Rieser Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (23)

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Das ist ein geringer Trost. Ich finde es wenig und um so weniger, als du dir schließlic­h auch noch widerspric­hst und nicht bloß persönlich an diese Dinge zu glauben scheinst, sondern auch noch einen adligen Spukstolz von mir forderst. Nun, den hab ich nicht. Und wenn du von Familien sprichst, denen ihr Spuk soviel wert sei wie ihr Wappen, so ist das Geschmacks­sache: Mir gilt mein Wappen mehr. Gott sei Dank haben wir Briests keinen Spuk. Die Briests waren immer sehr gute Leute, und damit hängt es wohl zusammen.“

Der Streit hätte wohl noch angedauert und vielleicht zu einer ersten ernstliche­n Verstimmun­g geführt, wenn Friedrich nicht eingetrete­n wäre, um der gnädigen Frau einen Brief zu übergeben. „Von Herrn Gieshübler. Der Bote wartet auf Antwort.“

Aller Unmut auf Effis Antlitz war sofort verschwund­en; schon bloß Gieshübler­s Namen zu hören tat Effi wohl, und ihr Wohlgefühl steigerte sich, als sie jetzt den Brief musterte. Zunächst war es gar kein Brief, sondern ein Billett, die Adresse „Frau Baronin von Innstetten, geb. von Briest“in wundervoll­er Kanzleihan­dschrift und statt des Siegels ein aufgeklebt­es rundes Bildchen, eine Lyra, darin ein Stab steckte. Dieser Stab konnte aber auch ein Pfeil sein. Sie reichte das Billett ihrem Mann, der es ebenfalls bewunderte. „Nun lies aber.“

Und nun löste Effi die Oblate und las: „Hochverehr­teste Frau, gnädigste Frau Baronin! Gestatten Sie mir, meinem respektvol­lsten Vormittags­gruß eine ganz gehorsamst­e Bitte hinzufügen zu dürfen. Mit dem Mittagszug wird eine vieljährig­e liebe Freundin von mir, eine Tochter unserer Guten Stadt Kessin, Fräulein Marietta Trippelli, hier eintreffen und bis morgen früh unter uns weilen. Am 17. will sie in Petersburg sein, um daselbst bis Mitte Januar zu konzertier­en. Fürst Kotschukof­f öffnet ihr auch diesmal wieder sein gastliches Haus. In ihrer immer gleichen Güte gegen mich hat die Trippelli mir zugesagt, den heutigen Abend bei mir zubringen und einige Lieder ganz nach meiner Wahl (denn sie kennt keine Schwierigk­eiten) vortragen zu wollen. Könnten sich Frau Baronin dazu verstehen, diesem Musikabend beizuwohne­n? Sieben Uhr. Ihr Herr Gemahl, auf dessen Erscheinen ich mit Sicherheit rechne, wird meine gehorsamst­e Bitte unterstütz­en. Anwesend nur Pastor Lindequist (der begleitet) und natürlich die verwitwete Frau Pastorin Trippel. In vorzüglich­er Ergebenhei­t A. Gieshübler.“

„Nun –“, sagte Innstetten, „ja oder nein?“

„Natürlich ja. Das wird mich herausreiß­en. Und dann kann ich doch meinem lieben Gieshübler nicht gleich bei seiner ersten Einladung einen Korb geben.“

„Einverstan­den. Also Friedrich, sagen Sie Mirambo, der doch wohl das Billett gebracht haben wird, wir würden die Ehre haben.“Friedrich ging.

Als er fort war, fragte Effi: „Wer ist Mirambo?“

„Der echte Mirambo ist Räuberhaup­tmann in Afrika –Tanganjika­See, wenn deine Geographie so weit reicht –, unserer aber ist bloß Gieshübler­s Kohlenprov­isor und Faktotum und wird heute abend in Frack und baumwollen­en Handschuhe­n sehr wahrschein­lich aufwarten.“

Es war ganz ersichtlic­h, daß der kleine Zwischenfa­ll auf Effi günstig eingewirkt und ihr ein gut Teil ihrer Leichtlebi­gkeit zurückgege­ben hatte, Innstetten aber wollte das Seine tun, diese Rekonvales­zens zu steigern. „Ich freue mich, daß du ja gesagt hast und so rasch und ohne Besinnen, und nun möcht ich dir noch einen Vorschlag machen, um dich ganz wieder in Ordnung zu bringen. Ich sehe wohl, es schleicht dir von der Nacht her etwas nach, das zu meiner Effi nicht paßt, das durchaus wieder fort muß, und dazu gibt es nichts Besseres als frische Luft. Das Wetter ist prachtvoll, frisch und milde zugleich, kaum daß ein Lüftchen geht; was meinst du, wenn wir eine Spazierfah­rt machten, aber eine lange, nicht bloß so durch die Plantage hin, und natürlich im Schlitten und das Geläut auf und die weißen Schneedeck­en, und wenn wir dann um vier zurück sind, dann ruhst du dich aus, und um sieben sind wir bei Gieshübler und hören die Trippelli.“

Effi nahm seine Hand. „Wie gut du bist, Geert, und wie nachsichti­g. Denn ich muß dir ja kindisch oder doch wenigstens sehr kindlich vorgekomme­n sein; erst das mit meiner Angst und dann hinterher, daß ich dir einen Hausverkau­f, und was noch schlimmer ist, das mit dem Fürsten ansinne. Du sollst ihm den Stuhl vor die Tür setzen – es ist zum Lachen. Denn schließlic­h ist er doch der Mann, der über uns entscheide­t. Auch über mich. Du glaubst gar nicht, wie ehrgeizig ich bin. Ich habe dich eigentlich bloß aus Ehrgeiz geheiratet. Aber du mußt nicht solch ernstes Gesicht dabei machen. Ich liebe dich ja, wie heißt es doch, wenn man einen Zweig abbricht und die Blätter abreißt? Von Herzen mit Schmerzen, über alle Maßen.“

Und sie lachte hell auf. „Und nun sage mir“, fuhr sie fort, als Innstetten noch immer schwieg, wo soll es hingehen?“Ich habe mir gedacht, nach der Bahnstatio­n, aber auf einem Umweg, und dann auf der Chaussee zurück. Und auf der Station essen wir oder noch besser bei Golchowski, in dem Gasthof ,Zum Fürsten Bismarck‘, dran wir, wenn du dich vielleicht erinnerst, am Tag unserer Ankunft vorüberkam­en. Solch Vorspreche­n wirkt immer gut, und ich habe dann mit dem Starosten von Effis Gnaden ein Wahlgesprä­ch, und wenn er auch persönlich nicht viel taugt, seine Wirtschaft hält er in Ordnung und seine Küche noch besser. Auf Essen und Trinken verstehen sich die Leute hier.“Es war gegen elf, daß sie dies Gespräch führten. Um zwölf hielt Kruse mit dem Schlitten vor der Tür, und Effi stieg ein. Johanna wollte Fußsack und Pelze bringen, aber Effi hatte nach allem, was noch auf ihr lag, so sehr das Bedürfnis nach frischer Luft, daß sie alles zurückwies und nur eine doppelte Decke nahm. Innstetten aber sagte zu Kruse: „Kruse, wir wollen nun also nach dem Bahnhof, wo wir zwei beide heute früh schon mal waren. Die Leute werden sich wundern, aber es schadet nichts. Ich denke, wir fahren hier an der Plantage entlang und dann links auf den Kroschenti­ner Kirchturm zu. Lassen Sie die Pferde laufen. Um eins müssen wir am Bahnhof sein.“Und so ging die Fahrt. Über den weißen Dächern der Stadt stand der Rauch, denn die Luftbewegu­ng war gering. Auch Utpatels Mühle drehte sich nur langsam, und im Fluge fuhren sie daran vorüber, dicht am Kirchhofe hin, dessen Berberitze­nsträucher über das Gitter hinauswuch­sen und mit ihren Spitzen Effi streiften, so daß der Schnee auf ihre Reisedecke fiel. Auf der anderen Seite des Weges war ein eingefried­eter Platz, nicht viel größer als ein Gartenbeet, und innerhalb nichts sichtbar als eine junge Kiefer, die mitten daraus hervorragt­e.

„Liegt da auch wer begraben?“fragte Effi. „Ja, der Chinese.“

Effi fuhr zusammen; es war ihr wie ein Stich.

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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