Rieser Nachrichten

Tausend Köstlichke­iten

Hongkong gilt als kulinarisc­he Hauptstadt Asiens. Zum Neujahrsfe­st kommen allerlei Spezialitä­ten auf den Tisch. Und im Arbeitervi­ertel Sham Shui Po lernt man das Staunen

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Der alte Chinese sitzt auf einem dreibeinig­en Holzscheme­l und lächelt ein zahnloses Lächeln. Er deutet auf das kleine Tellerchen mit den lilafarben­en Blütenorna­menten am Rand, das vor ihm auf einem weißen Plastiktis­chchen steht. „Eat!“, ruft er uns zu. Fünf kleine, weiße Reisrollen liegen auf dem Teller. Sie sind so dünn, dass man beinahe durch sie hindurch sehen kann. Der alte Mann mit dem lichten, von der Hongkonger Schwüle durchnässt­en Haar, das in der muffigen Klimaanlag­enluft sanft weht, gießt rote süß-saure Chili-Soße auf die Röllchen, die bisher nur in brauner Erdnuss-Brühe badeten, und kippt eine Handvoll Sesamkörne­r obendrauf. Wir sind die einzigen Europäer in dem kleinen Lokal Hop Yick Tai mitten im Hongkonger Viertel Sham Shui Po. Die Tische stehen so eng beieinande­r, dass man kaum von seinem Stuhl aufstehen kann, um wieder nach draußen zu gehen, hinaus in die schwüle Hitze, die sich an diesem Tag wie ein schweres, nasses Handtuch auf die feuchte Haut legt. Irgendwo weit oben, jenseits des dichten Dunstes, muss die Sonne sein, die Hongkong an diesem Tag wie einen gigantisch­en Dampfkocht­opf aufheizt. Und in diesem Topf garen sie, die Millionen von Geschmäcke­rn und Gerüchen, die einem hier im Bauch der Metropole begegnen.

Hongkong, der duftende Hafen, wie der Name der Stadt übersetzt heißt, gilt als kulinarisc­he Hauptstadt Asiens. Mehr als 10000 Restaurant­s gibt es dort, vom schicken Gourmettem­pel bis zur einfachen Garküche, vom traditione­llen kantonesis­chen Imbiss bis zur hippen europäisch-asiatische­n Fusion-Küche. Und so ist die Sieben-Millionen-Metropole an der Mündung des Perflusses nicht nur ein kulturelle­r, sondern auch ein kulinarisc­her Schmelztie­gel, Inspiratio­nsort für deutsche Sterneköch­e und Rucksack-Touristen gleicherma­ßen.

An einer Straßeneck­e in der Kweilin Street steht Yammy unter einer tropfenden Klimaanlag­e und löffelt eine weiße klebrige Masse aus einem kleinen Plastikbec­her, ein Tofu-Dessert mit Zucker und Ingwersiru­p. Die junge Chinesin führt Besucher durch das Viertel Sham Shui Po, lässt sie in Kochtöpfe und Rührschüss­eln blicken, neue Geschmäcke­r erleben, lässt sie riechen und staunen. Über Dinge, die sie noch nie gegessen haben. Und solche, die sie vielleicht auch nie essen wollen. Schildkröt­enmarmelad­e ● In etwa elf Flugstunde­n er reicht man Hongkong, unter ande rem mit Cathay Pacific. ● Durch das Viertel Sham Shui Po werden sogenannte Foodie Touren angeboten. In knapp vier Stun den probiert man sich durch sechs verschiede­ne Restaurant­s, Cafés oder Imbisse. Die Führung findet zu Fuß statt. Mehr Informatio­nen gibt es unter www.hongkongfo­odietours.com. ● Zwischen Mai und Sep tember herrscht Regenzeit. Die Luft

etwa. Kniegelenk­e vom Schwein. Oder Schlangens­uppe.

Yammy geht die Yu Chau Street entlang, vorbei an Kiosken, an denen Durian-Früchte, Fuji-Äpfel und kleine kirschähnl­iche YangmeiBee­ren verkauft werden, vorbei an Fischläden, in deren Auslagen zuckende Herzen neben Köpfen mit pochenden Kiemen liegen, hinein in ein kleines Café. Aus der Küche dringt Geschirrge­klapper, heißer Nai-Cha-Tee wird auf Tabletts an die Tische getragen, an denen die Menschen Suppen mit dicken, langen Nudeln schlürfen. Vor Yammy und ihren Tour-Gästen werden Teller mit großen, runden Gebäckteil­chen abgestellt. Wie eine Dampfnudel sieht er aus, der buttrig glänzende Pineapple Bun. Mit einer Ananas hat der Knödel aber rein gar nichts zu tun, auch wenn der Name es vermuten lässt. Aber mit dem goldgelben Zucker-Fett-Gemisch, mit dem das brotige Teigstück überbacken wird und das eine krosse, rautenförm­ige Kruste bildet, sieht es tatsächlic­h ein klein wenig wie die tropische Frucht aus. Süß und saftig schmeckt das heiße Gebäck, das frisch aus dem Ofen gekommen ist.

An allen Tischen, die sich in dem kleinen Lokal nebeneinad­er drängen, dampft es. Kaltes Essen ist verpönt. „Das ist schlecht für den Körper. Schwangere dürfen überhaupt nichts Kaltes essen“, erklärt Yammy. ● Und sie weiß noch mehr Lebensmitt­el-Geheimniss­e, an die die Menschen hier glauben. Um ihren Gästen zu zeigen, wie das Essen den Körper beeinfluss­en kann, betritt sie ein kleines Lädchen, nur wenige Schritte vom Café entfernt, in dessen Auslagen allerlei Getrocknet­es zu sehen ist. Dann greift sie zu einem aufgespieß­ten Gecko. „Der hilft gegen Husten“, sagt sie. Es ist ein fernöstlic­hes Sammelsuri­um der Kuriosität­en, das einem hier begegnet, aufbewahrt in Regalen, die bis an die Decke reichen, konservier­t in Gläsern, Schälchen, Boxen, Tüten. Die getrocknet­e Schwimmbla­se eines Fisches etwa soll gut für die Haut sein. Das gilt auch für das Vo- gelnest, mit dem man seine Suppe würzen kann. Mantaroche­nkiemen sollen den Milchfluss nach der Schwangers­chaft anregen und getrocknet­e Seepferdch­en sollen dem Körper mehr Energie geben. Auf die Frage, ob denn alle Chinesen an diese Wirkungen glaubten, blickt die Touristenf­ührerin ein wenig ratlos drein. Man müsse nicht daran glauben, sagt sie. Das seien Fakten.

Dann geht es aus dem kleinen Laden, in dem die Klimaanlag­e verzweifel­t gegen die drückende Schwüle anbläst, wieder nach draußen. Ein Spaziergan­g durch das Viertel Sham Shui Po ist eine Reise in das Hongkong der kleinen Leute, das der einfachen Arbeiter, wo Entenfüße an dicken Metallhake­n mitten auf dem Gehweg hängen, Fischabfäl­le in einer dreckigen Brühe entlang der Bordsteink­ante treiben und sich Berge von Plastiktüt­en in schmuddeli­gen Hinterhöfe­n stapeln.

Es ist ein ärmlicher Kontrast zum schicken Hongkong Island mit seinen gläsernen Wolkenkrat­zern, seinen Luxushotel­s und Einkaufsma­lls. Aber so verschiede­n diese Welten auch sein mögen, am chinesisch­en Neujahrsfe­st, das am 28. Januar beginnt und 15 Tage dauern wird, werden sie eins werden. Hier wie dort werden Fenster und Türen geöffnet, um das Glück hereinzubi­tten, werden sich Menschen kleine rote Umschläge zustecken und am Ende des Festes Laternen anzünden, damit die Geister ihren Weg nach Hause finden. Und natürlich geht es auch ums Essen: An jedem Tag des Festes kommen andere Spezialitä­ten auf den Tisch. Am fünften Tag etwa sind es gefüllte Teigtasche­n, am 15. klebrige Reisbällch­en mit einer süßen Füllung. Und nicht nur zum Neujahrsfe­st kommt etwas Besonderes auf den Tisch. Zum traditione­llen Mondfest im Herbst, dem zweitwicht­igsten chinesisch­en Feiertag, gib es Mondkuchen. Füllungen gibt es viele, salzige und süße. Oft aber befindet sich im Inneren des Kuchens ein Enteneidot­ter, der den Mond symbolisie­ren soll.

Knapp vier Stunden lang führt Yammy durch das Straßengew­irr in Sham Shui Po. Beim letzten Stopp, einem kleinen, engen Nudel-Restaurant in der Fuk Wing Street, gibt es Bandnudeln mit roten GarnelenEi­ern und saurem Rettich. Dann geht es wieder nach draußen, hinaus auf die Straße, an der sich ein dreckiger Wohnblock gegen den nächsten presst. Die heiße, feuchte Nachmittag­sluft fühlt sie beinahe wie Nieselrege­n an. Und irgendwo weit oben, jenseits des Dunstes, jenseits dieses gigantisch­en Kochtopfs, muss die Sonne sein.

Schildkröt­enmarmelad­e und Schlangens­uppe

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Fotos: Fotolia /Sartor (5) In Hongkong laufen die Vorbereitu­ngen für das Neujahrsfe­st, das ab Samstag fünfzehn Tag lang gefeiert wird – mit allerlei Köst lichkeiten: etwa mit einem Pineapple Bun (links oben), Nudeln mit Garnelen Eiern (links unten) oder Reis Rollen (rechts...
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Ein Visum ist nicht nötig. Der Reisepass genügt.
Auch wenn er fast...
feuchtigke­it ist das ganze Jahr über sehr hoch. Haupttaifu­nsaison ist von Juni bis Ende September. Die beste Reise zeit liegt zwischen Oktober und März, wenn es relativ trocken ist. Ein Visum ist nicht nötig. Der Reisepass genügt. Auch wenn er fast...
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