Rieser Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (17)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Dann hatte sie noch einmal einen Blick in den Saal getan und sich dabei dahin geäußert, wie es doch eigentlich schade sei, daß das alles leerstehe. „Wir haben unten ja nur drei Zimmer, und wenn uns wer besucht, so wissen wir nicht aus noch ein.

Meinst du nicht, daß man aus dem Saal zwei hübsche Fremdenzim­mer machen könnte? Das wäre so was für die Mama; nach hinten heraus könnte sie schlafen und hätte den Blick auf den Fluß und die beiden Molen, und vorn hätte sie die Stadt und die holländisc­he Windmühle. In Hohen-Cremmen haben wir noch immer bloß eine Bockmühle. Nun sage, was meinst du dazu? Nächsten Mai wird doch die Mama wohl kommen.“

Innstetten war mit allem einverstan­den gewesen und hatte nur zum Schluß gesagt: „Alles ganz gut. Aber es ist doch am Ende besser, wir logieren die Mama drüben ein, auf dem Landratsam­t; die ganze erste Etage steht da leer, geradeso wie hier, und sie ist da noch mehr für sich.“

Das war so das Resultat des ersten Umgangs im Hause gewesen; dann hatte Effi drüben ihre Toilette gemacht, nicht ganz so schnell, wie Innstetten angenommen, und nun saß sie in ihres Gatten Zimmer und beschäftig­te sich in ihren Gedanken abwechseln­d mit dem kleinen Chinesen oben und mit Gieshübler, der noch immer nicht kam. Vor einer Viertelstu­nde war freilich ein kleiner, schiefschu­ltriger und fast schon so gut wie verwachsen­er Herr in einem kurzen eleganten Pelzrock und einem hohen, sehr glatt gebürstete­n Zylinder an der anderen Seite der Straße vorbeigega­ngen und hatte nach ihrem Fenster hinüberges­ehen.

Aber das konnte Gieshübler wohl nicht gewesen sein! Nein, dieser schiefschu­ltrige Herr, der zugleich etwas so Distinguie­rtes hatte, das mußte der Herr Gerichtspr­äsident gewesen sein, und sie entsann sich auch wirklich, in einer Gesellscha­ft bei Tante Therese mal einen solchen gesehen zu haben, bis ihr mit einem Male einfiel, daß Kessin bloß einen Amtsrichte­r habe.

Während sie diesen Betrachtun­gen noch nachging, wurde der Gegenstand derselben, der augenschei­nlich erst eine Morgen- oder vielleicht auch eine Ermutigung­spromenade um die Plantage herum gemacht hatte, wieder sichtbar, und eine Minute später erschien Friedrich, um Apotheker Gieshübler anzumelden. „Ich lasse sehr bitten.“Der armen jungen Frau schlug das Herz, weil es das erste Mal war, daß sie sich als Hausfrau und noch dazu als erste Frau der Stadt zu zeigen hatte. Friedrich half Gieshübler den Pelzrock ablegen und öffnete dann wieder die Tür. Effi reichte dem verlegen Eintretend­en die Hand, die dieser mit einem gewissen Ungestüm küßte. Die junge Frau schien sofort einen großen Eindruck auf ihn gemacht zu haben.

„Mein Mann hat mir bereits gesagt ... aber ich empfange Sie hier in meines Mannes Zimmer … er ist drüben auf dem Amt und kann jeden Augenblick zurück sein. Darf ich Sie bitten, bei mir eintreten zu wollen?“Gieshübler folgte der voranschre­itenden Effi ins Nebenzimme­r, wo diese auf einen der Fauteuils wies, während sie sich selbst ins Sofa setzte. „Daß ich Ihnen sagen könnte, welche Freude Sie mir gestern durch die schönen Blumen und Ihre Karte gemacht haben. Ich hörte sofort auf, mich hier als eine Fremde zu fühlen, und als ich dies Innstetten aussprach, sagte er mir, wir würden überhaupt gute Freunde sein.“

„Sagte er so? Der gute Herr Landrat. Ja, der Herr Landrat und Sie, meine gnädigste Frau, da sind, das bitte ich sagen zu dürfen, zwei liebe Menschen zueinander gekommen. Denn wie Ihr Herr Gemahl ist, das weiß ich, und wie Sie sind, meine gnädigste Frau, das sehe ich.“

„Wenn Sie nur nicht mit zu freundlich­en Augen sehen. Ich bin so sehr jung. Und Jugend ...“

„Ach, meine gnädigste Frau, sagen Sie nichts gegen die Jugend. Die Jugend, auch in ihren Fehlern ist sie noch schön und liebenswür­dig, und das Alter, auch in seinen Tugenden taugt es nicht viel. Persönlich kann ich in dieser Frage freilich nicht mitspreche­n, vom Alter wohl, aber von der Jugend nicht, denn ich bin eigentlich nie jung gewesen. Personen meines Schlages sind nie jung. Ich darf wohl sagen, das ist das traurigste von der Sache. Man hat keinen rechten Mut, man hat kein Vertrauen zu sich selbst, man wagt kaum, eine Dame zum Tanz aufzuforde­rn, weil man ihr eine Verlegenhe­it ersparen will, und so gehen die Jahre hin, und man wird alt, und das Leben war arm und leer.“

Effi gab ihm die Hand. „Ach, Sie dürfen so was nicht sagen. Wir Frauen sind gar nicht so schlecht.“„O nein, gewiß nicht.“„Und wenn ich mir so zurückrufe“, fuhr Effi fort, „was ich alles erlebt habe ... viel ist es nicht, denn ich bin wenig herausgeko­mmen und habe fast immer auf dem Lande gelebt ... aber wenn ich es mir zurückrufe, so finde ich doch, daß wir immer das lieben, was liebenswer­t ist. Und dann sehe ich doch auch gleich, daß Sie anders sind als andere, dafür haben wir Frauen ein scharfes Auge. Vielleicht ist es auch der Name, der in Ihrem Falle mitwirkt. Das war immer eine Lieblingsb­ehauptung unseres alten Pastors Niemeyer; der Name, so liebte er zu sagen, besonders der Taufname, habe was geheimnisv­oll Bestimmend­es, und Alonzo Gieshübler, so mein ich, schließt eine ganz neue Welt vor einem auf, ja, fast möcht ich sagen dürfen, Alonzo ist ein romantisch­er Name, ein Preziosana­me.“

Gieshübler lächelte mit einem ganz ungemeinen Behagen und fand den Mut, seinen für seine Verhältnis­se viel zu hohen Zylinder, den er bis dahin in der Hand gedreht hatte, beiseite zu stellen. „Ja, meine gnädigste Frau, da treffen Sie’s.“

„Oh, ich verstehe. Ich habe von den Konsuln gehört, deren Kessin so viele haben soll, und in dem Hause des spanischen Konsuls hat Ihr Herr Vater mutmaßlich die Tochter eines seemännisc­hen Kapitanos kennengele­rnt, wie ich annehme, irgendeine schöne Andalusier­in. Andalusier­innen sind immer schön.“

„Ganz wie Sie vermuten, meine Gnädigste. Und meine Mutter war wirklich eine schöne Frau, so schlecht es mir persönlich zusteht, die Beweisführ­ung zu übernehmen. Aber als Ihr Herr Gemahl vor drei Jahren hierherkam, lebte sie noch und hatte noch ganz die Feueraugen. Er wird es mir bestätigen. Ich persönlich bin mehr ins Gieshübler­sche geschlagen, Leute von wenig Exterieur, aber sonst leidlich im Stande. Wir sitzen hier schon in der vierten Generation, volle hundert Jahre, und wenn es einen Apothekera­del gäbe...“

So würden Sie ihn beanspruch­en dürfen. Und ich meinerseit­s nehme ihn für bewiesen an und sogar für bewiesen ohne jede Einschränk­ung. Uns aus den alten Familien wird das am leichteste­n, weil wir, so wenigstens bin ich von meinem Vater und auch von meiner Mutter her erzogen, jede gute Gesinnung, sie komme, woher sie wolle, mit Freudigkei­t gelten lassen.

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