Leben und Sterben eines Gestrandeten
Der beim Wohnmobilbrand ums Leben gekommene Mann war ein ehemaliger Fremdenlegionär, der vor vier Jahren ins Ries kam. Selbst seine wenigen Freunde wussten kaum Näheres über ihn. Eine Spurensuche
Zu dem Zeitpunkt, als die Polizei nach dem Wohnmobilbrand auf der Kaiserwiese routinemäßig von einer „toten Person mit unklarer Identität“sprach, machte die Nachricht in Nördlingen bereits die Runde. „Der Legionär ist in seinem Wohnmobil verbrannt. Der mit der Baskenmütze“, hieß es aus Feuerwehrkreisen unmittelbar nach dem Einsatz am späten Samstagabend. Die Identität des 60-jährigen Toten hat Dillingens Kripo-Sprecher Peter Timko gestern bestätigt.
Viel mehr, als dass Jakob F., wie wir ihn in unserer Spurensuche nennen wollen, 15 Jahre lang in der französischen Fremdenlegion gedient hat, haben selbst Freunde in stundenlangen Gesprächen nicht von der Vergangenheit des gebürtigen Oberschwaben erfahren. „Vor rund vier Jahren war er auf dem Wohnmobilstellplatz auf der Kaiserwiese plötzlich da“, erinnert sich Freizeitcamper Bernd Kolb, der zwar in der Nördlinger Innenstadt eine Wohnung gemietet hat, aber mindestens genauso viel Zeit in seinem vierrädrigen Zuhause verbringt. Jakob F. wurde über Nacht quasi sein Nachbar.
Schnell wurde klar, dass F. auf der Kaiserwiese regelrecht gestrandet war. Nach der Fremdenlegion hatte er offenbar als Fahrer Wohnmobile überführt, diesen Job aber wieder verloren. Nun irrte er mit seinem eigenen mobilen Heim durch die Lande, immer auf der Suche nach kostenlosen oder günstigen Stellplätzen mit noch günstigerem Stromanschluss. Nördlingen war in dieser Hinsicht eine gute Wahl, denn die 24-Stunden-Versorgung kostet zwei Euro, dazu kommen drei Euro Tagesgebühr. Erschwinglich, könnte man meinen.
Allerdings nicht für einen wie Jakob F., der über keinerlei eigenes Einkommen verfügte, auf einen festen Arbeitsplatz aufgrund seines Alters keine Chance mehr sah und mit der eigenen Familie (dem Vernehmen nach gibt es einen Bruder und eine Schwester) kaum Kontakt hatte. Zudem hatte F. offenbar den Stolz, seine schwierige Lage – ganz Fremdenlegionär – selbst zu meis- und auf staatliche Unterstützung in jedweder Form zu verzichten. F. versuchte mit kleinen Hilfsjobs durchzukommen, einträglicher war aber das Sammeln von Pfandflaschen aus Abfallbehältern, vor allem vor den Schulen. Da kamen dann schon mal fünf Euro am Tag zusammen. Das reichte zwar für das zum Leben Notwendigste, nicht aber für das Wohnmobil-Parkticket auf der Kaiserwiese. F. habe in seiner Not ähnlich aussehende, weggeworfene Automatenkarten vom Parkhaus am Bahnhof gesammelt und sie notdürftig auf das aktuelle Datum gefälscht, berichten Freunde. Manchmal kam er damit durch, manchmal nicht.
An ein Weiterreisen von der Kaiserwiese war ziemlich schnell nicht mehr zu denken. Der TÜV seines Wohnmobils war abgelaufen (F. malte notdürftig ein neues Papier- siegel), Kraftstoff sowieso unerschwinglich. In dieser schwierigen Lage half ihm die Gemeinschaft der Wohnmobilisten, die keinen der Ihren im Stich lässt. Jakob F. wäre zwar selbst wohl nie auf die Idee gekommen, aktiv um Hilfe zu bitten, aber seine temporären Nachbarn auf der Kaiserwiese erkannten ungefragt, dass der Mann Unterstützung brauchte. Wenn gemeinsam gegrillt wurde, kaufte man Essen und Trinken für F. mit ein, zu Einladungen nahm man ihn mit. Dabei habe er sich als humorvoller Gesprächspartner erwiesen, sagen seine Freunde.
Zum Jahreswechsel vor wenigen Wochen wuchs in seinem Umfeld die Sorge um den 60-Jährigen. Der erste strenge Winter der jüngeren Vergangenheit kostete Jakob F. die letzten Reserven. Gas zum Heizen konnte er sich längst nicht mehr leisten und so behalf er sich mit biltern ligem Spiritus, den er im Topf anzündete. Gelegentlich gab’s dabei Brandwunden, die nicht heilten, weil er sie mit Tape beinahe luftdicht verklebte. „Jakob, du fackelst uns noch mal alle ab. Oder du erfrierst“, ermahnten ihn seine Bekannten. „So schnell schtirbt mer it“, entgegnete er mit seinem typisch oberschwäbischen Dialekt. Wie ein kleines Kind freute er sich am Neujahrstag 2017, als er die GasRestbestände der vorabendlichen Silvesterparty auf der Kaiserwiese geschenkt bekam. Nach einer endlich mal pudelwarmen Nacht bei 25 Grad Wohnmobil-Innentemperatur habe er am nächsten Morgen gestrahlt, erinnern sich Bekannte: „Heute habe ich’s mir gegeben“, habe er den Wärmeschub in vollen Zügen genossen.
Was der 60-Jährige am vergangenen Samstagabend bei minus 15 Grad Außentemperatur unternommen hat, um die klirrende Kälte aus seinen fünf Quadratmetern Privatsphäre zu vertreiben, wird ein kriminaltechnisches Gutachten im Laufe der Woche klären. Vielleicht wieder Spiritus entflammt, vielleicht auch eine Zigarette angezündet, bevor er sich mit fünf klammen Decken zu wärmen versuchte. Die Obduktion habe ergeben, dass Jakob F. wie so häufig bei solchen Bränden durch eine Kohlenmonoxidvergiftung gestorben sei, erklärte gestern Kripo-Mann Timko.
Fast vier Jahre stand F.s Wohnmobil beinahe unverändert auf der Kaiserwiese, gestrandet in Nördlingen, wie sein Inhaber. Dann ging alles ganz schnell: Bereits um drei Uhr am Sonntagmorgen wurde das Fahrzeug im Auftrag der Polizei abgeholt. Benzin und TÜV waren dazu nicht notwendig.