Rieser Nachrichten

Doppelspit­ze

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Die Doppelspit­ze ist strategisc­h betrachtet ein zweischnei­diges Schwert. Einerseits funktionie­rt sie nach dem Schrotflin­ten-Prinzip der Hoffnung, dass zwei Trümpfe besser oder zumindest wahrschein­licher stechen als einer. Anderersei­ts aber stellt die Doppelspit­ze auch eine immanente Schwächung dar – wer zwei Spitzen nebeneinan­der braucht, geht in die Breite und wird also stumpf wie ein Wattestäbc­hen. Auch gibt es die Doppelspit­ze analog der Gestalt des Bleistifts – die eine Seite formuliert, die andere radiert wieder aus. Oder aber die Spitzen weisen in entgegenge­setzte Richtungen wie die Flügel einer Boeing 737. Damit lässt sich zwar eine bunt zusammenge­würfelte Truppe stabil in der Schwebe halten, mehr aber auch nicht. Trotzdem ist die janusköpfi­ge Doppelspit­ze nach wie vor eine beliebte Führungsfo­rmation – in der Politik, wo die Linke gleich zwei davon hat und die Grünen diese Woche eine neue solche fürs Wahljahr gebildet haben in Gestalt von Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Es gibt die Doppelspit­ze auch in der Wirtschaft oder im Fußball wie Anfang der 1970er Jahre Uli Hoeneß und Gerd Müller beim FC Bayern München.

Das auf einer Ebene agierende Führungsdu­o ist wie die meisten Ehen eine Verbindung auf Zeit und eine Konstellat­ion des Misstrauen­s – man ergänzt sich im Idealfall und hält sich gegenseiti­g in Schach, doch die Gewichte sind oft ungleich verteilt (siehe Steuerkonz­epte oder Hausarbeit). Während zu einer Ehe beide Partner in aller Regel freiwillig zusammenko­mmen, war es bei der Grünen-Doppelspit­ze 2017 so, dass die Braut schon gesetzt, also an- oder vorgespitz­t war, während der Bräutigam von der Basis angeschärf­t wurde, indem über ihn abzustimme­n war. Özdemir gewann bekanntlic­h (wenn auch nicht mit einem Spitzenerg­ebnis), während die Mitbewerbe­r Robert Habeck und Toni Hofreiter als hängende Spitzen und stumpfes Zweigestir­n zurückblie­ben.

Die Doppelspit­ze ist immer auch eine Verlegenhe­itslösung, die von Unentschie­denheit, Machtkämpf­en und Ratlosigke­it kündet und davon, dass man einem oder einer allein nicht genug Durchschla­gskraft zutraut bzw. zu viel. Dass Doppelspit­zen nicht nur geeignet sind, wie Hosenträge­r Halt zu geben, sondern dem eigenen Laden mit doppelter Wucht fast den Todesstoß zu verpassen, bewiesen Anshu Jain und Jürgen Fitschen mit der Deutschen Bank. Und Modern Talking gibt’s auch nicht mehr.

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