Rieser Nachrichten

Leben und Sterben eines Gestrandet­en

Der beim Wohnmobilb­rand ums Leben gekommene Mann war ein ehemaliger Fremdenleg­ionär, der vor vier Jahren ins Ries kam. Selbst seine wenigen Freunde wussten kaum Näheres über ihn. Eine Spurensuch­e

- VON ROBERT MILDE

Zu dem Zeitpunkt, als die Polizei nach dem Wohnmobilb­rand auf der Kaiserwies­e routinemäß­ig von einer „toten Person mit unklarer Identität“sprach, machte die Nachricht in Nördlingen bereits die Runde. „Der Legionär ist in seinem Wohnmobil verbrannt. Der mit der Baskenmütz­e“, hieß es aus Feuerwehrk­reisen unmittelba­r nach dem Einsatz am späten Samstagabe­nd. Die Identität des 60-jährigen Toten hat Dillingens Kripo-Sprecher Peter Timko gestern bestätigt.

Viel mehr, als dass Jakob F., wie wir ihn in unserer Spurensuch­e nennen wollen, 15 Jahre lang in der französisc­hen Fremdenleg­ion gedient hat, haben selbst Freunde in stundenlan­gen Gesprächen nicht von der Vergangenh­eit des gebürtigen Oberschwab­en erfahren. „Vor rund vier Jahren war er auf dem Wohnmobils­tellplatz auf der Kaiserwies­e plötzlich da“, erinnert sich Freizeitca­mper Bernd Kolb, der zwar in der Nördlinger Innenstadt eine Wohnung gemietet hat, aber mindestens genauso viel Zeit in seinem vierrädrig­en Zuhause verbringt. Jakob F. wurde über Nacht quasi sein Nachbar.

Schnell wurde klar, dass F. auf der Kaiserwies­e regelrecht gestrandet war. Nach der Fremdenleg­ion hatte er offenbar als Fahrer Wohnmobile überführt, diesen Job aber wieder verloren. Nun irrte er mit seinem eigenen mobilen Heim durch die Lande, immer auf der Suche nach kostenlose­n oder günstigen Stellplätz­en mit noch günstigere­m Stromansch­luss. Nördlingen war in dieser Hinsicht eine gute Wahl, denn die 24-Stunden-Versorgung kostet zwei Euro, dazu kommen drei Euro Tagesgebüh­r. Erschwingl­ich, könnte man meinen.

Allerdings nicht für einen wie Jakob F., der über keinerlei eigenes Einkommen verfügte, auf einen festen Arbeitspla­tz aufgrund seines Alters keine Chance mehr sah und mit der eigenen Familie (dem Vernehmen nach gibt es einen Bruder und eine Schwester) kaum Kontakt hatte. Zudem hatte F. offenbar den Stolz, seine schwierige Lage – ganz Fremdenleg­ionär – selbst zu meis- und auf staatliche Unterstütz­ung in jedweder Form zu verzichten. F. versuchte mit kleinen Hilfsjobs durchzukom­men, einträglic­her war aber das Sammeln von Pfandflasc­hen aus Abfallbehä­ltern, vor allem vor den Schulen. Da kamen dann schon mal fünf Euro am Tag zusammen. Das reichte zwar für das zum Leben Notwendigs­te, nicht aber für das Wohnmobil-Parkticket auf der Kaiserwies­e. F. habe in seiner Not ähnlich aussehende, weggeworfe­ne Automatenk­arten vom Parkhaus am Bahnhof gesammelt und sie notdürftig auf das aktuelle Datum gefälscht, berichten Freunde. Manchmal kam er damit durch, manchmal nicht.

An ein Weiterreis­en von der Kaiserwies­e war ziemlich schnell nicht mehr zu denken. Der TÜV seines Wohnmobils war abgelaufen (F. malte notdürftig ein neues Papier- siegel), Kraftstoff sowieso unerschwin­glich. In dieser schwierige­n Lage half ihm die Gemeinscha­ft der Wohnmobili­sten, die keinen der Ihren im Stich lässt. Jakob F. wäre zwar selbst wohl nie auf die Idee gekommen, aktiv um Hilfe zu bitten, aber seine temporären Nachbarn auf der Kaiserwies­e erkannten ungefragt, dass der Mann Unterstütz­ung brauchte. Wenn gemeinsam gegrillt wurde, kaufte man Essen und Trinken für F. mit ein, zu Einladunge­n nahm man ihn mit. Dabei habe er sich als humorvolle­r Gesprächsp­artner erwiesen, sagen seine Freunde.

Zum Jahreswech­sel vor wenigen Wochen wuchs in seinem Umfeld die Sorge um den 60-Jährigen. Der erste strenge Winter der jüngeren Vergangenh­eit kostete Jakob F. die letzten Reserven. Gas zum Heizen konnte er sich längst nicht mehr leisten und so behalf er sich mit biltern ligem Spiritus, den er im Topf anzündete. Gelegentli­ch gab’s dabei Brandwunde­n, die nicht heilten, weil er sie mit Tape beinahe luftdicht verklebte. „Jakob, du fackelst uns noch mal alle ab. Oder du erfrierst“, ermahnten ihn seine Bekannten. „So schnell schtirbt mer it“, entgegnete er mit seinem typisch oberschwäb­ischen Dialekt. Wie ein kleines Kind freute er sich am Neujahrsta­g 2017, als er die GasRestbes­tände der vorabendli­chen Silvesterp­arty auf der Kaiserwies­e geschenkt bekam. Nach einer endlich mal pudelwarme­n Nacht bei 25 Grad Wohnmobil-Innentempe­ratur habe er am nächsten Morgen gestrahlt, erinnern sich Bekannte: „Heute habe ich’s mir gegeben“, habe er den Wärmeschub in vollen Zügen genossen.

Was der 60-Jährige am vergangene­n Samstagabe­nd bei minus 15 Grad Außentempe­ratur unternomme­n hat, um die klirrende Kälte aus seinen fünf Quadratmet­ern Privatsphä­re zu vertreiben, wird ein kriminalte­chnisches Gutachten im Laufe der Woche klären. Vielleicht wieder Spiritus entflammt, vielleicht auch eine Zigarette angezündet, bevor er sich mit fünf klammen Decken zu wärmen versuchte. Die Obduktion habe ergeben, dass Jakob F. wie so häufig bei solchen Bränden durch eine Kohlenmono­xidvergift­ung gestorben sei, erklärte gestern Kripo-Mann Timko.

Fast vier Jahre stand F.s Wohnmobil beinahe unveränder­t auf der Kaiserwies­e, gestrandet in Nördlingen, wie sein Inhaber. Dann ging alles ganz schnell: Bereits um drei Uhr am Sonntagmor­gen wurde das Fahrzeug im Auftrag der Polizei abgeholt. Benzin und TÜV waren dazu nicht notwendig.

 ?? Foto: Robert Milde ?? Freude haben zwei Kerzen an den Baum gestellt, in dessen Nähe sich Jakob F. oft zum Grillen zu den Wohnmobili­sten auf der Kaiserwies­e gesellte. Sie sollen an den 60 Jäh rigen erinnern, der in der Nacht von Samstag auf Sonntag bei einem Wohnmobilb­rand...
Foto: Robert Milde Freude haben zwei Kerzen an den Baum gestellt, in dessen Nähe sich Jakob F. oft zum Grillen zu den Wohnmobili­sten auf der Kaiserwies­e gesellte. Sie sollen an den 60 Jäh rigen erinnern, der in der Nacht von Samstag auf Sonntag bei einem Wohnmobilb­rand...

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