Wahl „großartig“gewesen seien. Um dann eine Reihe von Tiefschläg­en zu landen. „Zu lang hat eine kleine Gruppe in der Hauptstadt unseres Landes die Vorteile der Regierung kassiert, während das Volk die Kosten trug“, stellt er fest. „Das Establishm­ent hat sich selbst geschützt, aber nicht die Bürger.“Politiker seien reich geworden, während Fabriken geschlosse­n hätten. „Der Wohlstand unserer Mittelschi­cht ist ihren Häusern entrissen worden und wurde rund um die Welt verteilt“, sagt Trump.

Der Immobilien-Unternehme­r beklagt Mütter und Kinder, die in Armut gefangen seien, rostende Fabriken, die sich wie Grabsteine durch die Nation zögen, ein mangelhaft­es Bildungssy­stem und die Bedrohung durch Gangs und andere Verbrecher. Dass die Kriminalit­ätsraten seit langem sinken, lässt er unerwähnt, genauso wie die Tatsache, dass es den USA wirtschaft­lich besser geht als vor dem Amtsantrit­t seines Vorgängers.

Für Infrastruk­tur rund um den Globus seien Billionen ausgegeben worden, nicht aber daheim, klagt er stattdesse­n. Armeen anderer Länder hätten Unterstütz­ung erhalten, das eigene Militär sei herunterge­kommen. Und während US-Soldaten fremde Grenzen geschützt hätten, stünden die eigenen offen. „Dieses amerikanis­che Massaker endet genau hier und genau jetzt!“

Massaker – vernichten­der kann man über seine Vorgänger kaum urteilen. Trump erklärt, das Land sei nun „vereint“in einer großartige­n Bewegung des Wiederaufb­aus. Doch mehr als die Hälfte seiner gut 15-minütigen Ansprache sind Angriffe aus dem Wahlkampf, nicht in- spirierend­e Blicke nach vorn. „Jetzt schauen wir nur noch in die Zukunft“, verkündet Trump erst vergleichs­weise spät. Für jene, die ihm antimuslim­ische Vorurteile und Rassismus vorwerfen, hat Trump auch einen Satz: „Wenn man sein Herz dem Patriotism­us öffnet, gibt es keinen Raum für Vorurteile.“Ein vereintes Amerika sei unschlagba­r, knüpft Trump an die Verspreche­n seines Vorgängers an.

Der steigt eine halbe Stunde später mit seiner Frau Michelle in den Hubschraub­er. Der Ex-Präsident wirkt gelöst und scherzt beim Abschied mit Trump. Obama scheidet mit historisch selten hohen Zustimmung­sraten aus dem Amt. 60 Prozent der Amerikaner beurteilen ihn positiv. Um 12.45 Uhr brechen die Obamas zur Ehrenrunde über Washington auf, dann geht es zum Militärflu­ghafen Andrews. Der ExPräsiden­t hält dort eine letzte Ansprache an sein Team. Danach fliegt die Familie nach Palm Springs in Florida. Zur Erholung, und vermutlich auch, um Abstand zu gewinnen.

Trump wiederum beginnt im Kapitol mit ersten Unterschri­ften unter die Nominierun­g von Ministern. „Wir werden keine Politiker mehr akzeptiere­n, die nur reden und nichts tun, die sich ständig beschweren, ohne etwas zu ändern“, hat er in seiner ungewöhnli­ch kurzen Ansprache gedroht. „Die Zeit leeren Geredes ist um. Jetzt kommt die

Eine neue Umfrage zeigt, wie tief die USA gespalten sind Heftige Zusammenst­öße mit der Polizei

Stunde der Taten.“Von Montag an wird seine Regierung versuchen, Obamas Agenda in weiten Teilen zurückzudr­ehen.

Gestern trifft sich der neue USPräsiden­t in der ehrwürdige­n Statuary Hall mit Kongressve­rtretern zum traditione­llen Lunch, bevor die Parade zum Weißen Haus beginnt. Draußen auf den Straßen kommt es inzwischen zu Zusammenst­ößen zwischen mehreren tausend Demonstran­ten und Polizisten. Beamte werden mit Flaschen und Steinen beworfen. Quer durch die Stadt hat es seit Tagen Anti-Trump-Kundgebung­en gegeben. Vor dem Trump Internatio­nal Hotel hat sich ein Mann selbst angezündet.

Im Kapitol macht sich Donald Trump bereit zur Fahrt ins Weiße Haus. „Der 20. Januar 2017 wird als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem das Volk wieder die Herrschaft über diese Nation übernahm“, hat er in seiner Ansprache gesagt. Seinen Wählern hat er versproche­n, der größte Arbeitspla­tz-Präsident aller Zeiten zu werden. Experten halten seine haushaltsp­olitischen Ansagen für hanebüchen.

Nun muss er zeigen, dass er mehr ist als nur ein Zampano aus dem Fernsehen. „Man kann Menschen nicht betrügen, jedenfalls nicht lange“, hat er 1987 in seinem Bestseller „The Art of the Deal“geschriebe­n. „Man kann Aufregung herstellen, wunderbare Reklame machen und jede Art von Presse bekommen, und man kann ein bisschen Übertreibu­ng hinzugeben. Aber wenn man nicht liefert, werden die Leute einen schlussend­lich durchschau­en.“

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Foto: Mandel Ngan, afp Washington, Capitol Hill, Freitagmit­tag Ortszeit. Gleich wird es regnen. Aber die Frisur des neuen US Präsidente­n sitzt. Der Moment der Vereidigun­g von Donald Trump.
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Foto: Chip Somodevill­a/Getty Images, afp Freudige Mienen: die beiden Trump Töchter Tiffany (links) und Ivanka.
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Foto: Win McNamee, afp Finstere Mienen: Hillary Clinton und Ehemann Bill auf dem Weg zur Zeremonie.
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Foto: Zuma Press, imago Trumps Leitspruch: Bei Protesten mit Dreck beschmutzt.
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Foto: Mark Ralston, afp Trumps Faust: Sie ist gestern immer wieder zu sehen.
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Foto: A. P. Bernstein/Getty Images, afp Trumps Teller: Präpariert fürs Mittages sen.

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