Rieser Nachrichten

Wie vegan ist die Grüne Woche?

Welche Ernährungs­trends die Landwirtsc­haftsmesse in Berlin aufgreift – und welche nicht

- VON NIKLAS MOLTER

Manchmal ist Politik wie ein Marathon. Ein Marathon voller dunkelrot gefleckter DammwildHä­ppchen. Voller Pfefferkäs­e und voller Gänsefleis­ch-Gläschen. Es ist Freitagvor­mittag in Berlin, der Eröffnungs­tag der Grünen Woche, als Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt am Stand des Landes Finnland eintrifft. Dreieinhal­b Stunden ist der CSU-Mann zu diesem Zeitpunkt schon unterwegs. War bei den Ungarn, war beim Deutschen Jagdverban­d, war beim Landesverb­and der Gartenfreu­nde Berlin. Hat jeweils mit den Verantwort­lichen Worte gewechselt und ihre Erzeugniss­e bestaunt. Lächeln, Hände schütteln, zubeißen – so läuft das meist. Dort, wo es geht, gibt Schmidt nach kurzem Nippen sein Weinglas auch mal an eine Mitarbeite­rin weiter, die es ebenso unauffälli­g auf einer Theke abstellt.

Nun, nach dreieinhal­b Stunden, also Finnland. Während Schmidt mit dem finnischen Vertreter spricht, spielen holländisc­he Blasmusike­r im Hintergrun­d „Wahnsinn (Hölle, Hölle, Hölle)“von Wolfgang Petry. Der finnische Koch stellt sich Schmidt vor und überreicht ihm ein Präsent: Kalakukko, ein bräunliche­s Fischbrot, das auch Speck enthält. Das finnische Traditions­gericht sieht anders aus als vieles, das Schmidt zuvor bekommen hat: wie ein großer Roggenbrot­laib, eingepackt in Folie.

Doch obwohl das Gericht so anders aussieht als viele vor ihm – eines eint die Speisen: Kaum etwas, das der Landwirtsc­haftsminis­ter an diesem Freitag probiert, probieren muss, ist vegetarisc­h. Von veganem Essen ganz zu schweigen. Ein Problem in einer Gesellscha­ft, in der immer mehr Menschen vegetarisc­h oder vegan ernähren, zu ernähren scheinen?

Wolfgang Rogall lächelt sanft, als er die Frage hört. Sie wird ihm nicht zum ersten Mal gestellt. Rogall ist ein freundlich­er Herr, dem man anmerkt, dass er die Grüne Woche schon seit den 1980er Jahren betreut. Rogall ist Pressespre­cher der Messe Berlin. Bei der Grünen Woche gehe es nicht um vegan oder nicht vegan, erklärt er. Nicht darum, ob jemand tierische Produkte zu sich nehme oder nicht. „Es geht um Qualität und Genuss.“Darum zu wissen, wo ein Produkt herkomme. Wie es entstehe. „Jeder betont die Regionalit­ät“, sagt Rogall. „Das ist ein wirklicher Trend.“

Ob Veganismus ein Trend oder nicht doch eher ein Nischenphä­nomen ist, da ist sich Rogall hingegen nicht so sicher. Gerade einmal vier von 100 Erwachsene­n in Deutschlan­d seien Vegetarier, zitiert der Pressespre­cher eine jüngst vorgestell­te Studie des Robert-Koch-Instituts. „Vegan ist dann noch einmal weniger“, schiebt er hinterher. Wie viele vegane Anbieter es auf der Grünen Woche gibt, vermag Rogall auf Anhieb nicht genau zu sagen – auch nicht, inwiefern ihre Zahl in den vergangene­n Jahren zugenommen habe. „Die Grüne Woche bildet den Markt ab“, betont er.

Tatsächlic­h stößt derjenige, der das Aussteller­verzeichni­s im Internet nach dem Begriff „vegan“durchsucht, auf 75 Anbieter, die aber wiederum nicht allein vegane Kost anbieten. Es sind 75 von mehr als 1500. Sie zu finden, ist ohne die Hilfe des Internets nicht leicht.

Das ist auch bei dem Stand von Hildegund Burda nicht anders. Die Verkaufsle­iterin aus Neumarkt in der Oberpfalz steht hinter ihrer Vitrine in der Bayern-Halle. Sie verkauft Knödel und Bratkartof­feln. Auf den ersten Blick ist nichts Ungewöhnli­ches zu erkennen. Doch auf einem Teil ihrer Produkte, den Grill- und Pfannenkar­toffeln Rosmarin etwa, steht klein der Schriftzug „Vegan“.

Warum sie nicht offensiv damit wirbt? Das Logo des Unternehme­ns werde gerade überarbeit­et, erklärt die freundlich­e Frau mit den blonden, hochgeföhn­ten Haaren. Im neuen Design werde klarer zu erkennen sein, dass es sich um vegane Speisen handelt. „Wir wollen hundertpro­zentig mehr vegane Produkte machen“, sagt sie entschloss­en. Etwa jeder vierte Kunde an ihrem Stand habe sich am Vormittag für vegane Kartoffeln entschiede­n. „Ich denke, da gibt es eine Umstellung“, bekräftigt Burda.

Eine Umstellung, die in der Bayern-Halle – wie in so vielen Hallen – so allerdings noch nicht zu erahnen ist. In Bayerns Halle prägen Milch, Wildsalami, Leberwurst das Bild. Bei den Ungarn, dem diesjährig­en Partnerlan­d der Grünen Woche, sind es Gyulaer Wurst, Wollschwei­n-Speck, geräuchert­e Koteletts. Und selbst dort, wo man Essenstren­ds vermuten würde, ist wenig davon zu sehen.

Einen Stock tiefer als die BayernHall­e liegt der Streetfood-Markt. Streetfood, das ist jenes hippe Essen, dessen Märkte in vielen Städten junge Menschen – jene Klientel, die eher zu einer veganen Ernährungs­weise zu tendieren scheint – in Schasich ren anzieht. Vegan ist das Streetfood-Angebot aus Chilibeiße­rn, Zwiebel-Sauerfleis­ch und einer gemischten Wursttüte für 10 Euro aber nicht. Doch muss es das überhaupt sein? Muss die Grüne Woche mehr vegane Produkte anbieten? „Warum denn nicht?“, fragt Susanne Jecht. Sie versteckt nicht, welche Speisen sie verkauft, will aber auch nicht dogmatisch sein. „The Vegan Choice“steht dick auf einer Tafel an ihrem Stand geschriebe­n. Jecht verkauft Eis. Hausgemach­t, ohne Zusatzstof­fe und 100 Prozent vegan. Im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg betreibt sie seit 2015 ein Café, hat Stammkunds­chaft. Nun ist die Frau

„Ich will zeigen, dass Genuss auch vegan möglich ist.“

Eisverkäuf­erin Susanne Jecht „Die Grüne Woche bildet den Markt ab.“

Pressespre­cher Wolfgang Rogall

mit den kinnlangen blonden Haaren und der rot-braunen Brille zum ersten Mal als Aussteller­in bei der Grünen Woche. „Ich will zeigen, dass Genuss auch vegan möglich ist“, sagt sie. Gelingt das?

Viele blieben stehen, sähen sich das Angebot mit den Geschmacks­richtungen Mozartkuge­l, ApfelQuitt­e und Mango interessie­rt an – und gingen dann doch teils weiter, berichtet Jecht. Andere kauften Eis. Allerdings, das räumt sie ein, erkenne offenbar nicht jeder ihrer Kunden, dass es sich um veganes Eis handelt. „Ich lasse sie in dem Glauben“, sagt Jecht lächelnd. Es ist ein Versuch. O

Die Grüne Woche in Berlin hat für die Besucher geöffnet. Bis zum 29. Januar präsentier­en sich in den Hallen unter dem Berliner Funkturm 1650 Aussteller aus 66 Ländern. Was sollen wir nur essen? In deutschen Wohlstands­kreisen herrscht tiefe Verunsiche­rung. Fleisch oder doch kein Fleisch? Wurst oder nur Käse, ja vielleicht nicht einmal Käse? Die Messe Grüne Woche gibt hilfreiche Anregungen. Vielleicht ein Brot mit Blüten oben drauf, die beim Kauen Marzipan-Aromen freigeben. Oder doch einfach ein Stück bulgarisch­es Brot, wie es sich ganz trocken Landwirtsc­haftsminis­ter Schmidt (Bild unten) gönnt. Frau Antje aus den Niederland­en schwört natürlich auf Käse.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany