„Das typische Rieser Dorf gibt es nicht“
Gerhard Beck macht sich auf die Suche nach spannenden Begebenheiten und Bauwerken in der Region. Dabei entdeckt er die vielen Geschichten, die alte Gebäude erzählen. Zum Beispiel die von einem versteckten Schatz
Landkreis Häuser prägen das Ortsbild, sie schreiben Dorf- und Familiengeschichte, werden den Bedürfnissen ihrer Bewohner angepasst, abgerissen, neugebaut – und sie bergen oft kleine Begebenheiten, die das Leben schrieb. Für unsere neue Serie sind wir unterwegs in den unterschiedlichsten Orten des Rieses und stellen Geschichte und Geschichten von Häusern und ihren Bewohnern vor.
Herr Beck, als Autor vieler Orts- und Häuserchroniken haben Sie einen Einblick in die Geschichte Rieser Dörfer und Häuser gewonnen. Was gehört für Sie zu einem typischen Rieser Dorf ?
Gerhard Beck: Das typische Rieser Dorf gibt es eigentlich nicht, denn jeder Ort hat seine Besonderheiten. Hainsfarth etwa zeichnet sich durch die jüdische Gemeinde aus, mit Synagoge und Friedhof. Jüdische Bewohner hatte auch Steinhart, zudem kleine Adelsfamilien, die das Ortsbild prägten. Andere Dorfstrukturen waren bestimmt durch die Wörnitzfischerei oder auch durch konfessionelle Trennungen, wie in Deiningen oder Ehingen. Gemeinsam ist den meisten Orten, dass sie von einer kleinstrukturierten Landwirtschaft bestimmt waren, mit kleinen landwirtschaftlichen Betrieben als Folge der Realteilung im Erbfall.
Prägnante Gebäude wie Pfarr- oder Schulhaus sind auch heute oft noch erhalten, wie sieht es aber mit den anderen Häusern aus?
Beck: Die große Masse der alten Häuser, ich würde sagen 80 bis 90 Prozent, ist verschwunden. Besonders in den sechziger und siebziger Jahren. Seinen Anteil daran hat auch der Denkmalschutz, der bei der Erstkartierung in den dreißiger Jahren nur einzelne Gebäude auswählte und auch bei der Nachkartierung in den Siebzigern keinen allzu großen Ehrgeiz entwickelte. Auch gibt es Häuser in zentraler Lage neben der Kirche, die geschützt sind, während andere, die etwas abseits in einer Seitenstraße angesiedelt sind, nicht geschützt sind. In einer solchen Lage befand sich auch das Alerheimer Amtspflegerhaus aus dem 18. Jahrhundert, dessen Abriss noch nicht lange zurückliegt.
Und wie sah diese Masse alter Häuser aus, gibt es das klassische Rieser Haus?
Beck: Im Unterschied zu unseren heutigen individuellen Wohnentwürfen war das Rieser Haus schnell geplant, denn die Raumaufteilung folgte praktischen Erwägungen und war meist die gleiche. Vom Hausgang aus befand sich zur Straßenseite hin die Wohnstube, dahinter die Küche und am Ende des Gangs meist eine kleine Speisekammer. Auf der gegenüberliegenden Seite lag die Kammer, dahinter meist eine weitere Kammer mit Durchgang zum Stall, der sich direkt an das Wohnhaus anschloss. Das Dachgeschoss bot weitere Schlafmöglichkeiten.
Welche Rieser Dörfer haben auch heute weitgehend ihren ursprünglichen Charakter erhalten?
Beck: Als erstes wären hier Rudel- stetten und Niederaltheim zu nennen, sie stehen unter Ensembleschutz und haben dadurch noch viel alte Bausubstanz. Die alte, großzügige Dorfstruktur ist aber auch noch in Orten vorhanden, die sich durch ihre großen Anger auszeichnen, wie Wechingen, Maihingen oder Alerheim. Andere Orte wie Mönchsdeggingen oder Marktoffingen haben durch ihre Hanglage am Riesrand einen völlig anderen Charakter.
In der Regel ist das Dorfbild ständigen Veränderungen unterworfen. Kann man Zeiten feststellen, in denen dieser Wandel besonders intensiv war?
Beck: Während in den Fünfzigern praktisch noch jedes Haus ein paar Kühe oder Schweine hatte, vollzog sich in den Sechziger bis Achtziger Jahren in relativ kurzer Zeit ein massiver Wandel in der Landwirtschaft. Wer überleben wollte, musste sich vergrößern. Die Stallungen wurden zu klein und auch viele Wohnhäuser fielen der Modernisierung zum Opfer.
Das zeigt, dass die Geschichte eines Hauses vor allem geprägt ist von den Menschen, die darin wohnen und arbeiten.
Beck: Die bäuerlichen Anwesen waren oft zu klein, um eine Familie davon zu ernähren. Verbreitet war deshalb die Kombination mit einem Handwerksbetrieb. Auf dem Dorf waren dadurch viele Berufe vertreten, wie Schuster, Schneider, Schreiner, Wagner, Schmied und Zimmermann, aber auch Krämerläden – alles was man für die Landwirtschaft und den täglichen Bedarf eben brauchte.
Um auch heute das Leben auf dem Dorf attraktiv zu machen, gibt es mit der Dorferneuerung von staatlicher Seite finanzielle Anreize. Was ist für Sie wichtig, um das Dorf am Leben zu erhalten?
Beck: Es müssen natürlich die Rahmenbedingungen stimmen, die heute eine große Rolle spielen, wie zum Beispiel die Breitbanderschließung. Ein Dorf lebt aber vor allem auch von der Gemeinschaft und deshalb sind Zusammenhalt und Vereinsleben wichtig.
Gibt es zum Schluss noch eine Hausoder Familiengeschichte, die ihnen bei ihren geschichtlichen Forschungen besonders im Gedächtnis blieb?
Zum Stichwort Gemeinschaft: Da hatten früher natürlich die Gastwirtschaften im Ort eine große Bedeutung. Ein schönes Beispiel dafür liefert Speckbrodi. Der kleine Weiler bestand im 19. Jahrhundert lediglich aus neun Anwesen und dennoch gab es mit dem Weilerwirt auch eine kleine Wirtschaft im Ort. Diese war so klein, dass die ganze Wirtsstube voll war, wenn alle neun Bauern ihre Geselligkeit pflegten. In Schwörsheim wiederum gab es ein kleinbäuerliches Anwesen, auf dem im Jahr 1959 beim Abbruch des Wohnhauses unter dem Fußboden ein Münzschatz gefunden wurde. Die 20 Gold- und 130 Silbermünzen stammten aus den Jahren 1598 bis 1657. In dieser Zeit befand sich auf dem Anwesen eine Gastwirtschaft. Offenbar war der Wirt zu großem Reichtum gekommen und hatte diesen Schatz gut verwahrt. Sehr zur Überraschung und Freude der späteren Bewohner, denn sie konnten durch den Fund und Verkauf der Münzen ein deutlich größeres Wohnhaus errichten, als ursprünglich geplant.
Zur Person Gerhard Beck hat sich schon mit vielen Hausgeschichten be schäftigt. Der gelernte Krankenpfleger be gann mit der Erforschung seiner Fami liengeschichte und seines elterlichen An wesens. Inzwischen hat er schon viele Orts und Häuserchroniken geschrieben und sein Hobby mit der Betreuung des fürstlichen Archivs auf der Harburg längst zum zweiten Beruf gemacht.