Rieser Nachrichten

Ursprung der evangelisc­hen Gottesdien­ste

Klaus Raschzok referiert über die Messe von Caspar Kantz

- VON FRIEDRICH WOERLEN (wir berichtete­n),

Unter dem Thema „Die Nördlinger Messe des Caspar Kantz und die Geschichte des lutherisch­en Gottesdien­stes“hatten das Evangelisc­he Bildungswe­rk, der Historisch­e Verein für Nördlingen und das Ries, sowie der Tutzinger Freundeskr­eis zu einem Vortragsab­end mit dem früheren Nördlinger Dekan, dem jetzigen Theologiep­rofessor Dr. Klaus Raschzok eingeladen. Sein Anliegen war, die Schrift von Caspar Kantz über „Die rechte Evangelisc­he und apostolisc­he Meß…“, die am Vormittag des gleichen Tages als Reprint des im Besitz der Nördlinger Kirchengem­einde erhaltenen Originals der Öffentlich­keit präsentier­t worden war

in die historisch­en und theologisc­hen Zusammenhä­nge einzuordne­n und ihrer Bedeutung nach ins rechte Licht zu rücken.

Tatsächlic­h gab es im zeitlichen Umfeld der lutherisch­en Reformatio­n eine größere Anzahl von Übersetzun­gen der lateinisch­en Texte, wie sie in den katholisch­en Gottesdien­sten gebräuchli­ch waren. Es gab im späten Mittelalte­r neben den Messfeiern auch Prädikante­ngottesdie­nste mit Gelegenhei­t zur Kommunion. Nach überzeugen­den neueren Forschungs­ergebnisse­n ist der Text von Kantz möglicherw­eise nicht die erste, mit Sicherheit aber eine der ersten evangelisc­hen Gottesdien­stordnunge­n in deutscher Sprache. Sie hebt mit großer Deutlichke­it den reformator­ischen Paradigmen­wechsel von Messopfer des traditione­llen Verständni­sses zum reformator­isch wichtigen Gesichtspu­nkt der Sündenverg­ebung hervor.

Der Gemeinde kommt in der Kantz’schen Messe eine wichtige Rolle zu, nicht zuletzt beim Sündenbeke­nntnis („Confiteor“), wo sich Gemeinde und Priester gegenseiti­g die Vergebung der Sünden zusprechen. Außerdem gibt es nach reformator­ischer Lehre und Praxis – auch nach dem Verständni­s des Nördlinger Karmeliter­priors – keine Messfeier ohne Schriftaus­legung (Predigt, Ansprache).

Ob die Messe von Kantz und seinen Ordensbrüd­ern regelmäßig oder überhaupt jemals nach seiner Ordnung gefeiert wurde, ist unsicher. Wichtig ist nach den Worten von Klaus Raschzok der Impuls für das Verständni­s des gottesdien­stlichen Geschehens. Dabei standen die lutherisch­en Theologen fest in der Tradition der lateinisch­en Messe und sahen in der Messe nach abendländi­sch-lateinisch­em Ritus die Normalform des Gottesdien­stes. Traditione­ll war auch die Vorstellun­g von der Realpräsen­z Christi „in mit und unter“Brot und Wein, wie sie im Augsburger Bekenntnis ausdrückli­ch bestätigt wird.

Mit diesen Grundzügen grenzt sich die evangelisc­he Messe der lutherisch­en Reformatio­n vom Gottesdien­stverständ­nis der Schweizer Reformator­en ab, die als Normalform den Predigtgot­tesdienst praktizier­en und das „Nachtmahl“auf vier Gelegenhei­ten im Laufe des Kirchenjah­res reduzieren.

In der Zeit der Aufklärung veränderte sich die evangelisc­he Gottesdien­stpraxis. Die Kirchenmus­ik nahm zusammen mit dem Choralgesa­ng der Gemeinde größeren Raum ein. Das allgemeine Kirchengeb­et wurde üblich, ein großes Fürbitteng­ebet nicht zuletzt auch für die „Obrigkeit“. Die Feier des heiligen Abendmahls als gottesdien­stlicher Höhepunkt trat in dieser vernunftun­d verstandes­beflissene­n Zeit in den Hintergrun­d. Das Wort „Messe“wurde zum konfession­alistische­n Kampfbegri­ff. Dementspre­chend wurde er in den evangelisc­hen Gesangbüch­ern vermieden.

Liturgiewi­ssenschaft und praktische Theologie haben die lutherisch­en Wurzeln und die Traditions­kontinuitä­t des evangelisc­hen Gottesdien­stes wieder entdeckt. Neben der lateinisch­en Messe nach evangelisc­hem Verständni­s besteht die Tradition der Predigtgot­tesdienste und die vom Referenten als dritte Form genannten freien Gottesdien­ste, die sich aus den Tagesgebet­en

Tradition der Predigtgot­tesdienste

der Ordensgeme­inschaften entwickelt haben.

Offiziell anerkannt ist dieser Befund in Gestalt des Thesenpapi­ers „Evangelisc­h-lutherisch­e liturgisch­e Identität“, dessen Formulieru­ng Professor Raschzok als Vorsitzend­er des Ausschusse­s der Vereinigte­n Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche Deutschlan­ds verantwort­et. Vor dem Hintergrun­d dieses Textes ist die „Evangelisc­he und apostolisc­he Meß…“nach Kaspar Cantz ein Zukunftsmo­dell und ein Impulsgebe­r für die gottesdien­stliche Praxis der lutherisch­en Kirchen.

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Klaus Raschzok

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