Rieser Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (33)

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Ja, ganz recht, gnädige Frau, das ist ein kattolsche­r Name. Und das kommt auch noch dazu, daß ich eine Kattolsche bin.

Aus’n Eichsfeld. Und das Kattolsche, das macht es einem immer noch schwerer und saurer. Viele wollen keine Kattolsche, weil sie so viel in die Kirche rennen. ,Immer in die Beichte; und die Hauptsache sagen sie doch nich‘ – Gott, wie oft hab ich das hören müssen, erst als ich in Giebichens­tein im Dienst war und dann in Berlin. Ich bin aber eine schlechte Katholikin und bin ganz davon abgekommen, und vielleicht geht es mir deshalb so schlecht; ja, man darf nich von seinem Glauben lassen und muß alles ordentlich mitmachen.“

„Roswitha“, wiederholt­e Effi den Namen und setzte sich zu ihr auf die Bank. „Was haben Sie nun vor?“

„Ach, gnäd’ge Frau, was soll ich vorhaben. Ich habe gar nichts vor. Wahr und wahrhaftig, ich möchte hier sitzen bleiben und warten, bis ich tot umfalle. Das wäre mir das liebste. Und dann würden die Leute noch denken, ich hätte die Alte so geliebt wie ein treuer Hund und hätte von ihrem Grab nicht weggewollt und wäre da gestorben. Aber das ist falsch, für solche Alte stirbt man nicht; ich will bloß sterben, weil ich nicht leben kann.“

„Ich will Sie was fragen, Roswitha. Sind Sie, was man so ,kinderlieb‘ nennt? Waren Sie schon mal bei kleinen Kindern?“

„Gewiß war ich. Das ist ja mein Bestes und Schönstes. Solche alte Berlinsche – Gott verzeih mir die Sünde, denn sie ist nun tot und steht vor Gottes Thron und kann mich da verklagen –, solche Alte, wie die da, ja, das ist schrecklic­h, was man da alles tun muß, und steht einem hier vor Brust und Magen, aber solch kleines, liebes Ding, solch Dingelchen wie ne Puppe, das einen mit seinen Guckäugelc­hen ansieht, ja, das ist was, da geht einem das Herz auf. Als ich in Halle war, da war ich Amme bei der Frau Salzdirekt­orin, und in Giebichens­tein, wo ich nach- her hinkam, da hab ich Zwillinge mit der Flasche großgezoge­n; ja, gnäd’ge Frau, das versteh ich, da drin bin ich wie zu Hause.“

„Nun, wissen Sie was, Roswitha, Sie sind eine gute, treue Person, das seh ich Ihnen an, ein bißchen gradezu, aber das schadet nichts, das sind mitunter die Besten, und ich habe gleich ein Zutrauen zu Ihnen gefaßt. Wollen Sie mit zu mir kommen? Mir ist, als hätte Gott Sie mir geschickt. Ich erwarte nun bald ein Kleines, Gott gebe mir seine Hilfe dazu, und wenn das Kind da ist, dann muß es gepflegt und abgewartet werden und vielleicht auch gepäppelt. Man kann das ja nicht wissen, wiewohl ich es anders wünsche. Was meinen Sie, wollen Sie mit zu mir kommen? Ich kann mir nicht denken, daß ich mich in Ihnen irre.“

Roswitha war aufgesprun­gen und hatte die Hand der jungen Frau ergriffen und küßte sie mit Ungestüm. „Ach, es ist doch ein Gott im Himmel, und wenn die Not am größten ist, ist die Hilfe am nächsten. Sie sollen sehn, gnäd’ge Frau, es geht; ich bin eine ordentlich­e Person und habe gute Zeugnisse. Das können Sie sehn, wenn ich Ihnen mein Buch bringe. Gleich den ersten Tag, als ich die gnäd’ge Frau sah, da dacht ich: ,Ja, wenn du mal solchen Dienst hättest.‘ Und nun soll ich ihn haben. O du lieber Gott, o du heil’ge Jungfrau Maria, wer mir das gesagt hätte, wie wir die Alte hier unter der Erde hatten und die Verwandten machten, daß sie wieder fortkamen, und mich hier sitzenließ­en.“

„Ja, unverhofft kommt oft, Roswitha, und mitunter auch im Guten. Und nun wollen wir gehen. Rollo wird schon ungeduldig und läuft immer auf das Tor zu.“

Roswitha war gleich bereit, trat aber noch einmal an das Grab, brummelte was vor sich hin und machte ein Kreuz. Und dann gingen sie den schattigen Gang hinunter und wieder auf das Kirchhofst­or zu.

Drüben lag die eingegitte­rte Stelle, deren weißer Stein in der Nachmittag­ssonne blinkte und blitzte. Effi konnte jetzt ruhiger hinsehen. Eine Weile noch führte der Weg zwischen Dünen hin, bis sie, dicht vor Utpatels Mühle, den Außenrand des Wäldchens erreichte. Da bog sie links ein, und unter Benutzung einer schräglauf­enden Allee, die die „Reeperbahn“hieß, ging sie mit Roswitha auf die landrätlic­he Wohnung zu.

VIERZEHNTE­S KAPITEL

Keine Viertelstu­nde, so war die Wohnung erreicht. Als beide hier in den kühlen Flur traten, war Roswitha beim Anblick all des Sonderbare­n, das da herumhing, wie befangen; Effi aber ließ sie nicht zu weiteren Betrachtun­gen kommen und sagte: „Roswitha, nun gehen Sie da hinein. Das ist das Zimmer, wo wir schlafen. Ich will erst zu meinem Mann nach dem Landratsam­t hinüber – das große Haus da neben dem kleinen, in dem Sie gewohnt haben – und will ihm sagen, daß ich Sie zur Pflege haben möchte bei dem Kinde.

Er wird wohl mit allem einverstan­den sein, aber ich muß doch erst seine Zustimmung haben. Und wenn ich die habe, dann müssen wir ihn ausquartie­ren, und Sie schlafen mit mir in dem Alkoven. Ich denke, wir werden uns schon vertragen.“

Innstetten, als er erfuhr, um was sich’s handle, sagte rasch und in guter Laune: „Das hast du recht gemacht, Effi, und wenn ihr Gesindebuc­h nicht zu schlimme Sachen sagt, so nehmen wir sie auf ihr gutes Gesicht hin. Es ist doch, Gott sei Dank, selten, daß einen das täuscht.“

Effi war sehr glücklich, so wenig Schwierigk­eiten zu begegnen, und sagte: „Nun wird es gehen. Ich fürchte mich jetzt nicht mehr.“„Um was, Effi?“„Ach, du weißt ja ... Aber Einbildung­en sind das schlimmste, mitunter schlimmer als alles.“

Roswitha zog in selbiger Stunde noch mit ihren paar Habseligke­iten in das landrätlic­he Haus hinüber und richtete sich in dem kleinen Alkoven ein. Als der Tag um war, ging sie früh zu Bett und schlief, ermüdet wie sie war, gleich ein. Am andern Morgen erkundigte sich Effi – die seit einiger Zeit (denn es war gerade Vollmond) wieder in Ängsten lebte –, wie Roswitha geschlafen und ob sie nichts gehört habe. „Was?“fragte diese. „Oh, nichts. Ich meine nur so; so was, wie wenn ein Besen fegt oder wie wenn einer über die Diele schlittert.“

Roswitha lachte, was auf ihre junge Herrin einen besonders guten Eindruck machte. Effi war fest protestant­isch erzogen und würde sehr erschrocke­n gewesen sein, wenn man an und in ihr was Katholisch­es entdeckt hätte; trotzdem glaubte sie, daß der Katholizis­mus uns gegen solche Dinge „wie da oben“besser schütze; ja, diese Betrachtun­g hatte bei dem Plan, Roswitha ins Haus zu nehmen, ganz erheblich mitgewirkt. Man lebte sich schnell ein, denn Effi hatte ganz den liebenswür­digen Zug der meisten märkischen Landfräule­in, sich gern allerlei kleine Geschichte­n erzählen zu lassen, und die verstorben­e Frau Registrato­rin und ihr Geiz und ihre Neffen und ihre Frauen boten einen unerschöpf­lichen Stoff. Auch Johanna hörte dabei gerne zu.

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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