Wer weiß schon, was Notgeld war?
Der Sammler Wolfgang Friedrich beleuchtet Heimatgeschichte aus einem besonderen Blickwinkel. Was er dabei über Nördlingen herausgefunden hat
Notgeld? Ist das ein anderer Ausdruck für Notgroschen oder so? Selbst die ältere Generation muss heute raten, was seinerzeit damit gemeint war. „Seinerzeit“heißt in Nördlingen vor genau 100 Jahren: 1917 war die durch den Ersten Weltkrieg tobende Inflation bereits so extrem, dass die Kommunen ihr eigenes Kleingeld prägen und drucken mussten, weil der Staat solche Massen nicht mehr liefern konnte.
Und schon sind wir am Schnittpunkt von Sammlerstücken, Heimatund Weltgeschichte, der den Nördlinger Sammler Wolfgang Friedrich so fasziniert: Er ist im Besitz von allen Notgeldmünzen und -scheinen, die in Nördlingen zwischen 1917 und 1923 herausgebracht wurden. Zum Schluss galoppierte die Inflation so heftig, dass die Scheine nach dem Druck schon fast nichts mehr wert waren, Hausfrauen in Waschkörben den Tageslohn ihrer Männer in der Fabrik abholten und eiligst ausgaben. Im November 1923 kostete ein Laib Brot 5600000000 Reichsmark.
Eine einzige Münze löste 1954 die Sammelfreude im damals zehnjährigen Wolfgang Friedrich aus, als er vom Großvater ein silbernes Zweireichsmarkstück mit dem Konterfei von Reichspräsident Hindenburg geschenkt bekam. Das Hobby wurde zur Leidenschaft, als er 1958 seine Lehre als Schriftsetzer in der C.H. Beck’schen anfing. Da man sich hier berufsbedingt tagtäglich mit grafischen und typographischen Feinheiten beschäftigte, gab es hier viele Sammler von Marken, Münzen, Karten und anderen Zeugnissen der Geschichte.
Zunächst blieb er den Münzen treu, ab 1970 interessierten ihn auch zusehends gedruckte Belege der Rieser Geschichte wie Ansichtskarten (gut 4000 hat er davon), Reklamemarken oder „Hockersteuer“-Scheine. Letztere erhielt man als Quittung, wenn man nach der Polizeistunde Gebühren an den Wirt entrichtete, die dieser dann an die Stadt weiterleiten musste. Sein Spezialgebiet wurde aber das Notgeld: „Derartige Nischen sind übersichtlich und man kann sie komplett füllen“, so Friedrich. „Andere Bereiche sind meist zu umfangreich, um wirklich den Überblick zu wahren.“
Und er beließ es nicht nur beim Sammeln: „Die Sammelobjekte einfach nur ins Album zu stecken, reichte mir nicht; die Hintergrundinformation war mir immer wichtig.“Die erforschte er im Stadtarchiv so genau, dass er 1992 das 142-seitige, reich illustrierte und von ihm als Drucker extrem aufwändig gestaltete Buch „Nördlinger Notgeld“herausbrachte. Es wurde bei Engelhardt gedruckt, wo er seit 1970 arbeitete und ist heute noch wenige Meter vom Stadtarchiv entfernt im Antiquariats-Café „cafebuch.de“erhältlich.
In dem Buch sind nicht nur Münzen und Scheine fachgerecht dokumentiert und in Zusammenhang mit der Weltgeschichte gebracht – es wird auch deutlich, wie die Stadt Nördlingen stets aus der Not eine Tugend machte: Stehen andernorts nur die Namen der Städte auf den Scheinen, engagierte Nördlingen unter anderem Münchner Grafiker, um sie reich mit Altstadt-Motiven zu schmücken und zu Werbeträgern zu machen.
Friedrich kann noch ein anderes hochaktuelles Zeitdokument in Münzform präsentieren: 1933 war auch ein kleines Lutherjahr, man gedachte dem 450. Geburtstag des Kirchenreformators. Wolfgang Friedrich hat in seiner Sammlung Gedenkmünzen mit Luthers Konterfei zu zwei und fünf Reichsmark – bankfrisch in einer Klarsicht-Kapsel geschützt; als ob seitdem noch kein Tag vergangen wäre.
Ein Beispiel, wie nahe Glanz und Schatten in der Geschichte beisammen liegen – die glänzenden Münzen erschienen im Jahr der Machtergreifung Hitlers.