Ein Hochstapler auf dem Weg nach oben
Das Landestheater Dinkelsbühl versucht sich an einem komplexen Werk von Thomas Mann. Die Schauspieler mussten durch die Szenen hetzen
So unvollendet wie der Roman, für den Thomas Mann eigentlich einen zweiten Teil vorgesehen hatte, schien auch das Stück, das vom Landestheater Dinkelsbühl im Nördlinger Klösterle auf die Bühne gebracht wurde. Ein Schlussmonolog des Felix Krull auf einer Leiter (damit sollte wohl die Erfolgsleiter gemeint sein) mit dem „Kaiser von Portugal“als Handpuppe ließ die Zuseher im gut zu zwei Dritteln gefüllten Stadtsaal merklich unentschlossen zurück. Erst nach quälend langen Sekunden – im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln gelassen – entschlossen sich die Zuseher zum Schlussapplaus. Es lag aber nicht an den Schauspielern, die sich sichtlich (und einige Male sogar erfolgreich) mühten, dem etwas antiquiert inszenierten Stück Witz und Lacher abzuringen.
John von Düffel hat wohl etwas zu viel gewollt, als er sich 2010 entschloss, den komplexen und überaus unterhaltsamen Roman für die Bühne zu bearbeiten. Man muss sich auf die heutzutage gekünstelt wirkende Sprache einlassen können, um die feine Ironie dieses Schelmenstücks wirklich genießen zu können. In Nördlingen konnte man das nicht, die Dialoge waren zu schnell, für den großen Saal oft zu leise vorgetragen, und so leider sehr schwer zu verstehen. Und auch der Kniff der Regie, die Vielzahl der Charaktere, die im Buch vorkommen, der besseren Verständlichkeit wegen durch Handpuppen zu ersetzen, erforderte genaue (Vor-)Kenntnis der Handlung, um wirklich folgen zu können. Es war mehr eine Aufzählung als ein logisch aufgebauter und den Zuseher bis zum Schlussakkord auf der Leiter führender Theaterabend. Die Schauspieler waren gezwungen, mit viel Tempo durch die Szenen zu hetzen.
Im gleichen Eiltempo erfuhr das Publikum das Schicksal des Sonntagskindes Felix Krull, der sein Schicksal mit viel Fantasie und Gerissenheit selbst in die Hand nimmt und sich seinen sozialen Aufstieg erschwindelt: der schon zu Schulzeiten Erkrankungen vorgaukelt und die Unterschrift des eigenen Vaters fälscht. Nach dessen Bankrott und Selbstmord drängt er mit aller Macht und betrügerischer Raffinesse aus der rheinischen Provinz ins pralle Leben. Er schafft es, mit einem vorgetäuschten Epilepsieanfall, die Musterung zu umgehen und seinen Weg nach Paris freizumachen. Als Oberkellner in einem Grandhotel liegt dem Schönling alsbald die Pariser Damenwelt zu Füßen und ermöglicht ihm ein aufwendiges Doppelleben als Domestike und als Bohemien. Er kann es sich sogar leisten, das Angebot eines reichen Adeligen abzulehnen, ihn zu adoptieren. Unaufhörlich betreibt er seinen Aufstieg, bis er mit einem reichen Marquis die Identität tauschen kann und endgültig in der Oberschicht ankommt. Einem glanzvollen Leben voller „Liebeslust“scheint nun nichts mehr im Wege zu stehen.
Das alles an einem Abend zu erzählen, ist schier unmöglich. Die Schauspieler gaben ihr Bestes, sie wurden mit dankbarem Applaus und mehreren Vorhängen verabschiedet. Vielleicht hilft Thomas Mann selbst bei der Beurteilung. Er sagte nämlich über seinen Felix Krull: „Was wäre, wenn der Roman weit offen stehen bliebe? Es wäre kein Unglück, meiner Meinung nach.“