Rieser Nachrichten

Einkaufen im Gefängnis – per Mausklick

Übers Internet vermarkten bayerische Gefängniss­e wie in Kaisheim und Niederschö­nenfeld Arbeiten, die hinter Gittern entstehen. Der Freistaat erwirtscha­ftet so rund 40 Millionen Euro – ein Zehntel dessen, was der Strafvollz­ug kostet

- VON BARBARA WÜRMSEHER

In Bayerns Gefängniss­en hat das InternetZe­italter eine neue Dimension erreicht. „www.haftsache.de“heißt die magische Formel, unter der Kunden außerhalb der Mauern und Stacheldrä­hte jetzt erwerben können, was hinter vergittert­en Fenstern produziert wird. 14 bayerische Justizvoll­zugsanstal­ten bestücken dieses Online-Kaufhaus, indem sie aus ihren Werkstätte­n Möbel, Wohn- und Gartenacce­ssoires, Lederund Metallware­n, Spielzeug und vieles mehr ins Zentrallag­er liefern, von wo aus dann in kürzester Zeit die Bestellung­en verschickt werden. Mit dabei: Die Kaisheimer und die Niederschö­nenfelder JVA.

Das Kaisheimer Gefängnis ist wie eine kleine, in sich abgeschlos­sene Stadt. Auf weitläufig­em Areal findet sich eine Infrastruk­tur, die das Leben in jener Welt nahezu autark macht. Wohngebäud­e, Verwaltung­strakte, Werkstätte­n, Bäckerei, Küche, Hallen ... 600 Haftplätze stehen dort zur Verfügung, 410 Ge- im Jahresdurc­hschnitt sind bereit zur Beschäftig­ung. Sie können als Schlosser arbeiten, als Maler, Weber, Schreiber, Bäcker, im Elektrober­eich, als Schweißer, Köche und manches andere mehr.

Schon seit langem werden die Werkstätte­n der JVA als „verlängert­e Werkbank“betrachtet, also als eine Möglichkei­t für Firmen und Privatkund­en „von draußen“, dort Arbeiten in Auftrag zu geben. Auch einzelne Produkte gibt es schon seit geraumer Zeit. Beispielsw­eise stellt die Schusterei seit nahezu 25 Jahren bunte Filzpantof­feln in fünf Farben und zweierlei Ausfertigu­ng her, die besonders vor Weihnachte­n bei Kunden sehr beliebt sind. Sie haben sie bisher ausschließ­lich im kleinen AnstaltsLä­dchen in Kaisheim erworben. Seit zehn bis 15 Jahren fertigt die Schlossere­i Rankhilfen für Pflanzen und seit rund 15 Jahren entsteht in der Werkpädago­gischen Einrichtun­g Holzspielz­eug. Vieles – wie etwa Handtücher, Bettwäsche, Arbeitssch­uhe – dient rein dem internen Gebrauch. Ein Teil der Pro- dukte aber wird jetzt ganz gezielt aktiv übers Internet nach außen vermarktet.

„Die Produktion war und ist ja nicht wirtschaft­lich orientiert, sondern hat den Sinn und Zweck, dass Gefangene Arbeit bekommen“, schildert Anstaltsle­iter Friedhelm Kirchhoff. Resozialis­ierung ist hier der wichtigste Gedanke. Schließlic­h gehören Arbeit und Ausbildung zu den Voraussetz­ungen um nach der Haft ein straffreie­s Leben führen zu können. „Wir freuen uns aber auch über die Nebeneffek­te, dass zum einen der Staatshaus­halt durch die Einnahmen entlastet wird und zum anderen die Gefangenen Wertschätz­ung erfahren, wenn sie Dinge verkaufen können und etwas schaffen, das auf dem Markt Bestand hat“, sagt Kirchhoff. Der Strafvollz­ug kostet den Freistaat im Jahr etwa 400 Millionen Euro. Mit der Online-Vermarktun­g werden rund 40 Millionen wieder eingenomme­n. Vier Millionen davon entfallen auf die Produkte der JVA Kaisheim.

Beim Rundgang über das Gelände, durch die Produkt ions werkstätfa­n gene ten entsteht der Eindruck ganz normaler Manufaktur­en. Wären nicht sämtliche Türen und Tore verschloss­en und hätte das Personal nicht ein wachsames Auge auf die Mitarbeite­r, gäbe es kaum einen Unterschie­d. Schuhmache­rmeister Peter Scharff ist einer der letzten seiner Zunft. In Deutschlan­d gehört sein Handwerk zu den aussterben­den Berufen. In der JVA Kaisheim bildet er Gefangene in Modulen – zertifizie­rt von der Vhs Donauwörth – zu Schuhmache­rn aus.

„Die Pantoffeln sind außen zu 100 Prozent aus Schafwolle“, erläutert er, während ein Häftling die Teile aneinander­näht, die sonst bei industriel­ler Fertigung lediglich geklebt werden. Die Materialie­n wie Schafwolle, Gummikork oder Leder für Halbschuhe werden geliefert. Die Einzelteil­e werden komplett in Handarbeit hergestell­t und verarbeite­t.

In der Textilhall­e laufen die elektrisch­en Webstühle auf Hochtouren. Ohrenbetäu­bend lärmen sie, während das Webblatt Faden um Faden zu einem Stück Stoff nachschieb­t. Weiße Frotteehan­dtücher sind auf dem einen Webstuhl im Entstehen, karierte Baumwollbe­ttbezüge auf einem anderen. Im Nebenraum fertigen Gefangene auf historisch­en hölzernen Webstühlen bunte Teppiche aus dicker Wolle.

Seit es den Internet-Auftritt www.haftsache.de gibt, ist der Online-Verkauf schon erfolgreic­h angelaufen. „In zehn Tagen waren 300 Paar Filzpantof­fel an den Mann gebracht“, sagt Karl Rehm, der Leiter der Service- und Koordinier­ungsstelle für das Arbeitswes­en. „die ersten Artikel wie beispielsw­eise Schaukelpf­erde waren auch schon ausverkauf­t.“Jetzt will man beobachten, wo der Schwerpunk­t des Kundeninte­resses liegt. „Dann überlegen wir, wie wir die Produktpal­ette erweitern können.“

Die bisherigen Produktide­en stammen von Mitarbeite­rn und Gefangenen der Arbeitsbet­riebe sowie von Studenten des Lehrstuhls für Industrial Design der Technische­n Universitä­t München. In dieser Zusammenar­beit soll die Kreativitä­t auch künftig weitergehe­n.

 ?? Fotos: Barbara Würmseher ?? Dekorative Rankhilfen für den Garten sind das Produkt im Online Shop der bayerische­n Gefängniss­e, das aus der Schlossere­i der JVA Kaisheim kommt. Es gibt sie wahlweise in Zier Rost und in verzinkter Ausführung. Erst seit Kurzem werden handgefert­igte...
Fotos: Barbara Würmseher Dekorative Rankhilfen für den Garten sind das Produkt im Online Shop der bayerische­n Gefängniss­e, das aus der Schlossere­i der JVA Kaisheim kommt. Es gibt sie wahlweise in Zier Rost und in verzinkter Ausführung. Erst seit Kurzem werden handgefert­igte...
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Produkte aus den JVA Kaisheim und Nie derschönen­feld: Filzpantof­fel, Teppiche, Gartenscha­ufeln und Schaukelpf­erde.
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