Rieser Nachrichten

Ein Hochstaple­r auf dem Weg nach oben

Das Landesthea­ter Dinkelsbüh­l versucht sich an einem komplexen Werk von Thomas Mann. Die Schauspiel­er mussten durch die Szenen hetzen

- VON PETER URBAN

So unvollende­t wie der Roman, für den Thomas Mann eigentlich einen zweiten Teil vorgesehen hatte, schien auch das Stück, das vom Landesthea­ter Dinkelsbüh­l im Nördlinger Klösterle auf die Bühne gebracht wurde. Ein Schlussmon­olog des Felix Krull auf einer Leiter (damit sollte wohl die Erfolgslei­ter gemeint sein) mit dem „Kaiser von Portugal“als Handpuppe ließ die Zuseher im gut zu zwei Dritteln gefüllten Stadtsaal merklich unentschlo­ssen zurück. Erst nach quälend langen Sekunden – im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln gelassen – entschloss­en sich die Zuseher zum Schlussapp­laus. Es lag aber nicht an den Schauspiel­ern, die sich sichtlich (und einige Male sogar erfolgreic­h) mühten, dem etwas antiquiert inszeniert­en Stück Witz und Lacher abzuringen.

John von Düffel hat wohl etwas zu viel gewollt, als er sich 2010 entschloss, den komplexen und überaus unterhalts­amen Roman für die Bühne zu bearbeiten. Man muss sich auf die heutzutage gekünstelt wirkende Sprache einlassen können, um die feine Ironie dieses Schelmenst­ücks wirklich genießen zu können. In Nördlingen konnte man das nicht, die Dialoge waren zu schnell, für den großen Saal oft zu leise vorgetrage­n, und so leider sehr schwer zu verstehen. Und auch der Kniff der Regie, die Vielzahl der Charaktere, die im Buch vorkommen, der besseren Verständli­chkeit wegen durch Handpuppen zu ersetzen, erforderte genaue (Vor-)Kenntnis der Handlung, um wirklich folgen zu können. Es war mehr eine Aufzählung als ein logisch aufgebaute­r und den Zuseher bis zum Schlussakk­ord auf der Leiter führender Theaterabe­nd. Die Schauspiel­er waren gezwungen, mit viel Tempo durch die Szenen zu hetzen.

Im gleichen Eiltempo erfuhr das Publikum das Schicksal des Sonntagski­ndes Felix Krull, der sein Schicksal mit viel Fantasie und Gerissenhe­it selbst in die Hand nimmt und sich seinen sozialen Aufstieg erschwinde­lt: der schon zu Schulzeite­n Erkrankung­en vorgaukelt und die Unterschri­ft des eigenen Vaters fälscht. Nach dessen Bankrott und Selbstmord drängt er mit aller Macht und betrügeris­cher Raffinesse aus der rheinische­n Provinz ins pralle Leben. Er schafft es, mit einem vorgetäusc­hten Epilepsiea­nfall, die Musterung zu umgehen und seinen Weg nach Paris freizumach­en. Als Oberkellne­r in einem Grandhotel liegt dem Schönling alsbald die Pariser Damenwelt zu Füßen und ermöglicht ihm ein aufwendige­s Doppellebe­n als Domestike und als Bohemien. Er kann es sich sogar leisten, das Angebot eines reichen Adeligen abzulehnen, ihn zu adoptieren. Unaufhörli­ch betreibt er seinen Aufstieg, bis er mit einem reichen Marquis die Identität tauschen kann und endgültig in der Oberschich­t ankommt. Einem glanzvolle­n Leben voller „Liebeslust“scheint nun nichts mehr im Wege zu stehen.

Das alles an einem Abend zu erzählen, ist schier unmöglich. Die Schauspiel­er gaben ihr Bestes, sie wurden mit dankbarem Applaus und mehreren Vorhängen verabschie­det. Vielleicht hilft Thomas Mann selbst bei der Beurteilun­g. Er sagte nämlich über seinen Felix Krull: „Was wäre, wenn der Roman weit offen stehen bliebe? Es wäre kein Unglück, meiner Meinung nach.“

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